VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 17.08.2009 - 11 A 163/08 - asyl.net: M16520
https://www.asyl.net/rsdb/M16520
Leitsatz:

Kein Widerruf einer Füchtlingsanerkennung, da sich die Verhältnisse in Togo nicht erheblich und dauerhaft verbessert haben.

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, Togo, UNHCR,
Normen: AsylVfG § 72 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen liegen im hier zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Das Gericht kann nach den vorliegenden Erkenntnisquellen unter ausdrücklicher Würdigung der für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatusses im Einzelfall maßgeblichen Umstände (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 15.11.2007 - 2 L 152/07 -, AuAS 2008, 83) gegenwärtig noch nicht die für eine rechtmäßige Widerrufsentscheidung erforderliche Prognose treffen, dass sich die Verhältnisse dem maßgeblichen Zeitpunkt "erheblich" und "nicht nur vorübergehend geändert" haben. Auch ist für eine Rückkehr keine hinreichende Verfolgungssicherheit zu prognostizieren.

In den Richtlinien des UNHCR vom 10.02.2003 zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 und Nr. 6 GFK ("Wegfall-der-Umstände"-Klausel) die aus Sicht des Gerichts die maßgeblichen Parameter aufzeigen, heißt es hierzu:

"(13.) Entwicklungen, die bedeutende und grundlegende Änderungen zu offenbaren scheinen, sollten sich zunächst konsolidieren können, bevor eine Entscheidung zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft getroffen wird. Gelegentlich kann bereits nach relativ kurzer Zeit beurteilt werden, ob grundlegende und dauerhafte Änderungen stattgefunden haben. Dies ist der Fall, wenn z. B. friedliche Änderungen im Rahmen eines verfassungsmäßigen Verfahrens sowie freie und gerechte Wahlen mit einem echten Wechsel der Regierung stattfinden, die der Achtung der fundamentalen Menschenrechte verpflichtet ist, und wenn im Land eine relative politische und wirtschaftliche Stabilität gegeben ist.

(14.) Dagegen wird mehr Zeit zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit der Änderungen benötigt, wenn die Änderungen gewaltsam, beispielsweise durch den Umsturz eines Regimes, herbeigeführt wurden. Unter solchen Gegebenheiten muss die Menschenrechtssituation besonders sorgfältig überprüft werden. Für den Wiederaufbau des Landes muss genügend Zeit eingeräumt werden, und Friedensvereinbarungen mit gegnerischen militanten Gruppen müssen sorgfältig überwacht werden. Dies ist besonders wichtig, wenn die Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen bestanden, da eine echte Versöhnung in diesen Fällen erfahrungsgemäß häufig nur schwer zu erreichen ist. Solange die landesweite Versöhnung nicht fest verankert und ein echter Landesfrieden wiederhergestellt ist, sind die eingetretenen politischen Änderungen möglicherweise nicht von Dauer."

Danach kann für die Republik Togo noch keine hinreichende Stabilisierung angenommen werden (so auch z.B. VG Braunschweig, Urteil vom 25.02.2009 - 1 A 237/08 -, VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 27.03.2008 - 2 K1329/07 -, VG Arnsberg, Urteil vom 31.03.2008 - 14 K 1790/07.A -, VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 26.09.2008 - 20 A 300/08 -, VG Hannover, Urteil vom 10.12.2008 - 4 A 5725/08 -, VG Freiburg, Urteil vom 26.06.2008 - A 1 K 2160/07 VG Stuttgart, Urteil vom 09.06.2009 - A 5 K 560/08 -, OVG Niedersachen, Beschluss vom 22.06.2009 - 7 LA 187/08 -, andere Ansicht: VG München, Urteil vom 15.12.2008 - M 25 K 08.50402, Bay VGH Beschluss vom 03.06.2009 - W 1 K 08.30035).

