LSG Berlin-Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.11.2009 - L 10 AS 1801/09 - asyl.net: M16545
https://www.asyl.net/rsdb/M16545
Leitsatz:

Die grundsätzliche Frage kann dahinstehen, ob ein Unionsbürger, der sich zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik erlaubt aufhält, von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ausgeschlossen werden kann.

Denn der Kläger hat vorliegend als französischer Staatsangehöriger Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und SGB XII nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA). Das EFA geht als speziellere Norm für arbeitssuchende Ausländer aus den Signatarstaaten der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II vor.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

---

Das BSG hat mit Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R (asyl.net, M18056) die Revision der Beklagten gegen diese Entscheidung zurückgewiesen.

---

Schlagwörter: SGB II, Unionsbürger, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Unionsbürgerrichtlinie, Sozialhilfe, Regelleistung, freizügigkeitsberechtigt, Europäisches Fürsorgeabkommen, Fürsorge
Normen: SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, FreizügG/EU § 5, FreizügG/EU § 2 Abs. 3, S. 2, SGB XII § 23 Abs. 3 S. 1, SGB XII § 19 Abs. 1 S. 1, EGV Art. 12, EGV Art. 39, SGB II § 20 Abs. 2, EFA Art. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (idF des EURLAsylUmsG vom 19. August 2007 <aaO>) als Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, aus dem Kreis der Leistungsberechtigten iS des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausgenommen. Allein diese Ausnahme kommt in Betracht, da der Kläger sich zu Beginn des streitigen Zeitraums (01. März 2009) bereits mehr als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II) und er auch kein Leistungsberechtigter nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II).

Zwar ergibt sich im streitigen Zeitraum das Aufenthaltsrecht des Klägers allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 12. Alt. FreizügG/EU sind Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten wollen. Dabei gewährt das FreizügG/EU sogar ein unbefristetes Aufenthaltsrecht bei Arbeitssuche und verzichtet im Gegensatz zu Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Unionsbürgerrichtlinie (ABl der EU Nr. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, berichtigt in ABl Nr. L 229 vom 29. Juni 2004 S 35) auf die Anforderung der "begründeten Erfolgsaussicht" der Arbeitssuche. [...]

Dem Kläger stand während des streitigen Zeitraums auch kein sonstiges, die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von vornherein ausschließendes Aufenthaltsrecht zur Seite. Er war während dieses Zeitraums nicht als Arbeitnehmer tätig (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. FreizügG/EU). Das durch seine Beschäftigung (als Handwerkshelfer) vom 01. Februar 2008 bis zum 23. Juni 2008 erworbene Aufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. FreizügG/EU; vgl zu den Anforderungen, die an die Erlangung des Arbeitnehmerstatus zu stellen sind: Urteil des EuGH vom 04. Juni 2009, aaO und Senatsbeschluss vom 08. Juni 2009 - L 10 AS 617/09 B ER, juris RdNr 4f mwN) kann - da die Beschäftigung weniger als ein Jahr dauerte - höchstens für die Dauer von sechs Monaten fortbestanden haben (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU) und war daher vor Beginn des hier streitigen Zeitraums, nämlich im Dezember 2008, erloschen. Der Kläger hat sich innerhalb der streitbefangenen Zeitspanne auch nicht zum Zwecke der Berufausbildung in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 3. Alt. FreizügG/EU), denn der von ihm besuchte Deutschkurs ist nicht auf einen bestimmten Beruf bezogen und kann jedenfalls deshalb nicht als Berufsausbildung qualifiziert werden. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers übte er im strittigen Zeitraum auch keine selbständige Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU). Abgesehen davon, dass der Kläger seine im Dezember 2008 aufgenommenen Bemühungen um die Anmietung eines Geschäftsraums am 05. Januar 2009 - und damit weit vor dem 01. März 2009 (Beginn des streitigen Zeitraums) - eingestellt hatte, lässt nur die niedergelassene selbständige Erwerbstätigkeit die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU entstehen. Das aus Art 43 EGV (idF des während des hier streitigen Zeitraums noch gültigen Vertrages von Nizza vom 26. Februar 2001, BGBl II 2001 1666; im Folgenden ohne Zusatz zitiert) resultierende Niederlassungsrecht setzt voraus, dass ein Erwerbstätigkeit selbständig und auf der Grundlage einer festen Einrichtung dauerhaft auf die Teilnahme am Wirtschaftsleben im Aufenthaltsstaat angelegt ist, wobei eine ernstzunehmende Gewinnerzielungsabsicht zu fordern ist. Allein die Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (A. Loose in GK-SGB II 4, Stand: August 2008, RdNr 32 zu § 7 mwN zur Rechtsprechung des EuGH). [...]

