OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.11.2009 - 3 S 79.09 - asyl.net: M16507
https://www.asyl.net/rsdb/M16507
Leitsatz:

Das Asylgesuch steht einer Abschiebung des Ausländers und deren Androhung durch die Ausländerbehörde vor Stellung eines Asylantrags materiellrechtlich entgegen, soweit der Aufenthalt des Ausländers gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gestattet ist und daher keine Ausreisepflicht besteht. Entfällt jedoch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, keine Antragstellung innerhalb von zwei Wochen), kann die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht nach den allgemeinen Vorschriften des AufenthG durchsetzen.

Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Aufenthaltsgestattung, Ausreisepflicht, Asylantrag, Asylgesuch,
Normen: AsylVfG § 14 Abs. 2 Satz 2, AsylVfG § 13 Abs. 1, AufenthG § 59 Abs. 3, AsylVfG § 14 Abs. 1, AsylVfG § 55 Abs. 1 Satz 1,
Auszüge:

[...] Gemäß § 13 Abs. 1 AsylVfG liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren drohen. Das Vorliegen eines Asylantrags in diesem Sinne (Asylgesuch) bewirkt, dass allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über den geltend gemachten Schutzanspruch zu entscheiden hat. Ferner ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet (§ 55Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Von dem Asylgesuch zu unterscheiden ist der förmliche Asylantrag im Sinne von § 14 AsylVfG, mit dessen Stellung das Verfahren beim Bundesamt beginnt (§§ 23 ff. AsylVfG). Gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG erlischt die Aufenthaltsgestattung, wenn der Ausländer innerhalb von zwei Wochen, nachdem er um Asyl nachgesucht hat, noch keinen Asylantrag gestellt hat. Das Asylgesuch steht einer Abschiebung des Ausländers und deren Androhung durch die Ausländerbehörde vor Stellung eines Asylantrags zwar materiellrechtlich entgegen, soweit der Aufenthalt des Ausländers gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet ist und daher keine Ausreisepflicht besteht. Entfällt jedoch die Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, kann die Ausländerbehörde die Ausreisepflicht nach den allgemeinen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes durchsetzen. Dies gilt namentlich, wenn sich der Ausländer, wie hier, nicht darauf beruft, dass die Ausländerbehörde ihrer aus § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG folgenden Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung eines bei ihr eingereichten schriftlichen Asylantrags nicht genügt habe, sondern es im Gegenteil ausdrücklich ablehnt, einen Asylantrag zu stellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 1 B 219/97 -, NVwZ-RR 1998, 264; hessischer VGH, Beschluss vom 20. März 1998 - 7 TZ 413/98 -, DÖV 1999, 127 sowie bei Juris; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Februar 2008, § 59 AufenthG, Rn. 14).

Aus dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2006 - 1 B 126/05 - (NVwZ 2006, 830, sowie bei Juris, mit weiteren Fundstellen) folgt nichts Gegenteiliges. Gegenstand dieser Entscheidung war die Erteilung einer Duldung wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf seinen oben genannten Beschluss vom 3. Dezember 1997 (a.a.O.) ausgeführt, dass die Ausländerbehörde zwar im Rahmen der Durchsetzung der Ausreisepflicht gegebenenfalls nach Stellung eines (materiellen) Asylgesuchs und bis zur Stellung eines (formellen) Asylantrags beim Bundesamt nach § 14 AsylVfG über auslandsbezogenen Abschiebungsschutz befinden könne, nicht jedoch auch im Rahmen eines Duldungsantrags zur Erlangung eines humanitären Bleiberechts, dem in Wahrheit materiell ein Asylbegehren zu Grunde liege. Da es gerade Sinn des § 13 Abs. 1 AsylVfG sei, denjenigen Schutzsuchenden, der sich materiell auf Asylgründe berufe, zwingend auf das - alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende - Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen, bestehe kein Wahlrecht des Ausländers zwischen asylrechtlichem und ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland. Abschließend hat das BVerwG ausgeführt, dass zwar ein als solches bisher nicht beachtetes Asylgesuch an das Bundesamt weiterzuleiten und dem Ausländer Gelegenheit zur Stellung eines Asylantrags und Abschiebungsschutzantrags nach § 60 AufenthG zu geben sei. Würde er die Stellung eines Asylantrags beim Bundesamt nach § 14 AsylVfG hingegen unterlassen, könne er sich jedoch auch gegenüber der Ausländerbehörde nicht (mehr) auf zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG berufen. Dem entspricht der vorliegende Fall, in dem der Antragsteller die Stellung eines förmlichen Asylantrags ausdrücklich ablehnt. [...]