VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 06.01.2009 - 5 E 1614/07 - asyl.net: M16567
https://www.asyl.net/rsdb/M16567
Leitsatz:

Keine Kostenerstattungspflicht für Sicherheitsbegleitung bei Abschiebung, da diese nicht erforderlich war. Der alleinige Einwand, der Kläger sei in INPOL als Straftäter registriert, reicht dafür nicht aus.

Ausführliche Prüfung der zuständigen Behörde und des zuständigen Gerichts für Abschiebungskosten-Verfahren.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, örtliche Zuständigkeit, Widerspruchsverfahren, Klage, Kostenerstattung, begleitete Abschiebung, Verhältnismäßigkeit, Rückübernahmeabkommen, Jugoslawien, INPOL, Gewaltbereitschaft, Reisekosten,
Normen: VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1, VwGO § 52 Nr. 3 S. 2, VwGO § 58 Abs. 2, AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 71 Abs. 1, VwKG § 14 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 71 Abs. 3 Nr. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

I. Die Klage ist zulässig und auch vor dem örtlich zuständigen Gericht erhoben worden.

Zwar stammt der Ausgangsbescheid, auf den es für die Frage der Passivlegitimation ankommt (vgl. § 78 Abs.1 Nr. 1 VwGO) noch vom Landrat des Main-Taunus-Kreises, der im Einzugsbereich des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main oder – in Asylsachen – im Einzugsbereich des Verwaltungsgerichts Wiesbaden liegt. Die Aufgaben des Landrats des Main-Taunus-Kreises, soweit es sich nicht um allgemeine ausländerrechtliche Maßnahmen gegen Ausländer im Kreisgebiet handelt, sondern um die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern und ihren Familienangehörigen richtete sich bis 31.03.2005 nach der Verordnung über die Zuständigkeit der Ausländerbehörden vom 21. Juni 1993 (GVBl. I S. 260) – HessAuslBehZustV – in der bis 31.03.2005 geltenden Fassung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) HessAuslBehZustV war abweichend von den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen die Kreisordnungsbehörde des Main-Taunus-Kreises auch in den Landkreisen Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, dem Hochtaunuskreis, dem Rheingau-Taunus-Kreis, dem Odenwaldkreis und den Städten Bad Homburg und Rüsselsheim für Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber einschließlich ihrer Familienangehörigen (Ehegatten und minderjährige Kinder), auch wenn sie keinen Asylantrag gestellt haben, zuständig. Diese besondere Ausländerbehörde war in Schwalbach, und nicht, wie die allgemeine Ausländerbehörde, in der Kreisstadt Hofheim am Taunus ansässig. Die für nahezu ganz Südhessen bestehende besondere Zuständigkeit wurde infolge einer Änderung des § 2 HessAuslBehZustV durch Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes zur Kommunalisierung des Landrats sowie des Oberbürgermeisters als Behörden der Landesverwaltung vom 21.03.2005 (GVBl. I S. 229) – HessLROBKommG – mit Wirkung vom 01.04.2005 auf das Regierungspräsidium Darmstadt als Bezirksordnungsbehörde im Regierungsbezirk Darmstadt mit Ausnahme der Städte Darmstadt, Frankfurt am Main, Offenbach am Main und Wiesbaden übertragen. Übergangsweise bestimmt Art. 1 § 1 Abs. 3 HessLROBKommG, dass die bisher vom Landrat des Main-Taunus-Kreises als Behörde der Landesverwaltung wahrgenommenen Aufgaben als Zentraler Ausländerbehörde nach § 2 HessAuslBehZustV (also die in Schwalbach wahrgenommenen Aufgaben) auf das Regierungspräsidium Darmstadt übergehen. Sieht man in dieser Regelung nicht zugleich die Anordnung, noch nicht abgeschlossene Verwaltungsverfahren durch die neu zuständig gewordene Behörde fortzuführen, ergibt sich aus der Rechtsprechung, der das erkennende Gericht folgt, dass bei Übergang eines Aufgabenkreises der öffentlichen Verwaltung auf eine andere öffentlich-rechtliche Körperschaft in Verwaltungsstreitverfahren, die sich auf den übergegangenen Aufgabenkreis beziehen, ein gesetzlicher Parteiwechsel stattfindet, indem die nunmehr zuständige Körperschaft an die Stelle der bislang zuständig gewesenen Körperschaft in das anhängige Verfahren eintritt (OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 06.03.1975 – IV B 1150/74 –, OVGE 31, 8; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.03.1969 – II 708/67 – ESVGH 20, 145; Beschl. v. 08.03.1995 – 8 S 3345/94 – juris). Insoweit geht das Verwaltungsverfahren nach der Kommunalisierung des "staatlichen Landrats" nicht auf den Main-Taunus-Kreis, nunmehr vertreten durch den "kommunalen" Landrat über, sondern verbleibt als Landesangelegenheit beim Land Hessen, das nun durch das Regierungspräsidium Darmstadt vertreten wird. Ein erlassener noch nicht bestandskräftiger Verwaltungsakt des Main-Taunus-Kreises als Zentraler Ausländerbehörde ist hiernach vom Regierungspräsidium Darmstadt zu vertreten.

Nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO bestimmt sich in den Fällen, in denen die Behörde im Bereich mehrerer Gerichtsbezirke zuständig ist, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach dem Wohnsitz des Beschwerten. Schon im Zeitpunkt des Ausgangsbescheides war diese Regelung anwendbar, denn die ZAB des Landrats des Main-Taunus-Kreises war für nahezu ganz Südhessen zuständig. Nun ist es nicht anders. Liegt der Wohnsitz des Beschwerten, wie hier, außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, nämlich in Berlin, findet § 52 Nr. 5 VwGO Anwendung (§ 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO). Also kommt es auf den Sitz der Behörde an. Das ist, weil Schwalbach nicht mehr in Betracht kommt, Darmstadt. [...]

Gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer die Kosten, die durch die Abschiebung entstehen, zu tragen. Die Kosten der Abschiebung umfassen die Beförderungs- und sonstigen Reisekosten für den Ausländer innerhalb des Bundesgebiets und bis zum Zielort außerhalb des Bundesgebiets (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft und der Übersetzungs- und Dolmetscherkosten und die Ausgaben für die Unterbringung, Verpflegung und sonstige Versorgung des Ausländers (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) sowie sämtliche durch eine erforderliche Begleitung des Ausländers entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Gemäß § 67 Abs. 3 AufenthG werden die Kosten von der nach § 71 zuständigen Behörde durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhoben. Ansprüche auf Kosten verjähren sechs Jahre nach Eintritt der Fälligkeit (§ 70 Abs. 1 AufenthG). [...]

