OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.11.2005 - 2 W 187/05 - asyl.net: M16487
https://www.asyl.net/rsdb/M16487
Leitsatz:

Die Zurückschiebungshaft ist nach der Rechtsprechung des Senats rechtswidrig, wenn der Betroffene freiwillig und auf direktem Weg in das Land ausreisen will, in das er zurückgeschoben werden soll (hier Schweden). Es ist nicht Sinn und Zweck der Zurückschiebungshaft, die freiwillige Ausreise - sei sie nun legal oder illegal - in genau dieses Land zu verhindern.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Schweden, Dublin II-VO, Überstellungsfrist
Normen: AufenthG § 106 Abs. 2 S. 1, FEVG § 3, FEVG § 7, FGG § 22, FGG § 27, FGG § 29, FGG § 20, GG Art. 19 Abs. 4, AufenthG § 62, AufenthG § 57 Abs. 3, VO 343/2003 Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Die Inhaftierung des Betroffenen für den in der Beschlussformel bezeichneten Zeitraum ist rechtswidrig gewesen. Es hat weder ein Grund für eine Abschiebungshaft nach § 62 AufenthG noch ein Grund für eine Zurückschiebungshaft gemäß §§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG bestanden.

Eine Abschiebungshaft des Betroffenen ist schon deshalb nicht zulässig gewesen, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr für seinen Aufenthalt bzw. für die Abschiebung in sein Heimatland zuständig war. Die Zuständigkeit für den Aufenthalt des Betroffenen ist nach Art. 19 Abs. 4 der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (im Folgenden: VO Dublin II) auf Schweden übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 VO Dublin II geht die Zuständigkeit für den Aufenthalt des Asylbewerbers auf den EG-Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung in den bislang zuständigen Mitgliedsstaat nicht innerhalb von sechs Monaten nach Annahme des Antrags auf Übernahme erfolgt ist (vgl. Art. 19 Abs. 3 VO Dublin II). Das BAFL hat die Bereitschaft zur Übernahme des Betroffenen mit Schreiben vom 11. August 2004 erklärt. Eine Überstellung des Betroffenen in die Bundesrepublik Deutschland ist zu keiner Zeit erfolgt.

Die angeordnete Abschiebungshaft konnte auch nicht als Zurückschiebungshaft nach §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aufrecht erhalten werden. Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob es sich bei der Zurückschiebungshaft um einen speziellen Fall der Abschiebungshaft handelt, wofür die Verweisung in § 57 Abs. 3 AufenthG spricht (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2004 – 2 W 26/04). Nach der Rechtsprechung des Senats fehlt es jedenfalls an einem Zurückschiebungsgrund, wenn der Betroffene freiwillig und auf direktem Wege in das Land ausreisen will, in das er zurückgeschoben werden soll (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2004 – 2 W 311/04). Es ist nicht Sinn und Zweck der Zurückschiebungshaft, die freiwillige Ausreise – sei sie nun legal oder illegal – in genau dieses Land zu verhindern. Durch die Zurückschiebungshaft soll vielmehr nur sicher gestellt werden, dass der Betroffene die Bundesrepublik Deutschland verlässt und in das Land zurückkehrt, in das er zurückgeschoben werden darf. Dieses Ziel wird indessen auch dann erreicht, wenn der Betroffene – sei es nun legal oder illegal – freiwillig in dieses Land ausreist. Unerheblich ist, dass das Vorbringen der beteiligten Ausländerbehörde, die nach Feststellung des Betroffenen kontaktierten schwedischen Behörden hätten eine Übernahme des Betroffenen derzeit abgelehnt. Die Besorgnis der freiwilligen illegalen Ausreise reicht deshalb allein nicht aus, um eine Inhaftierung zu rechtfertigen. Das ergibt sich mittelbar auch aus § 62 AufenthG, der eine Sicherungshaft selbst bei einem ausdrücklichen Ausreiseverbot gerade nicht vorsieht.

Ist Schweden für den Aufenthalt des Betroffenen zuständig, so hatte die Zurückschiebung dorthin zu erfolgen. Nach den für den Senat grundsätzlich bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Betroffene aufgrund der in Schweden befindlichen Familie eine starke Motivation dorthin zurückzukehren. Es bestand lediglich die Besorgnis, dass er seine Zurückschiebung nicht abwarten und schon vorher (illegal) nach Schweden ausreisen würde. Bei dieser Sachlage war die Inhaftierung des Betroffenen nicht zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich und damit rechtswidrig. [...]