Indem § 60 Abs. 1 AufenthG gleichermaßen Schutz vor staatlicher, staatsähnlicher und nicht staatlicher Verfolgung bietet, wird eine bestimmte Qualität der Gefahr vorausgesetzt, die mit der Verfolgung verbunden ist. Eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ist in ihrer Qualität den in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a) und in lit. b) AufenthG genannten Verfolgungen nicht gleichzusetzen, wenn sie von einem kleineren, privat abgrenzbaren Personenkreis oder Einzelperson ausgeht.
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In der Person des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor.
Der Kläger kann sich nicht auf ein Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG berufen.
Die Mitglieder der Familie ... von der die Blutrachebedrohung gegenüber dem Kläger ausgeht, können bereits nicht als "nichtstaatliche Akteure" im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG angesehen werden.
Der Begriff des "nichtstaatlichen Akteurs" ist weder in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG noch in den zugrundeliegenden Art. 2 und 6 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG) näher definiert worden. Soweit unter Bezugnahme auf den reinen Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG vertreten wird, dass eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 von allen denkbaren nichtstaatlichen Akteuren ohne weitere Einschränkungen, namentlich auch Einzelpersonen ausgehen kann, berücksichtigt dies die Systematik des Abs. 4 lit. c) AufenthG nicht.
Indem § 60 Abs.l AufenthG gleichermaßen Schutz vor staatlicher (Satz 4 lit.a)), staatsähnlicher (Satz 4 lit. b)) und nicht staatlicher Verfolgung (Satz 4 lit. c)) bietet, wird eine bestimmte "Qualität" der Gefahr vorausgesetzt, die mit der Verfolgung verbunden ist. Eine Verfolgung durch die "nichtstaatliche Akteure" ist in ihrer Qualität den in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit.a) und in lit. b) AufenthG genannten Verfolgungen nicht gleichzusetzen, wenn sie von einem kleineren, privat abgrenzbaren Personenkreis oder Einzelpersonen ausgeht. Hierum handelt es sich bei den männlichen Mitgliedern der Familie ..., die der Familie des Klägers bekannt sind und deren Anzahl begrenzt ist. Dieser privaten Verfolgung fehlt die vergleichbare Gefährlichkeit (ebenso: OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.01.2006 Az.: 1 LB 22/05).
Darüber hinaus knüpft die Gefährdung des Klägers nicht in eines der im § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter an.
In Betracht käme vorliegend allein, die Familie des Klägers als eine "soziale Gruppe" im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen. Eine Definition des Begriffs der "sozialen Gruppe" fehlt im AufenthG und ist auch nicht den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Art 10 Abs. 1 lit. d) der Richtlinie 2004/83/EG lässt sich entnehmen, dass eine Gruppe im Sinne der Verfolgungsgründe in dem betreffenden Land eine deutlich abgrenzbare Identität aufweisen muss. Zwar ist zuzugestehen, dass eine Familie durch die alle Mitglieder verbindende Verwandtschaft ein unveränderbares Merkmal teilt, doch müsste die Familie des Klägers in der Gesellschaft in Albanien auch als deutlich abgrenzbare Gruppe mit eigener "Gruppenidentität" wahrgenommen werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es mag durchaus Länder und Regionen der Welt geben, wo ein Familienverband, ein Clan oder ein Stamm aufgrund äußerlicher Merkmale oder sonstiger Kennzeichen eine Gruppenidentität aufweist, insbesondere weil die Zugehörigkeit zur Familie, dem Clan oder dem Stamm im Lebensumfeld einen besonderen Stellenwert aufweist und identifikationsstiftend wirkt. Am ehesten ist dies bei manchen nationalen ethnischen Minderheiten feststellbar.
Dies ist jedoch zur Überzeugung des Gerichts bei der Familie des Klägers nicht der Fall. Die Familie des Klägers sind ethnische Albaner. Im wirtschaftlich weniger entwickelten und schlechter erschlossenen Norden Albaniens mag die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie eher identifikationsstiftend und von außenstehenden Dritten wahrnehmbar sein, etwa aufgrund spezifischer Verhaltensweisen, dem Umgang untereinander oder äußerlich getragener Kennzeichen. Dies gilt für den Süden Albaniens weitaus weniger. Aufgrund der Nähe zu Griechenland und dem regen Wechsel von Albanern zur Arbeit nach Griechenland - so leben in Griechenland zwischen 700- und 800.000 Albaner (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Albanien vom 20.02.2006) - haben sich derartige familiäre Strukturen vielfach aufgelöst und sind höchstens noch in wenigen ländlich geprägten Gebieten erkennbar. Die Zugehörigkeit zu einer Familie als abgrenzbare Gruppe mit eigener "Gruppenidentität" hat jedoch in einer Großstadt wie Tirana ihren Stellenwert verlorenen und mag gerade noch bei frisch nach Tirana zugewanderten Familien vorhanden sein, ohne jedoch das dies für die sie umgebende Bevölkerung so hinreichend deutlich wird, dass man eine derartige (Klein-) Familie aufgrund erkennbarer Merkmale nach außen abgrenzen könnte. Eine öffentliche Unterscheidbarkeit (erst) nach Durchführung der Blutrache wird hingegen nicht vom Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Satz 1 umfasst, da die Unterscheidung durch die Verfolgungshandlung selbst entstünde. Damit lässt sich feststellen, dass der Kläger und seine Familie nur von den Angehörigen der Familie ... "unterscheidend" wahrgenommen wird, nicht jedoch von anderen Bürgerinnen und Bürgern in einer Stadt im Süden Albaniens oder in der Hauptstadt Tirana.
Damit liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Klägers nicht vor. [...]