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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 127 ff.] - asyl.net: M16690
https://www.asyl.net/rsdb/M16690
Leitsatz:

1. Ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, bestimmt sich gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte.

2. In einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt können Kriegsverbrechen nicht nur gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch gegenüber Kämpfern der gegnerischen Partei begangen werden.

3. Werden Kampfhandlungen von Kämpfern in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst, erfüllen sie in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat (Nr. 2).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Ausschlussgrund, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Kämpfer, Kriegsverbrechen, Terrorismus, Völkerstrafrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Tschetschenien, Tschetschenen, Russische Föderation
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1, GFK Art. 1 F, GFK Art. 33 Abs. 2, IStGH-Statut Art. 7, IStGH-Statut Art. 8, IStGH-Statut Art. 25, IStGH-Statut Art. 27, IStGH-Statut Art. 28, VwGO § 108 Abs. 1, VwGO § 137 Abs. 2, VwGO § 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, RL Nr. 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL Nr. 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1, RL Nr. 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2
Auszüge:

[...]

2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingseigenschaft des Klägers nicht entgegen. Zwar habe der Kläger nach eigenen Angaben während des zweiten Tschetschenienkriegs mit anderen Rebellen in einer Kampfgruppe Anschläge auf russische Einheiten verübt und russische Soldaten getötet. Seine Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen, bei denen die Zivilbevölkerung nicht in Mitleidenschaft gezogen worden sei, erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen der Ausschlussgründe. Diese Annahme schöpft den Begriff des Kriegsverbrechens in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG nicht aus. Sie verletzt zudem § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG, weil sie allein auf die Angaben des Klägers gestützt ist und damit auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage beruht.

a) Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG), vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu einer derartigen Straftat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Mit den seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensgesetz geregelten Ausschlussgründen für die Flüchtlingsanerkennung hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Diese gemeinschaftsrechtliche Regelung geht ihrerseits auf die schon in Art. 1 F des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II, 559) - Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - aufgeführten Ausschlussgründe zurück.

b) Die Vorstellung einer Begrenzung des Asyls findet sich bereits bei Hugo Grotius (De iure belli ac pacis, 1625, L. II, Cap. XXI, § 5). Danach genießt Asyl nur, wer unter "unverdienter Verfolgung" leidet; der Schutz bleibt jedoch denjenigen vorenthalten, die Unrecht gegen andere oder gegen die menschliche Gesellschaft verübt haben. Dieser Gedanke hat in den - sich voneinander nicht substanziell unterscheidenden - Ausschlussregelungen der Art. 1 F GFK, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG und § 3 Abs. 2 AsylVfG seinen Niederschlag gefunden.

aa) Die schon in der Genfer Flüchtlingskonvention erfassten Ausschlussgründe lassen sich auf zwei Regelungen zurückführen: In den Beratungen des Abkommens wurde auf die Constitution of the International Refugee Organization (IRO) vom 15. Dezember 1946 zurückgegriffen, die den Flüchtlingsbegriff auf "bona fide refugees" beschränkte und davon u.a. "war criminals" ausnahm. Zum anderen diente als Vorbild Art. 14 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, demzufolge das Asylrecht nicht in Anspruch genommen werden kann im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

