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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 23.11.2009 - 9 V 13.09 - asyl.net: M16501
https://www.asyl.net/rsdb/M16501
Leitsatz:

Verpflichtung zur Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung für den guineischen Vater eines deutschen Kindes. Die Sorgerechtserklärung war wirksam, auch wenn der Vater nach guineischem Recht nicht volljährig war (in Guinea Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres), da vorliegend deutsches Recht anwendbar war. Die Ausführungen der Deutschen Botschaft Conakry, der Kläger würde keine Arbeit finden und daher wieder mit Drogen handeln und überhaupt sei die Beziehung afrikanischer Väter zu ihren Kindern mit denjenigen in einer intakten Familie in Europa nicht vergleichbar, sind haltlos.

Schlagwörter: Familiennachzug, Familienzusammenführung, Schutz von Ehe und Familie, Eltern-Kind-Verhältnis, deutsches Kind, Visumsverfahren, Sorgerecht, Kindeswohl, Guinea, Volljährigkeit
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3, BGB § 1626, EGBGB Art. 21, BGB § 2
Auszüge:

[...]

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Familiennachzugs. [...]

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Anspruchsgrundlage für die begehrte Visumserteilung ist § 28 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437). Danach ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das nicht eheliche minderjährige Kind des Klägers hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Aufenthaltserlaubnis muss dem Kläger auch zum Zwecke der Ausübung der Personensorge erteilt werden. Zum einen steht ihm das Personensorgerecht für dieses Kind tatsächlich zu (1.), zum anderen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nach seiner Einreise nach Deutschland hiervon auch Gebrauch machen wird (2.).

1. Der Begriff der Personensorge in § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entspricht demjenigen in § 1626 BGB (vgl. Marx, GK-AufenthG, § 28 Rdnr. 78 m.w.N.). Nach Art. 21 EGBGB unterliegt das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Frage, ob dem ausländischen Elternteil die Personensorge zusteht, ist wegen des Wohnsitzes des Kindes in Hamburg nach deutschem Recht und somit nach den §§ 1626 ff. BGB, §§ 1671 BGB ff. zu beurteilen. Nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB steht den nicht miteinander verheirateten Eltern die elterliche Sorge dann gemeinsam zu, wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen. Eine derartige Erklärung, die auch dem Formerfordernis des § 1626d Abs. 1 BGB genügt, haben die Eltern am 3. Juli 2003 vor dem Bezirksamt Hamburg- Nord abgegeben.

a) Diese Erklärung war wirksam, auch wenn der am 16. Dezember 1982 geborene Kläger zu diesem Zeitpunkt nach seinem guineischem Heimatrecht nicht volljährig war, weil nach Art. 443 des guineischen Code Civil (bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht, Band IV, Guinea, S. 33) Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres besteht. Das guineische Recht findet aber auf die sich im vorliegenden Zusammenhang stellende Vorfrage der Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung keine Anwendung; vielmehr greift hier auch für den Kläger § 2 BGB, wonach Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt. Zwar regelt Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, dass die Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit einer Person grundsätzlich dem Recht des Staates unterliegen, dem die Person angehört. Eine selbständige Anknüpfung der Vorfrage der Volljährigkeit scheidet hier aber aus. Vielmehr ist hier Art. 21 EGBGB gegenüber Art. 7 EGBGB spezieller. Denn das Statut der Eltern-Kind-Beziehung regelt den gesamten Bereich der elterlichen Sorge einschließlich der Frage der Wirksamkeit der Erklärung (vgl. Palandt-Thorn, 68. Aufl. 2009, Art. 21 EGBGB Rdnr. 5). Bedarf es in einem anderen Zusammenhang der (isolierten) Feststellung der Voll- oder Minderjährigkeit einer Person, berührt dies den direkten Anwendungsbereich des Art. 7 EGBGB nicht (vgl. Mäsch in Bamberger/Roth, Beck'scher Online-Kommentar, Stand 1. September 2009, Art. 7 RGBGB, Rdnr. 23). Hier geht es um die spezielle Geschäftsfähigkeit in einem bestimmten Rechtsgebiet, die der allgemeinen Geschäftsfähigkeit vorgeht (vgl. Hohloch in: Erman, BGB, 12. Auflage Band 2, Art. 7 EGBGB, Rdnr. 10; ähnlich zum Verhältnis von Art. 18 und Art. 7 EGBGB OLG Hamm, Urteil vom 11. November 1998, 11 UF 329/97, Juris). Damit können in einer Konstellation wie der vorliegenden das Wirkungsstatut und das Geschäftsfähigkeitsstatut voneinander abweichen (vgl. hierzu MüKo-Birk, 4. Aufl. Art. 7 EGBGB, Rdnr. 41 und 43). Das Gericht verkennt nicht, dass zur Frage, ob für die Frage der Volljährigkeit in einem Fall wie dem vorliegenden selbständig oder unselbständig anzuknüpfen ist, auch andere Ansichten vertreten werden, auf die sich auch die Beklagte zur Stützung ihrer Auffassung beruft (vgl. z.B. Staudinger-Hausmann, Neubearbeitung 2007, Art. 7 EGBGB, Rdnr. 3; Staudinger-Henrich, Neubearbeitung 2008, Art. 21 Rdnr. 9; Breuer, FPR 2005, 74, 76). Dieser Ansatz ist jedoch - wie der Gang des Verfahrens eindrücklich belegt - praxisfremd und damit im Interesse des Kindes, das einen Anspruch auf eine zügige Klärung der Rechtsverhältnisse zu seinen Eltern hat, abzulehnen. Schließlich gehen Art. 21 EGBGB auch nicht die spezielleren Regelungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens vor, weil Deutschland insoweit einen Vorbehalt erklärt hat (BGBl. II 2005 S. 574). [...]

Soweit die Beigeladene in ihren Ausführungen geäußert hat, es sei nicht ausgeschlossen, dass der nicht ausgebildete Kläger keine Arbeit finden und daher wieder dem Drogenhandel nachgehen werde, handelt es sich um eine Spekulation, die in dem Lebenswandel des Klägers nach der Geburt des Kindes keinen Halt findet. Daher bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger charakterlich oder von seiner Sozialisation her nicht in der Lage sein wird, die Personensorge tatsächlich auszuüben, bzw. dass die Ausübung der Personensorge nicht dem Wohle des Kindes dienen würde (vgl. hierzu OVG Münster, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - 18 B 1592/05 - Juris -, und BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005, a.a.O.). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es insbesondere wegen der langen Abwesenheit des Klägers nicht unwahrscheinlich ist, dass bei der anfänglichen Wahrnehmung des (Teil-)Sorgerechts durch den Kläger gewisse Schwierigkeiten auftauchen könnten; diese sind indes hinzunehmen, zumal die lange Abwesenheit maßgeblich von der Beigeladenen zu vertreten ist, die ursprünglich selbst davon ausging (und den Kläger auch entsprechend informiert hatte), dass er nur vorübergehend nicht nach Deutschland werde einreisen dürfen. [...]