VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 18.02.2010 - 1 L 1596/09.KS.A - asyl.net: M16664
https://www.asyl.net/rsdb/M16664
Leitsatz:

Vorbeugender Rechtsschutz gegen eine Dublin-Überstellung nach Griechenland.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Zustellung, Rechtsweggarantie, Abschiebungsanordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 1, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a
Auszüge:

[...]

Eine solche Situation liegt in Bezug auf Griechenland vor. Wie schon das erkennende Gericht (Beschl. v. 13.10.2009, Az.: 1 L 1205/09.KS.A), das VG Gießen (Beschl. v. 22.04.2009, Az.: 1 L 775/09.GI.A) und das VG Frankfurt/Main (Urt. v. 08.07.2009, Az.: 7 K 4376/07.F.A(3), 7 K 4376/07) festgestellt haben, ist in Griechenland derzeit und in absehbarer Zukunft kein Zugang zu einem richtlinienkonformen Asylverfahren gegeben.

Die diesbezüglichen Schilderungen des Antragstellers hält das Gericht für glaubhaft. Nach Angaben des Antragstellers wurde er auf der Insel Samos festgenommen und dann mit der Aufforderung freigelassen, Griechenland binnen eines Monats zu verlassen. Im Anschluss daran brachte man den Antragsteller mit einem Boot auf das griechische Festland. Nach einer weiteren Festnahme und Gewährung einer erneuten Frist von einem Monat konnte der Antragsteller Griechenland verlassen und in die Bundesrepublik Deutschland gelangen.

Diese Darstellung stimmt überein mit den Feststellungen des UNHCR und auch den Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte Gießen und Frankfurt/Main (a.a.O.), wonach die Auffanglager, darunter auch das in Samos, völlig überfüllt sind und menschenunwürdige Zustände herrschen. Oft werden Asylbewerber sich selbst überlassen, eine Versorgung mit dem Lebensnotwendigen ist nicht gesichert, auch werden Verfahrensgarantien nicht eingehalten. Ein den Kernanforderungen des europäischen Flüchtlingsrechts entsprechendes Asylverfahren ist derzeit in Griechenland nicht gewährleistet. Einem nach Griechenland abgeschobenen Ausländer droht dort die konkrete Gefahr, einem den verfassungsmäßigen Anforderungen nicht genügenden Asylverfahren ausgesetzt zu sein, bis hin zur Kettenabschiebung.

Diese, sich ständig verschärfende, Lage in Griechenland hat das Bundesverfassungsgericht veranlasst, mit Beschluss vom 08.09.2009 (Az.: 2 BvR 56/09) die Frage, ob über den sicheren Drittstaat Griechenland eingereiste Asylbewerber wieder dorthin überstellt werden können, als offen zu bezeichnen und einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Dieser Rechtsauffassung wie auch den überzeugenden Argumenten des VG Gießen und des VG Frankfurt/Main schließt sich der erkennende Einzelrichter ausdrücklich an.

Soweit der Antragsgegner vorträgt, es fehle an einer Darlegung einer individuellen Gefährdungslage und deshalb sei der Eilantrag abzulehnen, so vermag sich der erkennende Einzelrichter dieser Auffassung nicht anzuschließen. Die derzeitige Lage der in Griechenland lebenden Flüchtlinge hat sich, wie unlängst auch in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 04.02.2010 zu lesen, war, nicht verbessert und muss als katastrophal bezeichnet werden. Angesichts der schlechten Finanzlage des Landes ist davon auszugehen, dass dies sich noch verschlimmern wird, so dass nach derzeitigem Erkenntnisstand auch bei erwachsenen, männlichen Asylbewerbern es zumindest offen ist, ob diese in Griechenland ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchlaufen können und deshalb eine Abschiebung von Asylbewerbern nach Griechenland zunächst, d.h. bis zur Entscheidung in der Hauptsache, nicht erfolgen darf. [...]