Das Bundesamt hat die zusammenfassende Lagebeurteilung durch das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 29.01.2008, die auch bereits dem vorangegangenen Bericht vom 30.11.2006 zu entnehmen ist, bei seiner Widerrufsentscheidung nicht hinreichend beachtet. In der Gesetzesbegründung zur Einführung einer obligatorischen Überprüfungspflicht gem. § 73 Abs. 2a AsylVfG heißt es (BT-Drs. 14/7387, S. 103): "Diese Überprüfungen sollen generell anhand der aktuellen Länderberichte des Auswärtigen Amtes erfolgen. Ergibt sich hieraus eine neue Situation, ist das Bundesamt gehalten, die entsprechenden Anerkennungsentscheidungen auf der Grundlage der neuen Länderberichte erneut zu überprüfen." Damit knüpft der Gesetzgeber erkennbar an die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach den regelmäßig erstellten Lageberichten des Auswärtigen Amtes für die Aufklärung der maßgeblichen politischen Verhältnisse in den Herkunftsstaaten eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. etwa BVerwG, Beschl. vom 17.12.2007 - 10 B 92/07 -, Juris). Mit der ausdrücklichen Verneinung einer "Konsolidierung" für die Republik Togo hat das Auswärtige Amt die Frage nach einer Lageänderung aber gerade nicht in dem vom Bundesamt verstandenen Sinne beantwortet. Es überzeugt nicht, wenn aus dem Lagebericht lediglich Einzelaspekte herangezogen werden, die nach Abwägung aller Umstände - weiterhin negative - Gesamtbewertung der Lage bei der Entscheidungsfindung durch das Bundesamt aber unberücksichtigt bleibt.

Bei einer würdigenden Gesamtbetrachtung der Entwicklung in Togo seit 2005 kann die Frage, ob es im Rahmen eines verfassungsmäßigen Verfahrens zu einem echten Wechsel der Regierung gekommen ist, nicht positiv beantwortet werden. [...]

Die Wahlen stellen zwar einen Schritt in die "richtige Richtung", aber noch nicht den erkennbaren Abschluss einer Wandlung von einer Diktatur in eine Demokratie dar. Der Reformpolitik von Faure Gnassingbe steht der konservative, von seinem Halbbruder Kpatcha Gnassingbe repräsentierte Flügel der RPT kritisch gegenüber. Der Ausgang des Richtungsstreits ist nicht absehbar (vgl. Schw. Flüchtlingshilfe, Die Lage in Togo, v. 9.04.2008). [...]

Ob die im Oktober gewählte Regierung im Sinne der UNHCR-Richtlinie der "Achtung der fundamentalen Menschenrechte verpflichtet ist", kann ebenfalls noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. [...]

Bei der aufgezeigten instabilen Lage kann trotz aller positiven Ansätze nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass als Flüchtlingen anerkannten togoischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland keine staatlichen Übergriffe drohen. An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses sind hohe Anforderungen zustellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Flüchtling im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Zwar braucht die Gefahr des Eintritts politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, so dass jeder auch nur geringe Zweifel an der Sicherheit des Flüchtlings vor politischer Verfolgung seinem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich aber ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zu seinen Gunsten aus (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.02.1997, NVwZ 1997,1134).

Danach stehen schon die Einreisemodalitäten der Annahme einer zureichenden Verfolgungssicherheit entgegen. Zwar sind die togoischen Behörden "in der Regel" um eine korrekte Behandlung bemüht, um weder den deutschen Behörden noch den togoischen Exilorganisationen Anlass zu Kritik zu geben. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Grenzkontroll-, Polizei- oder andere Beamte Rückkehrer in Einzelfällen "inkorrekt" behandeln (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 29.01.2008 und 22.06.2009). Folter stellt in Togo heute weiterhin ein Problem dar (vgl. U.S. Department of State a.a.O.), zumal das togoische Recht kein ausdrückliches Verbot einer solchen Behandlung kennt (UNHCR, Bericht zur Menschenrechtslage des Sonderberichterstatters Nowak vom 06.01.2008, auch mit zahlreichen Nachweisen zu Einzelschicksalen). [...]