Ob der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch Bundesgesetz bestimmte Ausschlusstatbestand vollen Bestand hat oder ob er als (ggf. teilweise) nicht europarechtskonform Grundsicherungsleistungen ganz oder teilweise nicht auszuschließen vermag, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (zum Meinungsstand: Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195, 199ff.). Eine klare Positionierung, ähnlich der hier vom SG vertretenen Auffassung, findet sich etwa im Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> Berlin-Brandenburg vom 08. Juni 2009 - L 34 AS 790/09 B ER (juris RdNr 5ff). Danach setzt der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, soweit er "solche Leistungen ... betrifft, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern den Lebensunterhalt sichern sollen" (was für die Leistung nach § 20 Abs. 1 SGB II im Gegensatz zu den Leistungen nach dem 3. Kap. 1. Abschnitt des SGB II der Fall sei), national die nach Art. 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie ausdrücklich erlaubten Begrenzungen um. Art. 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie verstoße nicht gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht. Art. 39 Abs. 2 EGV sei nicht verletzt, solange keine Beschränkung von Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, vorgenommen werde; zudem könne es an einer hinreichenden Verbindung zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates fehlen. Art. 12 EGV begünstige nur EU-Bürger mit einer Aufenthaltserlaubnis oder einem Daueraufenthaltsrecht iS von § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU. Diese Rechtsprechung sieht sich mit dem Urteil des EuGH vom 04. Juni 2009 (aaO) in Einklang, soweit dort ausgeführt wird, der Ausschluss des "Anspruchs auf Sozialhilfe" (Art. 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie) verstoße nicht gegen europäisches Primärrecht. Die so zu umreißende Auffassung ist nur dann tragfähig, wenn die zumeist nicht ausdrücklich problematisierte Voraussetzung zutrifft, dass der Leistungskatalog des SGB II in solche Leistungen, die als Sozialhilfe zu betrachten sind, und andere (solche, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen) aufgespalten und in der Folge bzgl. der Frage eines europarechtlich wirksamen Ausschlusses unterschiedlich beurteilt werden kann. Eben dies wird bestritten (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. April 2007 - L 19 B 116/07 AS ER, juris RdNr 27; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II 2. Aufl. 2008, RdNr 18 zu § 7), wobei (ebenfalls) eine die postulierte Zielvorstellung tragende Argumentation fehlt. Der EuGH (vgl aaO zu 43.), dem die Auslegung nationalen Rechts auch nicht obliegt, hat nur aufgezeigt, dass es als Hinweis darauf angesehen werden könne, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen seien, den Zugang zur Beschäftigung erleichtern sollen, wenn vorgesehen ist, dass der Berechtigte erwerbsfähig sein müsse.

Für den vorliegenden Fall bedarf dies einer Vertiefung und Entscheidung nicht, denn dem Kläger als französischem Staatsbürger darf die Regelleistung selbst dann nicht vorenthalten werden, wenn der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der beschriebenen Weise europäisches Recht verletzt. denn er wird durch Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956 564) begünstigt, und der Leistungsausschluss ist entsprechend einschränkend auszulegen. Nach dieser Vorschrift sind den Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, die sich erlaubt im Gebiet eines anderen Vertragsstaats aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, die dort gesetzlich vorgesehenen Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge in gleicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Im Sinne des Abkommens bedeutet "Fürsorge" jede Fürsorge, die ein Vertragsstaat nach den geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert; ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten (Artikel 2 Abs. a Nr. ii EFA). Dieser sowohl für die Bundesrepublik Deutschland wie für Frankreich geltende völkerrechtliche Vertrag ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 (BGBl II 1956 561) in innerstaatlich anwendbares und Rechte des Einzelnen begründendes Recht transformiert worden, weil der Zweck des Vertrages, den Angehörigen der Vertragsstaaten auf den Gebieten der sozialen und der Gesundheitsfürsorge Gleichbehandlung mit den Inländern einzuräumen, nur erreicht werden kann, wenn diese die Gleichbehandlung mit den Inländern nach Maßgabe der im Anhang 1 des Abkommens genannten nationalen Gesetze unmittelbar geltend machen können (zum Sozialhilferecht: Bundeswaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 18. Mai 2000 - 5 C 29.98, juris RdNr 9 = BVerwGE 111, 200. 201). Der Kläger hat sich - wie bereits dargelegt - im streitigen Zeitraum erlaubt in Deutschland (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU) aufgehalten und ist auch Inhaber einer entsprechenden (ohnehin nur deklaratorische Bedeutung besitzenden, vgl hierzu überzeugend: Epe in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, RdNr 12 zu § 5 FreizügG/EU) Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU.

Der Kläger: hat danach Anspruch auf "Fürsorge" wie ein deutscher Staatsbürger, der sich im Inland gewöhnlich aufhält. Als Leistungen der Fürsorge sind nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) am 31. Dezember 2004 nicht nur die im SGB XII, sondern auch die im SGB II für Hilfebedürftige geregelten Leistungen anzusehen. [...] Zwar sind die Leistungen nach dem SGB II nicht identisch mit denen des BSHG und des SGB XII. Die in diesen beiden Büchern vorgesehenen Leistungen sind aber zumindest vergleichbar; weitgehend stimmen sie überein und sind derzeit in der Höhe sogar identisch. Sie setzen Bedürftigkeit, aber keine vorherige Beitragszahlung oder Versicherungszeit voraus. Damit liegt kein Unterschied zu den BSHG-Leistungen, die "ohne weiteres" zu den Leistungen der sozialen Fürsorge iS von Art 1 EFA zählten (dazu sogleich), im Inhaltlichen vor, unterschiedlich ist nur der Adressatenkreis (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Dieser beschränkt sich auf einen Teil des nach dem BSHG berechtigt gewesenen Personenkreises, wobei für die nicht nach dem SGB II berechtigten Hilfebedürftigen die gleich strukturierte und derzeit gleich hohe Leistung nach dem SGB XII vorgesehen ist. Dass auch der Gesetzgeber sowohl Leistungen nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII als "Fürsorgeleistungen"- ansieht, wie sie bis zum 31. Dezember 2004 das BSHG vorsah, belegen die dem Außerkrafttreten jenes Gesetzes Rechnung tragenden Neufassungen beispielsweise der §§ 31 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 oder 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG; vermutlich Folge eines "redaktionellen Versehens" ist die unterbliebene Neufassung des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG).

