VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 17.12.2009 - 9 K 259/09 V - asyl.net: M16510
https://www.asyl.net/rsdb/M16510
Leitsatz:

Keine Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung für einen türkischen Staatsangehörigen vor Ablauf der Sperrfrist des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Der Hinweis des Klägers auf das Urteil des EuGH vom 19.11.2002, C-188/00, Kurz, geht daran vorbei, dass er aus dem ARB 1/80 keine Rechte mehr haben kann, weil er auf eigenen Wunsch bestandskräftig ausgewiesen wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH können Ausweisungen aus spezialpräventiven Gründen zum Verlust der Rechtsstellung führen (mwN). Unbeachtlich ist, ob die Ausweisungsverfügung vom 20.5.2003 unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben rechtmäßig war, denn die vom Kläger erbetene Verfügung ist bestandskräftig geworden. Insoweit steht der Kläger nicht schlechter als Unionsbürger, die bestandskräftige Ausweisungen aus der Zeit vor dem 1.1.2005 ebenfalls hinnehmen müssen und auf einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen verwiesen sind.

Schlagwörter: nachträgliche Befristung, Ausweisung, türkischer Staatsangehöriger, Visum, Familiennachzug, ARB 1/80, EuGH
Normen: AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 102 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Es kommt dabei nicht darauf an, ob bei dem Kläger grundsätzlich die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Familiennachzug vorliegen, denn ihm kann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor Ablauf der von der Ausländerbehörde nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festgelegten Frist nur ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Da eine Befristung auf einen früheren Zeitpunkt nicht ersichtlich ist, darf dem Kläger, der ausgewiesen und abgeschoben wurde, jedenfalls vor dem 15. April 2021 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz der von ihm begehrte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden. Diese Regelung gilt gemäß § 102 Abs. 1 AufenthG auch für Ausweisungen vor dem 1. Januar 2005. In dem vorliegenden Verfahren ist nicht zu prüfen, ob der Kläger einen Anspruch auf eine kürze Befristung hat. Denn für diese Entscheidung ist nicht die Auslandsvertretung der Beklagten, sondern vielmehr gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG die Ausländerbehörde der Beigeladenen sachlich zuständig, so dass auch das Verwaltungsgericht Berlin für eine entsprechende Klage örtlich unzuständig wäre (vgl. § 52 Nr. 2 Satz 4 und Nr. 3 Satz 5 VwGO).

Der Hinweis des Klägers auf das Urteil des EuGH vom 19. November 2002, C-188/00, Kurz, geht daran vorbei, dass er aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 keine Rechte mehr haben kann, weil er auf eigenen Wunsch bestandskräftig ausgewiesen wurde. Der EuGH hat mit dem Tenor zu 2. des vorgenannten Urteils nicht allgemein Rechte abgeschobener türkischer Staatsangehöriger begründen wollen, sondern entschieden, dass einem türkischen Staatsangehörigen, der die Voraussetzungen einer Bestimmung des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt und der sich gegen seine rechtswidrige Abschiebung wendet, eine nationalen Regelung nicht entgegen gehalten werden kann, nach der die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung so lange versagt werden muss, bis die Wirkungen der Abschiebung befristet worden sind. Dies ergibt sich unmittelbar aus den Gründen des Urteils.

Im Übrigen würde die Interpretation des Klägers auch im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH stehen, wonach die Rechte aus dem vorgenannten Beschluss gemäß Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit beschränkt werden können und daher eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen zum Verlust der Rechtsstellung führen kann (vgl. EuGH, Urteile vom 10. Februar 2000, C-340/97, Nazli, und vom 18. Juli 2007, C-325/05, Derin). Daher hält auch das Bundesverwaltungsgericht die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen für zulässig, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und in diesem Fall die Befristung der Wirkungen der Ausweisungen für erforderlich, falls der Betroffene nach Deutschland zurückkehren möchte (vgl. Urteil vom 2. September 2009, 1 C 2.09, bei juris).

Dabei ist unerheblich, ob die Ausweisungsverfügung vom 20. Mai 2003 unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben rechtmäßig war, denn die vom Kläger erbetene Verfügung ist bestandskräftig geworden. Insoweit steht der Kläger nicht schlechter als Unionsbürger, die bestandskräftige Ausweisungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 ebenfalls hinnehmen müssen und auf einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen verwiesen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007, 1 C 21.07, bei Juris). [...]