Bei Ausarbeitung des Art. 1 F Buchst. a GFK bestand Einigkeit unter allen Vertretern der beteiligten Staaten darüber, dass Kriegsverbrecher vom Schutz der Konvention ausgeschlossen sein sollten. Bejaht wurde auch die Frage, ob eine Regelung nach Aburteilung der Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs noch notwendig sei (E/AC.32/SR.5 S. 5, 11 und 16, in: Takkenberg/Tahbaz, The collected Travaux Préparatoires of the 1951 Geneva Convention relating to the Status of Refugees, Vol. I Early History and the Ad Hoc Committee on Statelessness and Related Problems, 16 January - 16 February 1950 Lake Success, New York, published by the Dutch Refugee Council under the auspices of the European Legal Network on Asylum, Amsterdam 1989, S. 175, 178 und 180). Vorgesehen war zunächst eine explizite Bezugnahme auf Art. VI der Charter of the International Military Tribunal vom 8. August 1945 (nachfolgend: Londoner Charta), in dem Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert worden waren (Art. 1 B des Vorschlags der Arbeitsgruppe vom 23. Januar 1950 - E/AC.32/L.6, in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. I, S. 361). Der Verweis auf die Londoner Charta wurde auf Betreiben Deutschlands während der Beratung der Konferenz der Bevollmächtigten in Art. 1 F Buchst. a GFK durch eine allgemeine Verweisung auf internationale völkerstrafrechtliche Vertragswerke ersetzt (A/CONF.2/SR.29 S. 9 ff., in: Takkenberg/Tahbaz, Vol. III The Conference of the Plenipotentiaries on the Status of Refugees and Stateless Persons 2 - 25 July 1951 Geneva Switzerland, S. 490 f.).

Demgegenüber war der Ausschluss von "common criminals" gemäß Art. 1 F Buchst. b GFK zunächst umstritten. Von einigen Staaten als selbstverständlich angesehen (E/AC.32/SR.2 S. 9 und E/AC.32/SR.5 S. 5, in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. I, S. 160 und S. 175), stieß er auf den Widerstand des Vereinigten Königreichs (A/CONF.2/SR.24 S. 4 ff., in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. III, S. 429 ff.). Demgegenüber setzte sich vor allem Frankreich für den Ausschluss gemeiner Verbrecher ein und betonte die Notwendigkeit, den Flüchtlingsstatus auf diese Weise vor Misskredit zu schützen (A/CONF.2/SR.24 S. 5 ff. und A/CONF.2/SR.29 S. 19, in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. III, S. 430 und S. 495). Diese Position fand Zustimmung, nachdem der Wortlaut des Konventionstexts - im Vergleich zu Art. 14 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - hinsichtlich des Tatortes (außerhalb des Aufnahmelandes) und der Tatzeit (vor der Aufnahme als Flüchtling) präzisiert worden war, um diesen Ausschlussgrund gegenüber der in Art. 33 Abs. 2 GFK geregelten Ausnahme vom Verbot des Non-Refoulement abzugrenzen. Betont wurde aber zugleich die Notwendigkeit einer ausgewogenen Balance zwischen den gegenläufigen Anliegen eines wirksamen Flüchtlingsschutzes auf der einen und der Vermeidung einer Diskreditierung des Status auf der anderen Seite. Deshalb herrschte Konsens, dass dieser Ausschlussgrund nur nach Begehung schwerer Verbrechen greifen könne (A/CONF.2/SR.24 S. 13 und A/CONF.2/SR.29 S. 18 ff., in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. III, S. 434 und S. 494 ff.).

Die Prüfung und Feststellung, ob der Betreffende eine von den Ausschlussgründen erfasste Handlung begangen hat, sollte dem jeweiligen Aufnahmestaat als souveräne Entscheidung überlassen bleiben (vgl. E/AC.32/SR.18 S. 3: "… they consider a war criminal" und U.N. Doc. E/1618: "… who in its opinion has committed a crime …", in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. I, S. 274 und 405 409>). In diesem Zusammenhang wurden die Anforderungen an das Beweismaß für die Feststellung inkriminierter Taten in der endgültigen Fassung des Einleitungssatzes "… shall not apply to any person with respect to whom there are serious reasons for considering that: …" relativiert.

