OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.01.2010 - 3 N 105.08 - asyl.net: M16593
https://www.asyl.net/rsdb/M16593
Leitsatz:

Berufungszulassung - Das Rügerecht geht verloren, wenn ein Antragsteller auf die Bescheidung seines Beweisantrags verzichtet. Ein Bevollmächtigter hat nur ein Rügerecht, wenn er zuvor alle ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen. Ist ein verfahrensfehlerhaft nicht eingeführtes Erkenntnismittel der Prozesspartei nicht ohne Weiteres zugänglich, so muss sie es innerhalb der Rechtsmittelfrist bei Gericht anfordern, es überprüfen und dann im Einzelnen darlegen, was sie zu den darin enthaltenen Feststellungen ausgeführt hätte.

Schlagwörter: Prozessrecht, Berufungszulassung, Bescheidung über Beweisantrag, unsubstanziierte Tatsachenbehauptung, Gehörsverstoß, rechtliches Gehör, Darlegungsanforderungen, Beruhen,
Normen: VwGO § 86 Abs. 2, AsylVfG § 78 Abs. 4 Satz 4
Auszüge:

[...] Ein Antragsteller kann auf die Bescheidung seines Beweisantrags verzichten. Hierdurch geht das Rügerecht verloren (vgl. BFH, Beschluss vom 31. Januar 1989 - 7 B 162/88 -, NVwZ-RR 1990, 335; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124 Rn 216; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 86 Rn. 20). Entsprechendes gilt auch im Fall des Klägers. Seine Bevollmächtigte hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung erklärt, sie sei damit einverstanden, dass über die Beweisanträge außerhalb der mündlichen Verhandlung entschieden wird. Damit hat sie auf die Einhaltung der prozessualen Vorschrift des § 86 Abs. 2 VwGO verzichtet.

Ohne Erfolg beruft der Kläger sich darauf, seine Bevollmächtigte habe ihre Erklärung so gemeint, dass das Verwaltungsgericht über die Beweisanträge "wie oftmals üblich" nach der mündlichen Verhandlung durch Beschluss entscheidet und diesen Beschluss den Beteiligten mit der Möglichkeit der Stellungnahme übersendet. Für die Üblichkeit jener Verfahrensweise ist nichts dargetan. Im Übrigen hat die Bevollmächtigte nach Anbringung ihrer Beweisanträge und noch vor Erklärung ihres Einverständnisses mit einer Entscheidung "außerhalb der mündlichen Verhandlung" die Sachanträge gestellt. Das Verwaltungsgericht hat sodann den Beschluss verkündet, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergeht. Diese Rechtsanwälten geläufige Formulierung kündigt an, dass das Gericht am Schluss der Sitzung eine Entscheidung verkündet. Ein den Beteiligten gesondert bekannt zu gebender schriftlicher Beschluss hingegen wäre nicht am Schluss der Sitzung ergangen. Die Bevollmächtigte des Klägers konnte also nicht darauf vertrauen, dass das Verwaltungsgericht über ihre Beweisanträge im Dezernatswege befinden und eine Entscheidung zustellen wird. Vielmehr musste sie, besonders nachdem die Sachanträge bereits gestellt waren, damit rechnen, dass am Schluss der Sitzung ein Urteil verkündet werde. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (u.a. Beschluss vom 10. Februar 1987 - 2 BvR 314/86 -, BVerfGE 74, 220, 225) und des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 6. April 2004 - 9 B 21.04 -, juris) sowie der Rechtsprechung des Senats (u.a. Beschluss vom 24. November 2009 - OVG 3 N 7.08 -) kann ein Verfahrensbeteiligter einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs mit Erfolg nur rügen, wenn er zuvor alle ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Bevollmächtigte des Klägers (sogar) verpflichtet gewesen wäre, die für das Ende der Sitzung angekündigte Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuwarten (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 3. März 1997 - 12 UZ 4835.96.A -, juris Rn. 8). Jedenfalls war sie auf die Ankündigung des Einzelrichters, eine Entscheidung ergehe am Schluss der Sitzung, gehalten, sich bei ihm zu vergewissern, dass er ihre Erklärung so wie im Zulassungsvorbringen angegeben verstanden hat. Dass sie dies getan und damit versucht hätte, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, ist substanziiert nicht geltend gemacht. Soweit die Bevollmächtigte dem Verwaltungsgericht gegenüber klargestellt haben soll, dass sie zu der gerichtlichen Entscheidung über ihre Beweisanträge Stellung nehmen wolle, erschließt sich aus dem Zulassungsvorbringen schon nicht, zu welchem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - vor oder nach Stellung der Sachanträge - sie diese (nicht protokollierte) Erklärung abgegeben habe. [...]

4. Schließlich leitet der Kläger einen Gehörsverstoß aus dem Umstand her, dass das Verwaltungsgericht eine Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 30. März 2004 - die offizielle Analphabetenrate in Kamerun betrage etwa 40 Prozent - verwertet habe, ohne sie zuvor in das Verfahren einzuführen. Auch diese Rüge entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG. Der Kläger legt nicht dar, was er vorgetragen hätte, wenn ihm die Auskunft des Verwaltungsgerichts rechtzeitig bekannt gewesen wäre. Ist ein verfahrensfehlerhaft nicht eingeführtes Erkenntnismittel der Prozesspartei nicht ohne Weiteres zugänglich, so muss sie es innerhalb der Rechtsmittelfrist bei Gericht anfordern, es überprüfen und dann im Einzelnen darlegen, was sie zu den darin enthaltenen Feststellungen ausgeführt hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 1 B 161.04 -, Buchholz 310 § 133 [n.F.] VwGO Nr. 81). Dies hat der Kläger nicht getan. [...]