VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 20.11.2009 - 19 K 4939/07.A - asyl.net: M16727
https://www.asyl.net/rsdb/M16727
Leitsatz:

Keine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in Togo mit der Folge hinreichender Sicherheit vor erneuter Verfolgung; der Widerrufsbescheid wird aufgehoben.

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, Togo, Sippenhaft,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Im vorliegenden Fall ist ein Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht gerechtfertigt, weil sich im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) die Sach- und Rechtslage in Bezug auf Togo nicht wesentlich geändert hat. Der Klägerin war die Rechtsposition nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt worden, weil ihr nach den Feststellungen des Bundesamtes im Bescheid vom 14. November 1994 bzw. aufgrund der Darlegungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 26. Juni 1997 - 4 K 6807/94.A - im Verfahren des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten im Falle einer Rückkehr nach Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Sippenhaft aufgrund der exilpolitischen Tätigkeiten ihres Ehemannes in Deutschland drohte. Diese Gefährdungslage hat sich zur Überzeugung der Kammer bislang nicht derart verändert, dass der Klägerin aus diesem Grunde drohende Verfolgungsmaßnahmen im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind. [...]

Ergänzend wird insbesondere zu dem - eher angespannten und labilen - Verhältnis der Regierung und der Regierungspartei RPT zu den parlamentarischen und außerparlamentarischen Oppositionsparteien darauf hingewiesen, dass nach der Bekanntgabe der Wahl von Lardja Henri Kolani (Q. - außerparlamentarische Opposition) zum Vorsitzenden der Wahlkommission (CENI) die parlamentarische Opposition (UFC/CAR) diese Wahl aufgrund behaupteter unrechtmäßiger Vorgehensweise nicht anerkennt und seither die Sitzungen der Wahlkommission boykottiert. Mitglieder der UFC demonstrierten am 26. September 2009 gegen die Wahl des Vorsitzenden; Mitglieder der CAR hatten sich aufgrund einer Empfehlung des burkinischen Staatspräsidenten einer Teilnahme an dieser Veranstaltung enthalten (vgl. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht 03 - 2009 (Togo)).

Nach Einschätzung ausländischer Beobachter ist zudem noch völlig unklar, ob und inwieweit die Vorbereitungen zu den Präsidentschaftswahlen im Februar 2010 und die Wahlen selbst friedlich verlaufen werden. Bislang haben sich einzig die CAR als parlamentarische Oppositionspartei klar und deutlich für Gewaltverzicht ausgesprochen; für die UFC ist fraglich, ob sie sich mit friedlichen Protesten zufrieden geben wird (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Brüderkrieg in Togo (Mai 2009)).

Auch der Umgang mit dem - oben beschriebenen - Versuch eines Staatsstreichs durch den Halbbruder des Präsidenten - Kpatcha Gnassingbé - und die Aufarbeitung des Prozesses vor den Wahlen wird Aufschluss darüber geben, ob sich das System wirklich und nachhaltig verändert hat. Dabei wird von Bedeutung sein, ob es eine transparente und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den Ereignissen gibt, welchen Haftbedingungen Kpatcha und seine Anhänger ausgesetzt sind und ob die Öffentlichkeit objektiv über den Stand des Prozesses informiert wird. Gerade an einer umfassenden Information der Öffentlichkeit und einer Transparenz des Verfahrens bestehen begründete Zweifel, weil unmittelbar nach dem Putschversuch alle interaktiven Radiosendungen in Togo für drei Tage suspendiert wurden. Dies zeigt deutlich, dass Togo noch demokratische Defizite hat (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Brüderkrieg in Togo (Mai 2009)).

Vor diesem so beschriebenen Hintergrund vermag die Kammer eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in Togo mit der Folge einer hinreichenden Sicherheit der Klägerin vor erneuter Verfolgung derzeit nicht anzunehmen. Die Klägerin war nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts Aachen in dem auf die Anerkennungsentscheidung des Bundesamtes folgenden Urteil vom 26. Juni 1997 aufgrund der exilpolitischen Tätigkeit ihres Ehemannes der Gefahr politischer Verfolgung in Form der Sippenhaft für den Fall einer Rückkehr in ihr Heimatland ausgesetzt. Dass die aufgezeigte Entwicklung der politischen Lage in Togo inzwischen zu einem Wegfall dieser Verfolgungsgefahr für die Klägerin geführt haben könnte, ist derzeit nicht erkennbar.

Zwar wird nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 23. Februar 2006 (Stand: Januar 2006); in neueren Lageberichten finden sich hierzu keine Ausführungen) in Togo Sippenhaft nicht praktiziert. Gleichwohl kann es nach Auffassung der Kammer nicht mit dem vorliegend anzuwendenden strengen Maßstab einer hinreichenden Sicherheit ausgeschlossen werden, dass von staatlicher Seite auch Druck auf Familienangehörige ausgeübt wird, sei es, um eine Verhaltensänderung des jeweils politisch aktiven Familienangehörigen herbeizuführen, sei es sogar, um seiner habhaft zu werden. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass weiterhin Erkenntnisse über die Beobachtung von im Ausland lebenden togoischen Staatsangehörigen im Falle einer exilpolitischen Tätigkeit - hier durch den Ehemann der Klägerin für die Q. als außerparlamentarische Opposition - vorliegen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe: Schwegler/Kirschner, Rückkehrgefährdung bei exil - oppositionellen Tätigkeiten (vom 21. September 2006), S. 4; dies.: Geiser, Mitgliedschaft bei der Union des Forces du Changement (vom 18. Mai 2009), die darauf hinweist, dass insbesondere unbekannte und nicht in der Öffentlichkeit stehende UFC - Mitglieder schweren Menschenrechtsverletzungen seitens der togoischen Behörden ausgesetzt sein können und Opfer und deren Familienangehörige aus Angst vor Repressalien nicht bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen (S. 5)). [...]