bb) Die in Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG aufgeführten Ausschlussgründe gehen auf Art. 1 F GFK zurück. Das kommt in Wortlaut und Struktur der Vorschrift sowie der Begründung des Richtlinienvorschlags der Kommission der Europäischen Gemeinschaften deutlich zum Ausdruck (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, vom 12. September 2001, KOM (2001) 510 endgültig, S. 28 f.). Der Text von Buchst. a blieb im Rechtsetzungsverfahren unverändert; Buchst. b wurde hinsichtlich des Zeitpunkts der Begehung der schweren nichtpolitischen Straftat präzisiert (vgl. Ratsdokument 14083/02 S. 18) und um die Variante der grausamen Handlung ergänzt (vgl. Ratsdokumente 9038/02 S. 20 Fn. 2 und 12199/02 S. 17).

cc) Der deutsche Gesetzgeber hat die Ausschlussgründe für die Flüchtlingsanerkennung unter Berücksichtigung des in Art. 1 F GFK enthaltenen Rechtsgedankens erstmals durch das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) in § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG aufgenommen, um die Resolutionen 1269 (1999) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umzusetzen. Dabei wurde in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf das abgesenkte Beweismaß hingewiesen, das keine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt (BTDrucks 14/7386 S. 57). Das Zuwanderungsgesetz hat diese Regelung zum 1. Januar 2005 inhaltlich unverändert in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG (a.F.) übernommen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 91 f.). Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wurde Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt; der Gesetzgeber hat die als Fälle der "Asylunwürdigkeit“ bezeichneten Ausschlussgründe aus systematischen Gründen nunmehr in § 3 Abs. 2 AsylVfG geregelt (BTDrucks 16/5065 S. 187 und 213 f.).

c) § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG verweist zur Definition der Tatbestandsmerkmale Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf "internationale Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen". Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird ein dynamischer Ansatz ersichtlich (Zimmermann, DVBl 2006, 1478 1481 ff.>), mit dem der Gesetzgeber die Fortentwicklung des Völkerstrafrechts als Sanktion für Pflichtverletzungen des Humanitären Völkerrechts rezipiert. Ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, bestimmt sich daher gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl 2000 II S. 1394, nachfolgend: IStGH-Statut) ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte. Denn darin manifestiert sich der aktuelle Stand der völkerstrafrechtlichen Entwicklung bei Verstößen gegen das Humanitäre Völkerrecht.

aa) In Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut werden Kriegsverbrechen differenzierend zwischen Taten in internationalen (Buchst. a und b) und innerstaatlichen (Buchst. c bis f) bewaffneten Konflikten definiert. Buchst. a stellt für den internationalen bewaffneten Konflikt ab auf schwere Verletzungen der vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (1. Konvention - BGBl 1954 II S. 783) sowie der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See (2. Konvention - BGBl 1954 II S. 813), der Behandlung von Kriegsgefangenen (3. Konvention - BGBl 1954 II S. 838) und zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (4. Konvention - BGBl 1954 II S. 917, ber. 1956 II S. 1586) und zählt Tathandlungen gegen die davon geschützten Personen und Güter auf. Buchst. b benennt andere schwere Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche, die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbar sind. Demgegenüber knüpft Buchst. c für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt an schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 an. Er stellt u.a. Angriffe auf Leib und Leben hinsichtlich der Personen unter Strafe, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind. Buchst. e erfasst andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt.

Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut grenzen innerstaatliche bewaffnete Konflikte ab gegenüber Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen. Buchst. f setzt zudem voraus, dass zwischen staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht. Diese in Anlehnung an die Entscheidung der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 2. Oktober 1995 (ICTY-Appeals Chamber Prosecutor v. Tadic, www.unhcr.org/refworld/pdfid/47fdfb520.pdf, Rn. 70, Stand November 2009) getroffenen Regelungen markieren die untere völkerrechtliche Relevanzschwelle für einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Verlangt wird ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts, um den Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates zu rechtfertigen (Werle, Völkerstrafrecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 938 ff. und 952 ff.; vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 208 f.> zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG). Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht explizit festgestellt, dass der zweite Tschetschenienkrieg die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfüllt. Diese Annahme liegt aber, jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum nahe und wurde von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat geteilt.

Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass allein die aktive Teilnahme des Klägers am zweiten Tschetschenienkrieg nicht den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen den Frieden erfüllt. Denn das in § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG rezipierte Völkerstrafrecht enthält - wie das dadurch sanktionierte Humanitäre Völkerrecht - hinsichtlich des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nur modale Regelungen für eine Auseinandersetzung (ius in bello), pönalisiert jedoch nicht die Gewaltanwendung gegen Kämpfer der gegnerischen Partei als solche (ius ad bellum; so auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2008, § 3 Rn. 22). Bei der Prüfung der Beteiligung des Klägers an Kriegsverbrechen hat das Berufungsgericht aber - das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unterstellt - hinsichtlich potentieller Opfer nur auf die Zivilbevölkerung abgestellt (BU S. 41). Das greift zu kurz, da Art. 8 Abs. 2 Buchst. c IStGH-Statut u.a. die Tötung und Misshandlung von Angehörigen der Streitkräfte erfasst, die die Waffen gestreckt haben oder sonst außer Gefecht gesetzt sind. Auch Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX - XI IStGH-Statut erstreckt den Schutz auf gegnerische Kombattanten im Falle meuchlerischer Tötung oder Verwundung, der Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird sowie der körperlichen Misshandlung von Personen, die sich in der Gewalt einer anderen Konfliktpartei befinden. Ob tatsächliche Anhaltspunkte für die Erfüllung dieser Tatbestände gegeben sind, hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

Darüber hinaus beruht die angefochtene Entscheidung, soweit sie eine Beteiligung des Klägers an Kriegsverbrechen verneint (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AsylVfG), auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Das Berufungsgericht hat seine Annahme, dieser Ausschlussgrund stehe der Flüchtlingseigenschaft des Klägers nicht entgegen, allein auf dessen Angaben und die seiner Familienangehörigen gestützt. Das reicht aufgrund der Feststellungen im Berufungsurteil zum Verlauf des zweiten Tschetschenienkriegs nicht aus; das Berufungsgericht selbst weist auf terroristische Anschläge der Rebellen (BU S. 19 f. und S. 41 f.) hin, auf massive Rechtsverletzungen u.a. der tschetschenischen Partisanen (BU S. 20 f.) sowie auf Überfälle und Attentate auf mit der russischen Seite kooperierende Tschetschenen (BU S. 25). Diese Hinweise erfordern (zumindest den Versuch) eine(r) Abklärung mit sonstigen Erkenntnisquellen, ob die Gruppe, der der Kläger angehört hat, im Verdacht steht, an Übergriffen beteiligt gewesen zu sein, die auf Kriegsverbrechen hindeuten. Denn § 3 Abs. 2 AsylVfG greift bereits dann, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Tatbestandsmerkmale für die Ausschlussgründe vorliegen; das abgesenkte Beweismaß verlangt demnach nicht die volle Überzeugungsgewissheit von deren Vorliegen (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 25.07 - Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rn. 20 ff.).

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der zur gleichen Kampfgruppe wie der Kläger gehörende Neffe - der Kläger im Verfahren BVerwG 10 C 23.08 - angegeben hat, die Rebellengruppe habe dem Befehl des Oberführers B. unterstanden. Dazu hat das Auswärtige Amt dem Verwaltungsgericht im Parallelverfahren des Neffen mit Auskunft vom 15. Juni 2004 u.a. mitgeteilt, dass B. einer der Anführer der tschetschenischen Terroristen gewesen sei, die im Oktober 2002 im Moskauer Musical-Theater über 700 Theaterbesucher als Geiseln genommen hätten. Wie alle anderen Geiselnehmer sei er bei der Befreiungsaktion von russischen Sicherheitskräften getötet worden. Die Einbindung des Klägers in diese Kommandostruktur, auf die das Berufungsgericht in seiner Entscheidung nicht eingegangen ist, weckt Zweifel an seinen Angaben und legt deren Überprüfung auf einer objektivierten Tatsachengrundlage nahe. Auch wenn sich der Kläger im Oktober 2002 bereits in Deutschland aufgehalten hat und im Revisionsverfahren vorträgt, der Oberbefehlshaber habe erst später an terroristischen Aktionen teilgenommen, besteht weiter Anlass für eine Aufklärung dieser Umstände. Denn bei der Prüfung der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 AsylVfG sind - wie der Kläger zutreffend bemerkt - von den Tatsacheninstanzen sämtliche für die Tatbestandsmerkmale erheblichen Tatsachen und Umstände sorgfältig und erschöpfend zu ermitteln und zu würdigen.

