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OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.02.2002 - 10 A 11457/01. OVG - asyl.net: M1658
https://www.asyl.net/rsdb/M1658
Leitsatz:

Asylfolgeantrag: Gutachten über schwere Traumatisierung wegen Misshandlungen im Herkunftsstaat können neue Beweismittel sein; späte Aufnahme der Behandlung der Traumatisierung kein grobes Verschulden gem. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, Verzerrungen und Ungereimtheiten in den Aussagen eines traumatisierten Folteropfers sind typisch, weshalb die Anforderungen an die Genauigkeit und Widerspruchsfreiheit nicht überspannt werden dürfen; Asylanerkennung nach Unterstützung einer kurdischen Guerilla, Verhaftung und Misshandlung, Rückkehrkontrollen, keine inländische Fluchtalternative in der Westtürkei wegen Razzien und Personenkontrollen.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, Traumatisierte Flüchtlinge, Folteropfer, Fachärztliches Gutachten, Posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, PKK, Sympathisanten, Verdacht der Unterstützung, Separatisten, Haft, Folter, Hausdurchsuchung, Interne Fluchtalternative, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Reisedokumente
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

 

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages ein weiteres Asylverfahren dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. So liegt es hier.

Nachdem das Asylverfahren der Kläger zu 3) und zu 4) mit Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße vom 23. Dezember 1997 (11 K 260/97.NW) und das der Kläger zu 1) und zu 2) mit Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 2. September 1999 (1 K 2270/96.MZ) rechtskräftig abgeschlossen waren, haben sie mit Schriftsatz vom 20. Februar 2000 den Asylfolgeantrag gestellt. Dabei haben sie unter Vorlage des psychologischen Gutachtens des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt vom 17. Februar 2000 geltend gemacht, nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Mainz vom 2. September 1999 in den Besitz eines neuen Beweismittels gelangt zu sein. Aufgrund des Gutachtens stehe nämlich nunmehr fest, dass der Kläger zu 1) wiederholt in das Visier der türkischen Sicherheitskräfte geraten und auch schwersten Folterungen ausgesetzt gewesen sei. Dies gelte nicht nur für den Vorfall im (...) sondern auch für den im (...).

Mit diesem Vorbringen hat der Kläger zu 1) ein neues Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt. Es erscheint auch - was nach der genannten Vorschrift weiterhin erforderlich aber auch ausreichend ist (vgl. dazu: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 51 Rdnr. 34 m.w.N.) - nicht offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise eindeutig ungeeignet, um eine dem Kläger zu 1) günstigere Entscheidung herbeigeführt zu haben. Im Gegenteil führt dieses psychologische Gutachten des (...) - wie später noch auszuführen sein und deshalb zur Vermeidung von Widerholungen hierauf verwiesen wird - zumal unter Berücksichtigung der weiteren Umstände tatsächlich zu einer anderen Beurteilung des Asylbegehrens des Klägers zu 1).

Schließlich kann dem Kläger zu 1) auch nicht vorgehalten werden, er habe grob schuldhaft den Grund für das Wiederaufgreifen in dem Asylerstverfahren, insbesondere durch einen Rechtsbehelf, nicht geltend gemacht (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG). Hierbei ist nämlich zu sehen, dass seine Angst, sich wegen der bestehenden Traumatisierung untersuchen und therapieren zu lassen, eine Verdrängung der Ursachen seiner Erkrankung darstellt und deshalb die bestehende psychische Krankheit gerade die Einsicht in ihre Existenz und Behandlung verschließt. Dieser Wirkungszusammenhang war dem Kläger zu 1) jedenfalls bis zur Erstellung und Vorlage des in Rede stehenden Gutachtens vom (...) nicht bewusst, geschweige denn, dass er zuvor entsprechend dieser Einsicht hätte handeln können. Von daher kann ihm nicht als grobes Verschulden i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG angelastet werden, sich nicht früher einer psychologischen Untersuchung und Begutachtung unterzogen zu haben.

Dass der Asylfolgeantrag vom 20. Februar 2000, mit dem das Gutachten vom (...) vorgelegt wurde, die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gewahrt hat, liegt auf der Hand und bedarf keiner Erörterung.

Das danach gebotene Wiederaufgreifen führt - wie im Folgenden auszuführen sein wird - zur Anerkennung des Klägers zu 1) als Asylberechtigtem.

Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland ist für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass er bereits unmittelbar an den Grenzen der Türkei im Rahmen der dort zu verzeichnenden Rückkehrkontrollen erhebliche, asylbeachtliche Repressalien befürchten muss.

So hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung in den jeweils zur Entscheidung anstehenden Fällen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung aus Gründen der Vorflucht etwa dann angenommen, wenn der Betreffende schon vor seiner Ausreise aus der Türkei im Blickfeld der Sicherheitskräfte war, weil er seit Jahren als Unterstützer und Sympathisant der PKK galt und deshalb im Verdacht der "politischen Unzuverlässigkeit" und des "Separatismus" stand (vgl. z.B. das vom 3. Mai 1996 - 10 A 122267/95.0VG -).

Der Senat setzt sich sodann unter Auswertung der vom Kläger vorgelegten fachärztlichen Gutachten ausführlich mit dem Vortrag zu seiner individuellen Verfolgung und der Glaubwürdigkeit dieses Vortrages vor dem Hintergrund der bestehenden Traumatisierung auseinander.