Zu Unrecht werden vom Kläger die Kosten einer Sicherheitsbegleitung verlangt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG setzt die Verpflichtung des Klägers, die Kosten für die jugoslawischen Flugbegleiter den deutschen Behörden im Wege des Auslagenersatzes zu erstatten, nach dem auch im Verwaltungskostenrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne voraus, dass es erforderlich war, den Kläger bei seiner Abschiebung auf dem Rückflug nach Jugoslawien zu begleiten (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKG). Dies kommt auch in § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG mit der dort ausdrücklich vorgenommenen Begrenzung der Kostenhaftung auf eine "erforderliche" Begleitung zum Ausdruck (BVerwG, Urt. v. 14.03.2006 – 1 C 5.05 – NVwZ 2006, 1182 [1184]). Schließlich sieht auch das Protokoll zur Durchführung des Rückübernahmeabkommens zwischen Deutschland und Jugoslawien vor, dass eine individuelle Begleitung nur erfolgt, wenn sie "erforderlich" bzw. "notwendig" ist (Abschn. I Nr. 9 und Abschn. II Nr. 4). Erforderlich ist in allen diesen Zusammenhängen eine Begleitung lediglich dann, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe hierfür gibt. Die Begleitung muss objektiv erforderlich sein (BVerwG, Urt. v. 14.03. 2006 – 1 C 5.05 – NVwZ 2006, 1182 [1184]). Sofern die Erforderlichkeit einer Begleitung aus Sicherheitsgründen oder aufgrund anderer Umstände nicht offen zutage liegt, muss sie von der Behörde ggf. in nachvollziehbarer Weise benannt und belegt werden (BVerwG, Urt. v. 14.03.2006 – 1 C 5.05 – NVwZ 2006, 1182 [1184]). So sieht das Protokoll auch vor, dass die Erforderlichkeit einer Begleitung von den zuständigen Stellen in Deutschland bzw. in Jugoslawien aufgrund ihrer jeweiligen Erkenntnisse zu beurteilen ist, wobei diese Erkenntnisse der jeweils anderen Seite mitzuteilen sind (Abschn. I Nr. 9 und Abschn. II Nr. 4).

Eine objektive Erforderlichkeit im vorbeschriebenen Sinne vermag das erkennende Gericht auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beigeladenen nicht festzustellen. Der Beigeladenen hatte die Ausländerbehörde am 28.04.1998 – also etwa zwei Wochen vor der Abschiebung – ausdrücklich mitgeteilt, dass mit Widerstand seitens des Klägers und seiner Familie gegen die Abschiebung nicht zu rechnen sei und auch sonst keine Erkenntnisse über den Kläger vorlägen, die eine Sicherheitsbegleitung erforderten. Zutreffend steht es in der grenzpolizeilichen Beurteilung der mit der Rückführung befassten Behörde, über Sicherungsmaßnahmen in eigener Zuständigkeit zu befinden (§ 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), sodass die GD an das Schreiben der Ausländerbehörde vom 28.04.1998 nicht gebunden ist. In diesem Falle ist sie aber verpflichtet, Gründe vorzutragen, die aus ihrer Sicht die Begleitung erfordern. Solche Gründe sind in nachvollziehbarer Weise nicht vorgetragen worden. Der alleinige Einwand, der Kläger sei in INPOL als Straftäter registriert, reicht dafür nicht aus. Zur Begründung der Erforderlichkeit einer amtlichen Begleitung darf die Behörde nicht lediglich auf registrierte Verurteilungen oder eingestellte Ermittlungsverfahren zurückgreifen, wenn sich hieraus eine Gewaltbereitschaft nicht offensichtlich ergibt (VG Hamburg, Urt. v. 28.06. 2007 – 15 K 2007/06 – juris, Rdnr. 40; ähnlich VG Darmstadt. 8. Kammer, Urt. v. 18.01.2006 – 8 E 1402/05 – juris, Rdnr. 32). Die Behauptung, der Kläger sei Betäubungsmittelkonsument, reicht für sich genommen ebenfalls nicht aus. Abgesehen davon hat das AG Frankfurt dem Kläger den Eigenkonsum nicht abgenommen, sondern anklingen lassen, es halte einen Handel des Klägers mit Betäubungsmitteln für möglich, um an Geld zu kommen (Urteilsabdruck S. 3 – Bl. 56 der Ausländerakte). In der Akte der Beigeladenen findet sich in der Benachrichtigung an das jugoslawische Innenministerium lediglich der Vermerk, der Kläger sei Straftäter, weswegen die verstärkte Maßnahme der amtlichen Begleitung erforderlich sei (Bl. 27 der dortigen Akte). Weitere Anhaltspunkte für eine besondere Gefährlichkeit des Klägers liegen nicht vor. Ebenso wenig liegt eine Äußerung der jugoslawischen Seite vor, wonach die Begleitung von dort aus als erforderlich angesehen werde. [...]