OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03.11.2009 - 1 LB 22/08 - asyl.net: M16523
https://www.asyl.net/rsdb/M16523
Leitsatz:

Irakische Staatsangehörige, die keiner besonderen individuellen Gefährdung unterliegen und sich nur auf die allgemeine Gefahrensituation im Irak berufen, genießen keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil v. 19.9.2008 - 1 LB 17/08 -, M14080). Die allgemeine Sicherheitslage im Irak ist zwar nach wie vor verheerend, sie hat sich jedoch hinsichtlich des individuellen Risikos, Opfer von Gewalttaten zu werden, weiter verbessert. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, ist außerordentlich gering.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, subsidiärer Schutz, Zentralirak, Irak, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Der Senat entscheidet gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss. Er hält die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung für entbehrlich, denn die entscheidungserhebliche Sach- und Rechtslage ist durch die Rechtsprechung des Senats, die dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch bekannt ist (vgl. z.B. Urteil v. 19.09.2008 - 1 LB 17/08), geklärt. Irakische Staatsangehörige, die - wie der Kläger - keiner besonderen individuellen Gefährdung unterliegen und sich nur auf die allgemeine Gefahrensituation im Irak berufen, genießen danach keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Auf die Frage, ob der Kläger überhaupt einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat, kommt es nicht an. [...]

Bei einer Rückkehr in den Irak wird der Kläger aller Voraussicht nach nicht einer erheblichen individuellen Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ausgesetzt sein werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die im Irak gewaltsam ausgetragenen Konflikte (vgl. allgemein zur Sicherheitslage im Irak: Auswärtiges Amt, Lageberichte v. 06.10.2008 u. 12.08.2009) sich sachlich als internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt darstellen, denn der Kläger wird dort keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. [...]

Die im oben genannten Urteil des Senats vom 19. September 2008 zugrunde gelegte Gefährdung der Bevölkerung hat sich nicht verstärkt. Im Gegenteil, die allgemeine Sicherheitslage wird zwar vom Auswärtigen Amt weiterhin als "verheerend" beurteilt. Sie hat sich jedoch hinsichtlich des individuellen Risikos, Opfer von Gewalttaten zu werden, weiter verbessert (vgl. Senat, Beschl. v. 10.06.2009 - 1 LA 124/08 -; Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 12.08.2009, S. 5: seit Frühsommer 2007 Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle um ca. 80 %; Information des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte im Irak v. Februar 2006). Der Inhalt der vom Kläger mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2009 eingereichten Unterlagen der Organisation Human Rights Watch vom 15. bis 18. Oktober 2009 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Beobachtung eines derart kurzen Zeitraums lässt keine zuverlässigen Schlüsse über die langfristige allgemeine Gefährdungslage in Bagdad oder dem gesamten Irak zu. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die in den vom Kläger überreichten Unterlagen genannten Tatsachen dieser Einschätzung der Sicherheitslage nicht entgegen stehen. Die dort verzeichneten Sachverhalte bestätigen zwar die Einschätzung einer immer noch verheerenden Sicherheitslage (s.o.); auch der Senat geht auf Grund der allgemein bekannten Nachrichtenlage davon aus, dass terroristische Anschläge im Irak, insbesondere auch in Bagdad, immer noch zum Alltag gehören. Gerade die vom Kläger vorgelegten Unterlagen unterstreichen aber die Richtigkeit der bisherigen Einschätzung des Senats, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines solchen Anschlags zu werden, außerordentlich gering ist, so dass Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht gewährt werden kann (für Bagdad [ca. 6 bis 7 Millionen Einwohner] im Zeitraum vom 15. bis 18. Oktober "nur" 4 zivile Opfer von terroristischen Anschlägen [kein Todesopfer, 4 Verletzte]). [...]