OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 30.06.2009 - 34 Wx 024/09 - asyl.net: M16537
https://www.asyl.net/rsdb/M16537
Leitsatz:

Zur Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Griechenland, Dublin II-VO, Abgabe, örtliche Zuständigkeit
Normen: AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, AufenthG § 106 Abs. 2 S. 2, FGG § 20 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1 Bst. c
Auszüge:

[...]

Das Rechtsmittel ist zulässig, jedoch im Ergebnis unbegründet. An einer abschließenden Entscheidung ist der Senat auch durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 19.3.2007 (13 W 14/07 = InfAuslR 2007, 246) nicht gehindert, wenngleich er von dessen Rechtsprechung zur Wirkung der Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abweicht. Der Senat würde aber auch bei Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts das Rechtsmittel letzten Endes nicht für begründet erachten, so dass es auf die Abweichung nicht ankommt. Insoweit wird an der in der Verfügung vom 29.4.2009 mitgeteilten Rechtsauffassung, dass der Mangel der landgerichtlichen Zuständigkeit auf die zulässige Rechtsbeschwerde hin zwangsläufig zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, nicht mehr festgehalten.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist bereits deshalb zulässig, weil die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen wurde; denn darin liegt die Rechtsbeeinträchtigung des Betroffenen im Sinn von § 20 Abs. 1 FGG (Bassenge/Roth FGG 11. Aufl. § 27 Rn. 14).

2. Über die sofortige Beschwerde hat das zuständige Landgericht entschieden.

a) Das Landgericht München I war nach bindender und nicht offensichtlich willkürlicher Verfahrensabgabe durch das Amtsgericht Landshut an das Amtsgericht München gemäß § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zuständiges Gericht zur Entscheidung über das noch vor der Abgabe eingelegte Rechtsmittel (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 19 Abs. 2 FGG; Art. 4 Nr. 14 Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern - GerOrgG – vom 25.4.1973 BayRS 300-2-2-J). Denn § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG beschreibt lediglich die Voraussetzungen, unter denen das Verfahren abgegeben werden kann; hingegen beschränkt die Bestimmung nicht die Abgabe inhaltlich auf einen Teil der noch zu treffenden Entscheidungen (OLG Düsseldorf FGPrax 2007, 245). Nach (uneingeschränkter) Abgabe "gemäß § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG" ist die Sache vielmehr so anzusehen, als läge ein von Anfang an beim Amtsgericht München anhängig gewesenes Verfahren vor. Dementsprechend ist auch in anderen Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit allgemein anerkannt, dass nach dem durch bindende Abgabe herbeigeführten Wechsel der Zuständigkeit über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des abgebenden Amtsgerichts das dem nun zuständigen Amtsgericht übergeordnete Landgericht zu entscheiden hat (BayObLGZ 28, 426; BayObLGZ 1982, 261/266; 1985, 296; BayObLG FamRZ 2004, 1899 - LS -; Jansen/Briesemeister FGG 3. Aufl. § 19 Rn. 41; Bumiller/Winkler FGG 8. Aufl. § 19 Rn. 33; Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 43; Bassenge/Roth FGG 11. Aufl. § 19 Rn. 35).

Eine derartige Sichtweise verhindert es auch, dass Beschwerdeentscheidungen wie etwa hier im Rahmen der Fortsetzungsfeststellung trotz vor und nach Abgabe unveränderter Sachlage zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könnten.

b) Das Oberlandesgericht Oldenburg legt in seinem Beschluss vom 19.3.2007 (13 W 14/07 = InfAuslR 2007, 246) hingegen § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG einengend dahin aus, dass die Abgabemöglichkeit als solche auf Entscheidungen über die Fortdauer der Abschiebungshaft beschränkt sei. Bei anderen (vorangegangenen) Entscheidungen und deren Überprüfung soll es deshalb bei der Zuständigkeit des Erstgerichts, damit auch bei der aus der gerichtsorganisatorischen Überordnung folgenden Zuständigkeit des Landgerichts, verbleiben. Dem folgt der Senat - wie schon zuvor das Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschluss vom 27.4.2007 (FGPrax 2007, 245) - aus den oben genannten Gründen nicht.

c) Die Abweichung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg ist indes nicht erheblich. Denn der Senat käme auch im Falle der Unzuständigkeit des Landgerichts München I nicht zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbeschwerde allein wegen des Zuständigkeitsmangels begründet wäre (so aber wohl Jansen/Briesemeister § 19 Rn. 41).

Die vom Gericht zu Unrecht angenommene (örtliche oder sachliche) Zuständigkeit oder Unzuständigkeit ist nach der Zivilprozessreform kein absoluter Beschwerdegrund mehr (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler § 27 Rn. 33; Jansen/Briesemeister § 27 Rn. 87 f.). § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG verweist zwar nicht auf § 545 Abs. 2 ZPO, so dass die Zuständigkeit der Vorinstanz in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit weiterhin wie bisher von Amts wegen zu überprüfen ist. Begründet ist die weitere Beschwerde jedoch nur, wenn die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann und sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist (vgl. § 561 ZPO; Senat vom 19.9.2006, 34 Wx 080/06 = FGPrax 2006, 280; Meyer-Holz und Briesemeister je a.a.O.). Dabei ist davon auszugehen, dass auch im Freiheitsentziehungsverfahren nicht jeder Zuständigkeitsmangel die Rechtswidrigkeit indiziert (dazu BGH NJW-RR 2007, 1569; Senat a.a.O.; OLG Celle FGPrax 2007, 244). Jedenfalls dann, wenn die angegriffene Entscheidung im Rahmen der Fortsetzungsfeststellung ergangen ist, also nicht mehr über die Aufrechterhaltung bzw. Verlängerung von Haft zu entscheiden war, sieht der Senat keinen Anlass, von den allgemeinen Regeln abzuweichen. Mit anderen Worten wäre eine Aufhebung und Zurückverweisung nur dann geboten, wenn die Entscheidung gerade auf dem Verfahrensfehler der mangelnden Zuständigkeit beruht. Dies ist aber im Ergebnis nicht der Fall. [...]

4. In der Sache ist der Feststellungsantrag jedoch ersichtlich unbegründet.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene zuvor in Griechenland einen Asylantrag gestellt (siehe auch Senat vom 9.4.2009, 34 Wx 028/09). In diesem Fall ergibt sich die Verpflichtung Griechenlands zur Aufnahme aus Art. 16 Abs. 1 Buchst. c oder Buchst. e VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II). Auf ein (gesondertes) Rückübernahmeabkommen mit Griechenland kommt es in diesem Fall nicht an. Einen die Haft im Zeitraum bis zum 22.1.2009 ausschließenden asylrechtlichen Status hatte der Betroffene, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist war, noch nicht erlangt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.12.2007 zur Bedeutung eines im EU-Ausland gestellten Asylerstantrags (bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang) steht nicht entgegen. Anders als dort handelt es sich um keinen Fall der Rücküberstellung. [...]