VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 08.02.2010 - 8 E 20018/10 Me - asyl.net: M16624
https://www.asyl.net/rsdb/M16624
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Rechtsschutzinteresse, Zustellung, Konzept der normativen Vergewisserung, Selbsteintritt,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, EG VO Nr. 343/2003 Art. 18 Abs. 1, EG VO Nr. 343/2003 Art. 18 Abs. 7, AsylVfG § 31 Abs. 1, GG Art. 16a Abs. 2 S. 1, GG Art. 19 Abs. 4 S. 1, AsylVfG § 26a Abs. 3
Auszüge:

[...]

1. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig. Dem Antragsteller fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die nach Art. 18 Abs. 1 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - sog. Dublin II-VO - genannte Zwei-Monats-Frist ist abgelaufen, ,so dass der Antrag auf Aufnahme des Antragstellers seitens Griechenland als angenommen gilt. In der Akte befindet sich auch bereits ein Bescheid, aus dem sich ergibt, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag nach § 27 a AsylVfG für unzulässig hält und die Abschiebung nach Griechenland anordnet. Auch der Antragserwiderung ist zu entnehmen, dass sie beabsichtigt, den gefertigten Bescheid alsbald zuzustellen und den Antragsteller gemäß der Dublin II-VO nach Griechenland zu überstellen. Dem Antragsteller ist jedoch nicht zuzumuten, die Zustellung des Bescheides abzuwarten. § 31 Abs. 1 S. 4-6 AsylVfG sieht vor, dass die Entscheidung dem Antragsteller selbst zuzustellen ist und einem beauftragten Bevollmächtigten nur ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet wird. Aus der Zustellpraxis der Antragsgegnerin ist bekannt, dass diese immer erst kurz vor der Abschiebung erfolgen, so dass kaum Zeit bleibt, um Rechtsschutz nachzusuchen (so auch VG Minden, B. v. 10.09.2009 - 9 L 467/09.A -). Darüber hinaus wird der Rechtsschutz dadurch erschwert, dass zwei Behörden der Antragsgegnerin, nämlich deren Außenstellen in Hermsdorf und in Dortmund sowie die Ausländerbehörde in den Dublin II-Verfahren involviert sind und aufgrund dessen Zweifel daran bestehen, dass die mit der Abschiebung befasste Stelle bei der genannten Zustellpraxis rechtzeitig erreicht werden könnte, was für den Antragsteller zu Rechtsnachteilen im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG führen könnte (VG Meiningen, B.v.22.07.2009 - 8 E 20082/09 Me -). [...]

2. Der Antrag ist auch begründet. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antragsteller damit rechnen muss, im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin II-Verordnung als Asylsuchender nach Griechenland überstellt zu werden. Wie bereits oben ausgeführt, hat die Antragsgegnerin zwar den Bescheid noch nicht erlassen, dem Antragsteller ist es aber aus den genannten Gründen nicht zuzumuten, zunächst die Zustellung eines solchen Bescheids abzuwarten. Bliebe dem Antragsteller der Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, würde er in der Hauptsache aber obsiegen, könnten möglicherweise bereits eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen im Zuge seiner Überstellung nach Griechenland nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden. Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Antragsteller der Erfolg in der Hauptsache aber letztlich versagt bliebe, wiegen demgegenüber weniger schwer, auch wenn es sich bei dem Antragsteller um keine der Personen handelt, die vom Bundesamt als besonders schutzbedürftig angesehen werden.

Auch der Anordnungsanspruch ist hinreichend glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers zu den Verhältnissen für Asylbewerber in Griechenland, der verschiedenen von seinem Bevollmächtigten zitierten Erkenntnisquellen sowie der umfassenden bisherigen Rechtsprechung zur Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland auf der Grundlage der Dublin II-Verordnung (z.B. VG Frankfurt/Oder, B. v. 06.01.2010 - 7 L 319/09 -; VG Frankfurt/Main, B.v.16.11.2009 - 7 L 3684/09 A -; VG Koblenz, B.v.30.11.2009 - 1211/09.KO -; VG Arnsberg, B.v.15.12.2009 - 8 L 699/09 A. -; VG Sigmaringen, U. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -; VG Berlin, B.v. 22.10.2009 - 33 L 225.09. A ; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 07.10.2009, - 8 B 1433/09 -, AuAS 2009, 23) liegen die Voraussetzungen vor, insbesondere vor dem Hintergrund der eben angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und auch der selbst von der Antragsgegnerin eingeräumten nach wie vor bestehenden Probleme - selbst wenn sich die Verhältnisse in Griechenland in letzter Zeit etwas verbessert haben sollten -. Im Hauptsacheverfahren ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung trifft, wenn eine Abschiebung in einen nach der Dublin II-Verordnung zuständigen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft - hier Griechenland - Verfahrensgegenstand ist, und ob etwaige Vorgaben einer Überstellung entgegenstehen und der Antragsteller einen Anspruch auf den Selbsteintritt der Antragsgegnerin gemäß Art. 3 der Dublin II-VO hat. Die Erfolgsaussichten einer solchen Prüfung im Hauptsacheverfahren sind offen. Die Prüfung der rechtlich komplexen Fragen ist im Verfahren eines vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich (VG Minden, B. v. 10.09.2009, a.a.O.). [...]