VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 06.10.2009 - A 12 K 3446/09 - asyl.net: M16699
https://www.asyl.net/rsdb/M16699
Leitsatz:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Griechenland ist entgegen § 34a Abs. 2 AsylVfG zulässig, wenn offen zu Tage tritt, dass ein Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Vorliegend jedoch Ablehnung des Eilantrags in der Sache, da der Antragsteller in Griechenland wohl bereits ein Asylverfahren mit negativem Ausgang durchlaufen hat und ihm im Falle eines Refoulement keine Verfolgungsgefahr in Gambia drohen würde.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Griechenland, Konzept der normativen Vergewisserung, Refoulement, Gambia, Verfolgungsgefahr
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2
Auszüge:

[...]

1. Zwar steht seiner Zulässigkeit nicht die Bestimmung des § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine Abschiebungsanordnung in den Fällen des § 26a AsylVfG und jenen des § 27a AsylVfG nicht ausgesetzt werden darf.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 14.5.1996, BVerfGE 94, 49) kann ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat (vgl. § 26a AsylVfG) zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Deswegen kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten "Konzept normativer Vergewisserung" über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, nicht in Betracht. Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es - wie hier - um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht.

Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des "Konzepts normativer Vergewisserung" durch Gesetz berücksichtigt werden können. Das ist nur ausnahmsweise bei wenigen Fallgruppen anzunehmen. Dazu gehören Fallgruppen, die Gefahren im Drittstaat betreffen (Todesstrafe, Oper eines dortigen Verbrechens, Drittstaat greift zur Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung), Dazu gehört aber auch die Fallgruppe, wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Gibt es Anhaltspunkte wie hier Anhaltspunkte für die letztgenannte Fallgruppe, muss vorläufiger Rechtsschutz zulässig sein (so auch VG Schleswig, Beschl. v. 12.8.2009 - 9 B 37/00 - <juris>; VG Stuttgart, 2. Kammer, Beschl. v. 30.7.2009 - A 2 K 2432/09 -).

2. Der somit zulässige Antrag bleibt aber aus den Umständen des Einzelfalles in der Sache ohne Erfolg.

Maßstab dafür, ob die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) in den Fällen des § 27a AsylVfG gegen den Willen des Gesetzgebers ausgesetzt werden kann, ist nicht die Frage, ob im für den Asylantrag zuständigen Staat ein vollständig richtlinienkonformes Verfahren durchgeführt wird. Vielmehr darf nur geprüft werden, ob der Eintritt einer der vom Bundesverfassungsgericht genannten Fallgruppen konkret zu befürchten ist. Das ist aber im Falle des Antragstellers nicht anzunehmen.

Denn dazu reicht es sicher nicht aus, auf die Zustände in Griechenland bzw. im dortigen Asylverfahren allgemein (vgl. dazu nur Schweizer Bundesamt für Migration, Focus Griechenland Asylsystem vom 23.9.2009 oder die Nachweise in VG Frankfurt, Urt. v. 8.7.2009 - 7 K 4376/07.F.A -) abzustellen (so auch VG Stuttgart, 2. Kammer, Beschl. v. 12.5.2009 - A 2 K 1282/09 -; VG Berlin, Beschl. v. 28.5.2009 - 33 L 113.09 A - <juris>). Der Antragsteller hat nach seinem Vorbringen in Griechenland Formulare ausfüllen müssen und wohl sogar eine "rote" (gemeint wohl: rosa) Karte erhalten (vgl. zur Bedeutung dieser rosa Karte Schweizer Bundesamt, a.a.O., S. 5). Es erging - nach seiner Schilderung - auch eine Entscheidung. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass er bereits ein vollständiges Verfahren mit negativem Ausgang durchlaufen hat. Nimmt man noch Erkenntnisse hinzu, dass Rückgeführte aus anderen EU-Staaten ohnehin bevorzugt behandelt werden (vgl. Schweizer Bundesamt, a.a.O., S. 19: Stellungnahme PRO ASYL vom 19.2.2009), ist schon nicht hinreichend wahrscheinlich, dass im Falle des Antragstellers keinerlei Verfahren durchgeführt wird.

Hinzu kommt noch, dass bisherige Aussetzungsentscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte in aller Regel Abschiebungsanordnungen nach Griechenland gegenüber Christen aus dem Irak betrafen. Bei diesen Antragstellern ist, wenn Griechenland sie ohne korrekte Prüfung in ihren Herkunftsstaat (oder jedenfalls in die Türkei und diese dann weiter) abschieben sollte, eine sehr konkrete Gefahr für Leib und Leben zu befürchten. Beim Antragsteller, einem angeblichen Staatsangehörigen Gambias, der Probleme im Zusammenhang mit einer Wahl im Jahr 2001 vorbringt, die ihn im Jahr 2007 zur Ausreise bewogen hätten, drängt sich ein vergleichbarer Gefahrengrad nicht auf. [...]