Unerheblich ist, dass die Bundesrepublik Deutschland - entgegen ihren sich aus Artikel 16 Abs. a und b EFA ergebenden Verpflichtungen - das Außerkrafttreten des BSHG bzw seine Ablösung durch das SGB II und das SGB XII dem Generalsekretär des Europarates bislang offenbar nicht mitgeteilt hat - jedenfalls ist im Anhang 1 des Abkommens (neben einzelnen Bestimmungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch und des Infektionsschutzgesetzes) noch das BSHG ("zuletzt geändert durch das Gesetz vom 13. September 2001") genannt. Aus dem Umstand, dass nach Art 2 EFA nur die im Anhang genannten Rechtsvorschriften Anwendung finden und keine Anpassung an die aktuelle Gesetzlage erfolgt ist, kann nicht der Schluss gezogen werden, das EFA finde keine Anwendung (so aber Bayerisches LSG, Beschluss vom 04. Mai 2009 - L 16 AS 130/09 B ER, juris RdNr 30). Denn die Aufnahme in den Anhang 1 bzw die entsprechende Mitteilung an den Generalsekretär des Europarates hat - ungeachtet dessen, dass die Anhänge Bestandteil des EFA sind (Art. 19 EFA) - keine rechtsbegründende ("konstitutive"). sondern lediglich klarstellende ("deklaratorische") Bedeutung, um die übrigen Vertragsstaaten über den Stand der Fürsorgegesetzgebung zu unterrichten (BVerwG, aaO, juris RdNr 19 und BVerwGE 111, 200, 206f.). Andernfalls hätte es - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - ein Vertragsstaat in der Hand, durch das - abkommenswidrige - Unterlassen einer nach Artikel 16 vorgeschriebenen Mitteilung den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten nach dem EFA zu gewährende Rechte ("auf kaltem Wege") vorzuenthalten. [...]

Die Rechtsfrage, ob das EFA nur auf diejenigen Ausländer anwendbar ist, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhalten und nicht - zur Vermeidung einer Wanderung aus einem Sozialleistungssystem in ein anderes - auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen in einen Vertragsstaat einreisten (so zum Sozialhilferecht: Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 22. April 2003 - 16 S 9.03, juris), ist hier nicht entscheidungserheblich, denn der Kläger ist nicht als bereits bedürftige Person eingereist. Der Kläger verfügte zum Zeitpunkt seiner Einreise noch über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung. An der Richtigkeit seiner diesbezüglichen, in der mündlichen Verhandlung des Senats gemachten Angaben zu zweifeln, besteht schon deshalb kein Anlass, weil er erst am 28. Januar 2008 bei der BA die Auszahlung seines aus Frankreich exportierten, das Existenzsicherungsniveau klar übersteigenden Anspruches auf Arbeitslosengeld beantragte und erstmals am 28. April 2008, und damit etwas mehr als vier Monate nach seiner Einreise, existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II beantragt hat.

Dem Anspruch des Klägers kann schließlich auch nicht entgegen gehalten werden, dass das SGB II als späteres Gesetz dem Abkommen vorgehen würde. Der aus dem rechtsstaatlichen Postulat der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung abgeleitete ungeschriebene, aber gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtssatz "lex posterior derogat legi priori" gilt zwar auch im Verhältnis von einfachem Bundesgesetzesrecht zu völkerrechtlichem Vertragsrecht, das nach Art 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht mit dem Range einfachen Bundesrechts transformiert worden ist. Er beansprucht aber nur Geltung für die Lösung temporaler Kollisionen tatbestandsidentischer Normen und nur für den Fall, dass sich dem jüngeren Gesetz im Wege der Auslegung keine Aussage über das Schicksal des älteren Rechts entnehmen lässt (vgl. BVerwG, aaO, mwN). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12. Alt. SGB II bezieht sich auf alle arbeitssuchenden Ausländer, nicht nur auf solche, die zu den Signatarstaaten des EFA gehören. Für arbeitssuchende Ausländer aus den Signatarstaaten ist das EFA daher die speziellere Norm. Außerdem ist im allgemeinen nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 26. März 1987 - 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85, BVerfGE 74, 358, 370). Darauf deutet hier nichts hin. Abgesehen davon bleiben nach § 30 Abs. 2 SGB I "Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts (von den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs) unberührt." [...]