SG Braunschweig

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Zitieren als:
SG Braunschweig, Beschluss vom 10.02.2010 - S 20 AY 1/10 ER - asyl.net: M16622
https://www.asyl.net/rsdb/M16622
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Kürzung der Grundleistungen nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG, da aktuell die Kausalität zwischen fehlender Mitwirkung und Nichtvollziehbarkeit der Ausreisepflicht fehlen dürfte. Bei summarischer Prüfung liegt ein Abschiebungshindernis wegen des Fehlens der notwendigen medizinischen Behandelbarkeit der HIV-Infektion in Ghana bzw. Liberia vor.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Asylfolgeantrag, Kausalität, HIV/AIDS, medizinische Versorgung, Ghana, Liberia, Mitwirkungspflicht, Identität
Normen: SGG § 86b Abs. 2 S. 2, AsylbLG § 1a Nr. 2, § 71 Abs. 5 S. 2
Auszüge:

[...]

Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, zu denen der Antragsteller gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG gehört, haben grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG. Nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG erhalten u.a. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG nur Leistungen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.

Der Antragsteller ist seit dem Abschluss seines Asylerstverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Die Vollziehbarkeit dieser Ausreisepflicht wird auch nicht durch den Antrag vom 3. Oktober 2009 auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG berührt, denn es handelt sich hierbei nicht um einen Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG, so dass auch nicht die Folgen des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG eintreten.

Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 1 a Nr. 2 AsylbLG wegen der Zweifel an der Identität des Klägers, insbesondere seiner Staatsangehörigkeit (Ghana oder Liberia), erfüllt sind, denn es gibt gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass dieser Umstand zumindest aktuell nicht mehr kausal dafür ist, dass die Ausreisepflicht nicht vollzogen werden kann. Denn der Antragsteller befindet sich nach der ärztlichen Bescheinigung der ... vom 6. Oktober 2009 seit Januar 2005 wegen der bei ihm vorliegenden HIV-Infektion in Behandlung. Diese Erkrankung hat bei ihm derzeit die Phase CDC A3 erreicht, d.h. es liegt eine akute symptomatische HIV-Erkrankung vor, bei der die CD4-Zellen/Prüfeinheit bei inzwischen <200 liegen (vgl. www.pschyrembel.de). Bei dieser Sachlage ist zweifelhaft, ob der Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland die erforderliche medizinische Hilfe erhalten kann. In diesem Fall lägen die Voraussetzungen für die Feststellunge eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Hierüber hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu entscheiden. Es ist nicht (mehr) absehbar, ob insoweit ein zeitnahe Entscheidung ergehen wird, weil nach neuer Auskunft der bisherige Sachbearbeiterin des Bundesamtes sie das vorliegende Verfahren aufgrund interner allgemeiner Zuständigkeitsregeln an die Zentrale in Nürnberg abgeben musste, weil hier beim Antrag vom 3. Oktober 2009 die Frist des § 51 VwVfG versäumt worden so dass die nach §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 VwVfG zu treffende Ermessensentscheidung zentral in Nürnberg zu treffen ist.

Nach summarischer Prüfung kann nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller in seinem Heimatland die notwendige medizinische Versorgung für seine HIV-Erkrankung erhalten kann, Nach dem noch aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Lage in Ghana vorn 16. Juni 2008 (Stand: Februar 2008) kann bei summarischer Prüfung nicht ganz ausgeschlossen werden, dass HIV-Infizierte wegen der starken Diskriminierung in Krankenhäusern nicht behandelt werden. Auch ist bei der hier zu treffenden Eilentscheidung nicht hinreichend sicher festzustellen, inwieweit sich die Lage seit der Beteiligung am WHO-Programm zur Bereitstellung verbilligter Medikamente seit 2003 verändert hat. Soweit es das alternative Heimatland Liberia betrifft, liegen nach einer Recherche bei juris keine aktuellen Erkenntnisse zur dortigen Gesundheitsversorgung vor.

Bei dieser Sachlage trifft die Kammer im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in einer Folgenabwägung eine vorläufige Entscheidung zugunsten des Antragstellers. .[...]