bb) Dagegen lassen die Feststellungen des Berufungsgerichts mit Blick auf die berufliche Tätigkeit des Klägers in einer als "schariatische Behörde" bezeichneten Sicherheitsabteilung des tschetschenischen Innenministeriums entgegen der Ansicht der Revision keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erkennen; insoweit beruht das Urteil auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage.

Zwar scheidet dieser Ausschlusstatbestand - entgegen der Rechtsauffassung des Klägers - nicht bereits deshalb aus, weil er keine Verfolgung wegen seiner früheren beruflichen Tätigkeit zu befürchten hat. Aus historischen und teleologischen Gründen spricht nichts dafür, den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 AsylVfG durch die Forderung eines spezifischen Zusammenhangs zwischen Verfolgungsanlass und Ausschlussgrund zu verengen. Die Entstehungsgeschichte des Art. 1 F GFK belegt vielmehr deutlich die Einigkeit aller Staaten, dass Kriegsverbrechern i.w.S. der Schutz der Konvention in jedem Falle vorenthalten bleiben sollte. Das Anliegen, den Flüchtlingsstatus vor Diskreditierung zu schützen, vermag die Gegenauffassung, die einen spezifischen Zusammenhang fordert, aber nicht wirksam zu erreichen. Zudem stützen die Materialien die hier vertretene Ansicht dadurch, dass die Loslösung der Flüchtlingsanerkennung von der Frage der Auslieferung betont wird (vgl. nur A/CONF.2/SR.29 S. 17, in: Takkenberg/Tahbaz, a.a.O. Vol. III, S. 494). Aus dem Umstand, dass im Einzelfall ein Zusammenhang zwischen Verfolgungsanlass und Ausschlussgrund bestehen kann, lässt sich nicht ableiten, dass ein solcher von Art. 1 F GFK, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG und § 3 Abs. 2 AsylVfG vorausgesetzt wird. Bei der Prüfung der Ausschlussgründe ist daher das gesamte Verhalten des Schutzsuchenden vor der Einreise in den Blick zu nehmen und nicht nur das, an das die befürchtete Verfolgung anknüpft.

Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut definiert Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Einzeltaten u.a. der vorsätzlichen Tötung, Freiheitsentzug oder Folter, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen werden. Gemäß Absatz 2 Buchst. a der Vorschrift bedeutet "Angriff gegen die Zivilbevölkerung" eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Die Einzeltaten müssen sich demzufolge in einen funktionalen Gesamtzusammenhang einfügen, damit die Gesamttat vorliegt; verklammernd wirkt dabei das finale "Politikelement" (Werle, a.a.O. Rn. 753 ff. und Rn. 770 ff.). Die Feststellungen des Berufungsgerichts (BU S. 41) zur beruflichen Tätigkeit des Klägers legen seine Beteiligung an von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a - k IStGH-Statut erfassten Einzeltaten nicht nahe. Erst recht ist - selbst wenn man derartige Einzeltaten unterstellt - sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht nichts für einen verklammernden Gesamtzusammenhang eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung erkennbar.

d) Das Berufungsurteil verletzt auch § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG. Zwar ist die Auslegung der Norm durch das Berufungsgericht nicht zu beanstanden, aber auch insoweit beruht die angefochtene Entscheidung auf einer den Anforderungen der Vorschrift nicht genügenden Tatsachengrundlage.

