VG Frankfurt/Oder

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 12.11.2009 - 5 L 222/09 - asyl.net: M16503
https://www.asyl.net/rsdb/M16503
Leitsatz:

Eine besondere Härte, die zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht des Ehegatten bei einer Trennung vor Ablauf von zwei Jahren führen kann (§ 31 Abs. 2 AufenthG), liegt nicht vor, wenn der andere Ehegatte die Trennung herbeiführt. Denn in diesem Fall zeigt der Ausländer, der sich auf die besondere Härte beruft, dass er die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft selbst nicht als unzumutbar empfunden hat. Dem Umstand, dass der ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft trotz nunmehr geltend gemachter Unzumutbarkeit nicht selbst beendet hat, kommt erst dann eine Aussagekraft zu, wenn er von dem anderen Ehegatten in einer Weise beherrscht, eingeschüchtert oder gar der Bewegungsfreiheit beraubt worden ist, dass er zu einer Trennung nicht in der Lage war.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, verspätete Antragstellung, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Trennung, besondere Härte,
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 31 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Es ist zweifelhaft, ob die bisherige Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin vom 04. Mai 2007 bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Antrag vom 28. April 2009 als fortbestehend galt. Denn die fiktive Fortgeltung des Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG setzt grundsätzlich einen vor Ablauf der Geltungsdauer des Titels gestellten Antrag voraus. Die Antragstellerin stellte ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG aber erst am 28. April 2009 und damit nach Ablauf der bis zum 24. April 2009 befristeten bisherigen Aufenthaltserlaubnis. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass auch ein Verlängerungsantrag, der so geringfügig verspätet ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Geltungsdauer des Titels und dem Antrag gewahrt wird, die Fortgeltungsfiktion auslöst (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 23. März 2006 - 18 B 120/06 - juris, Rz. 6 ff. und vom 06. Juli 2007 - 18 B 2184/06 - juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. September 2009 – 19 CS 09.1610 - juris, Rz. 4; offen gelassen OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09. September 2009 - 12 N 73.09 – juris, Rz. 5). [...]

Von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist zwar abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen (§ 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Eine besondere Härte liegt gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Nach dem jetzigen Erkenntnisstand ist es jedoch weder offensichtlich noch überwiegend wahrscheinlich, dass vorliegend die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes erfüllt sind. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Im jetzigen Verfahrensstadium lässt sich nicht sicher feststellen, ob und in welchem Umfang die Antragstellerin von ihrem Ehemann misshandelt worden ist. Der Vortrag der Antragstellerin wird insoweit vom Antragsgegner mit Hinweis auf Aussagen des Ehemannes bestritten. Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob die von der Antragstellerin behaupteten Misshandlungen die für den Ausnahmetatbestand nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. AufenthG erforderliche Intensität erreicht hatten. Denn die Antragstellerin kann sich deswegen nicht darauf berufen, dass ihr die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zuzumuten gewesen sei, weil – unterstellt ihr Vorbringen ist wahr - davon auszugehen ist, dass ihr Ehemann diese Lebensgemeinschaft im Oktober 2007 seinerseits beendete. Das Regelbeispiel des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG, das keine Kompensation für erlittenes Unrecht bietet, sondern verhindern will, dass ein Ehegatte wegen der Gefahr der Beendigung seines akzessorischen Aufenthaltsrechts auf Gedeih und Verderb zur Fortsetzung einer untragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird, greift nicht ein, wenn der andere Ehegatte die Trennung herbeiführt. Denn in diesem Fall zeigt der Ausländer, der sich zur Begründung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts auf eine besondere Härte beruft, dass er die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft selbst nicht als unzumutbar empfunden hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Beziehungen in einer Ehe um einen persönlichen Bereich handelt; das weitere Festhalten an einer Ehe trotz ehewidrigen Verhaltens des Ehegatten ist eine persönliche Entscheidung des beteiligten Ehegatten, die sich einer objektiven Würdigung entzieht. Eine retrospektive Betrachtung mit dem Ergebnis, dass eigentlich die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft für den Betroffenen objektiv unzumutbar gewesen sei, obwohl er sie weitergeführt hat, ist für die Bejahung des Tatbestandes des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG deshalb nicht ausreichend (vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 15. März 2007 - 19 ZB 06.3197 - juris, Rz. 5, und vom 13. August 2009 - 10 ZB 09.1020 - juris, Rz. 3). [...]

Dem Umstand, dass der ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft trotz nunmehr geltend gemachter Unzumutbarkeit nicht selbst beendet hat, kommt im Übrigen erst dann keine Aussagekraft zu, wenn er von dem anderen Ehegatten in einer Weise beherrscht, eingeschüchtert oder gar der Bewegungsfreiheit beraubt worden ist, dass er zu einer Trennung nicht in der Lage war (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02. Oktober 2007 - 3 S 94.07 - Rz. 5; Hessischer VGH, Beschluss vom 17. Januar 2007). Für eine solche Fallgestaltung bietet der von der Antragstellerin dargestellte Sachverhalt indes keinerlei Anhaltspunkte. Denn trotz der - behaupteten - Kränkungen und Misshandlungen hat die Antragstellerin sowohl ihrer Arbeit nachgehen als auch ihre Deutsch- und Integrationskurse absolvieren können. Sie hat auch ihr eigenes Bankkonto geführt, so dass insgesamt der Eindruck besteht, dass sie zu einer freien Entscheidungsfindung und -ausübung in der Lage war. [...]