VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 25.02.2008 - 21 B 06.30145 - asyl.net: M16548
https://www.asyl.net/rsdb/M16548
Leitsatz:

Zur Abschiebungsanordnung in Dublin-Verfahren.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Italien, Abschiebungsanordnung, Abschiebungsandrohung, sichere Drittstaaten
Normen: VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 1, VO 343/2003 Art. 19, AsylVfG § 26a Abs. 1 S. 1, GG Art. 16a Abs. 1, AsylVfG § 29 Abs. 3 S. 1, GG Art. 16a Abs. 5
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat zutreffend nach § 26 a Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG festgestellt, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht. Nach § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen. Unstreitig ist vorliegend, dass der Kläger über Italien in das Bundesgebiet eingereist ist. Italien ist als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG verfassungsrechtlich sicherer Drittstaat im Sinn des § 26 a Abs. 1 AsylVfG (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, RdNr. 5 zu § 26 a AsylVfG m.w.N.). Nach § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist bei Ablehnung eines Asylantrags nach § 26 a AsylVfG nur festzustellen, dass dem Ausländer aufgrund seiner Ausreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht.

Die Anwendung von § 26 a Abs. 1 AsylVfG ist auch nicht nach § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ausgeschlossen. Danach ist ein Asylantrag unbeachtlich, wenn aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags ein anderer Vertragsstaat, der als sicherer Drittstaat im Sinn des § 26 a AsylVfG anzusehen ist, die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens besitzt. Diese Voraussetzungen liegen vor, weil Italien sicherer Drittstaat im Sinn des § 26 a AsylVfG ist und nach Art. 10 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig ist. Italien ist daher nach Art. 16 Abs. 1 c Verordnung (EG) 343/2003 verpflichtet, den Kläger wieder aufzunehmen. Dem entsprechenden Ersuchen nach Art. 17 Abs. 1 Verordnung (EG) 343/2003 haben die italienischen Behörden auch zugestimmt.

Zwar ergibt sich die Zuständigkeit Italiens nicht aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags im Sinn von § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, sondern aus europäischem Gemeinschaftsrecht nach Art. 63 Abs. 1 a EG. Im Hinblick darauf, dass § 29 Abs. 3 AsylVfG aufgrund des früher geltenden Schengener Durchführungsabkommens und des dieses ersetzende Dubliner Übereinkommens aufgenommen wurde und dieses gemäß Art. 24 Verordnung (EG) 343/2003 durch die Verordnung abgelöst wurde, wendet der Senat § 26 a Abs. 3 AsylVfG entsprechend auf die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeitsregelung nach dieser Verordnung an (vgl. dazu auch HessVGH vom 21.8.2006 <juris> Nr. 26; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2003 RdNr. 18 zu § 29 AsylVfG; Funke-Kaiser in GK AsylVfG, Stand 2006 RdNr. 6.3, 121 zu § 29 AsylVfG).

Es stand der Beklagten – entgegen der Ansicht des Klägers – daher frei, den Asylantrag nach § 26 a Abs. 1 AsylVfG zu bescheiden. Dies ergibt sich aus § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, wonach § 26 a Abs. 1 AsylVfG unberührt bleibt. § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG wurde aufgrund eines Änderungsantrags des Innenausschusses des Deutschen Bundestags im Frühjahr 1993 in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen und entspricht dem im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers: "Klarstellung, dass die Regelung der §§ 26 a, 34 a AsylVfG Anwendung finden, wenn der Ausländer aus dem zuständigen Vertragsstaat eingereist ist" (vgl. BT-Drs. 12/4984 S. 48). Daraus folgt, dass der Beklagten die Möglichkeit eröffnet werden sollte, auch in den Fällen, in denen für die Durchführung des Asylverfahrens ein anderer Vertragsstaat oder nach Gemeinschaftsrecht ein anderer Mitgliedsstaat zuständig ist, nach § 26 a Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 AsylVfG zu verfahren (vgl. dazu OVG NW vom 30.12.1996 = NVwZ 1997, 1141/1142; HessVGH vom 31.8.2006 <juris> Nr. 28 ff). Die Bestimmung des § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG erweitert damit die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Bundesamts (vgl. OVG NW vom 10.5.2000 = InfAuslR 2001, 94).

Entgegen der Auffassung des Klägers wird durch diesen § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG nicht das gemeinschaftsrechtlich geregelte Zuständigkeitssystem umgangen. Denn der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat wird auch bei Anwendung des § 26 a Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG allein nach Maßgabe des Gemeinschaftsrecht bestimmt.

Daraus ergibt sich, dass die auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung im Bescheid der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden ist. Denn aus der oben genannten Gesetzesbegründung folgt der eindeutige Wille des Gesetzgebers, dass § 34 a AsylVfG in den Fällen des § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gelten soll, in denen ein anderer Staat, der sicherer Drittstaat ist, aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages oder einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Beklagte war danach nicht darauf beschränkt, zur Durchsetzung der Pflicht des Klägers, das Bundesgebiet zu verlassen nach § 35 Abs. 2 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen, sondern konnte die Abschiebung nach Italien anordnen (vgl. Renner, a.a.O., RdNr. 16 zu § 29 AsylVfG).

Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht dem Art. 16 a Abs. 5 GG. Der völkervertragsrechtliche Vorrang an Art. 16 a Abs. 5 GG greift nämlich nicht generell. Er gilt nur, wenn und soweit Drittstaatsregelungen nach Art. 16 a Absätze 2 bis 5 GG einschlägige vertragsrechtliche Regelungen im Sinn von Art. 16 Abs. 5 GG "entgegenstehen". Ansonsten bleibt es bei der Drittstaatsregelung von § 34 a AsylVfG. Da aber § 34 a Abs. 1 AsylVfG bereits bei einem Staat Anwendung findet, bei dem Voraussetzungen sicherer Drittstaat und Einreisestaat (§ 26 a AsylVfG) vorliegen, ist es jedenfalls nicht geboten, nach §§ 35, 36 AsylVfG zu verfahren und eine Abschiebungsandrohung nur deshalb zu erlassen, weil es sich obendrein um einen Vertragsstaat handelt (vgl. so im Ergebnis auch OVG NW vom 17.6.1996 = EZAR 632, Nr. 27).

Im Übrigen kann das Dubliner Übereinkommen (Dublin II) auch deshalb nicht mit Art. 16 a Abs. 5 GG kollidieren, weil sich im Ergebnis der gleiche Vorrang im Licht des Art. 23 Abs. 1 GG n.F. aus ihrem übernationalen Rechtscharakter ergibt, als eine Norm, welche – wie jede EG-Verordnung – nicht für die Mitgliedstaaten, sondern in den Mitgliedstaaten gilt (vgl. dazu Bonk/Pagenkopf in Sachs, Grundgesetz, Kommentar 3. Aufl. 2002 RdNr. 109 zu Art. 16 a; Streihtz in Sachs, a.a.O. RdNr. 54 zu Art. 23 GG). [...]