Art. 1 F Buchst. b GFK, auf den dieser Ausschlussgrund zurückzuführen ist, dient - wie bereits erläutert - dem Ausschluss "gemeiner Straftäter". Diesen wollte man den Schutz der Konvention vorenthalten, um aus Akzeptanzgründen den Status eines "bona fide refugee" nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Der Straftat muss zunächst ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Nr. 155). Es muss sich also um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (Beschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 Rn. 19).

Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein. Dazu ist auf den Delikttypus sowie die der konkreten Tat zugrunde liegenden Motive und die mit ihr verfolgten Zwecke abzustellen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird (UNHCR, a.a.O. Nr. 152). Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch (House of Lords, Urteil vom 22. Mai 1996 - [1996] 2 All ER 865 - T v. Secretary of State for the Home Department, www.unhcr.org/cgibin/texis/vtx/refworld/rwmain?docid=3ae6b70f4, Stand November 2009). In Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b letzter Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG hat der Gesetzgeber insbesondere grausame Handlungen beispielhaft als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, regelmäßig der Fall (vgl. Abs. 15 der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln: Art. 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, vom 4. September 2003 - HCR/GIP/03/05 -).

Die in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussgründe sind in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nebeneinander anwendbar. Die Entstehungsgeschichte des Art. 1 F Buchst. a und b GFK zeigt, dass der Ausschluss wegen Asylunwürdigkeit zum einen von Kriegsverbrechern i.w.S. und zum anderen von "gemeinen Straftätern" auf unterschiedliche Quellen zurückzuführen und auf verschiedene Szenarien (Delikte im Krieg und Straftaten im Frieden) zugeschnitten ist. Dieser historische Befund trägt aber nicht den Schluss, § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG sei gegenüber Nr. 2 exklusiv oder speziell, denn auch in einem bewaffneten Konflikt können Kämpfer schwere nichtpolitische Straftaten begehen. Allerdings stehen die genannten Ausschlussgründe in einer solchen Konfliktsituation auch nicht isoliert nebeneinander: Vielmehr beeinflusst das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit den dafür vorgesehenen Regelungen des Humanitären Völkerrechts und deren völkerstrafrechtlicher Sanktionierung auch die Maßstäbe, nach denen sich in Nr. 2 insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Mittel beurteilt. Zwar genießen Kämpfer aufständischer Gruppen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt - anders als Kombattanten im internationalen bewaffneten Konflikt - keine Kombattantenimmunität, d.h. sie haben völkerrechtlich kein Recht zur Vornahme bewaffneter Schädigungshandlungen (Ambos, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6/2, 2009, Vor §§ 8 ff. VStGB Rn. 38 m.w.N.). Aber das Völker(straf)recht missbilligt ihre Teilnahme an Kampfhandlungen auch nicht als solche, sondern enthält sich insoweit einer Regelung. Dieser Befund hat Auswirkungen auf die Bewertung einer Tat i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG. Wenn z.B. die Tötung gegnerischer Kämpfer in Kampfhandlungen keinen Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllt und völkerstrafrechtlich nicht zu ahnden ist, dann kann diese Tat nicht ohne Wertungswiderspruch gleichsam automatisch zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Nr. 2 führen. Werden Kampfhandlungen von Kämpfern in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt nicht von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst, erfüllen sie in der Regel auch nicht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat.

Daher ist der Ansatz des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass die politisch motivierte Beteiligung des Klägers an der Tötung russischer Soldaten im Rahmen von Kampfhandlungen der tschetschenischen Kämpfer als solche nicht wegen Unverhältnismäßigkeit den Tatbestand der schweren nichtpolitischen Straftat erfüllt. Aber auch insoweit beruht - wie bereits ausgeführt - die angefochtene Entscheidung auf einer den Anforderungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht genügenden Tatsachengrundlage. [...]