OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Urteil vom 09.03.2010 - 4 St RR 102/09 - asyl.net: M16740
https://www.asyl.net/rsdb/M16740
Leitsatz:

Keine Strafbarkeit der Weigerung zur Abgabe einer sog. Freiwilligkeitserklärung. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass das Gesetz - namentlich das Ausländerstrafrecht - von einem nach Deutschland gekommenen Ausländer wahrheitsgemäße Angaben fordert. Denn bereits das einfache Gesetz stellt ausdrücklich unrichtige Angaben eines Ausländers unter Strafe. Vorinstanz: LG München II, Urt. v. 11.3.2009 (M16741).

Schlagwörter: Strafrecht, Ausländerstrafrecht, Freiwilligkeitserklärung, Passpflicht, Mitwirkungspflicht, Pass, Zumutbarkeit, Revision
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 48, AufenthG § 49 Abs. 2, AufenthG, AufenthG § 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ein strafbarer Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 48 Abs. 2 AufenthG liegt nicht vor, weil dem Angeklagten eine Passbeschaffung unzumutbar war. Dies hat das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt.

Nach § 95 Abs. 1 Ziff. 1 AufenthG macht sich ein Ausländer strafbar, wenn er sich, ohne in Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes zu sein, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhält (§ 3 Abs. 1 AufenthG), obwohl er einen Pass in zumutbarer Weise erlangen könnte (§ 48 Abs. 2 AufenthG).

Grundsätzlich kommt ein Ausländer seiner Verpflichtung, sich einen Reisepass zu beschaffen, nur dann nach, wenn er zumindest einen entsprechenden Antrag bei der diplomatischen Vertretung seines Heimatstaates stellt; denn im Regelfall ist es jedem Ausländer zuzumuten, bei dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er vor der Einreise in das Bundesgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, einen Pass zu beantragen, sofern er keinen Anspruch auf Erteilung eines deutschen Passersatzes hat. [...]

Hier hat der Angeklagte keinen Antrag auf Erteilung eines Passes gestellt, weshalb sich zwar grundsätzlich die Annahme verbietet, ein solcher sei in zumutbarer Weise nicht zu erlangen gewesen (BayObLGSt 2004, 96, 99; 2004, 172, 177 f.). Es wäre dem rechtskräftig ausreisepflichtigen Angeklagten grundsätzlich zumutbar gewesen, einen Passantrag bei seiner Auslandsvertretung zu stellen, auch wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt hätte, aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben zu werden (BayObLGSt 2004, 96).

Hierauf kommt es aber ausnahmsweise nicht an, weil die Islamische Republik Iran nach den landgerichtlichen Feststellungen derartig hohe Hürden für eine Beantragung des Reisepasses oder von Passersatzpapieren aufgestellt hat, dass dies im Ergebnis einer Verweigerung des Tätigwerdens der iranischen Auslandsvertretung gleichkommt. [...]

Dem Angeklagten war die Abgabe einer so genannten "Freiwilligkeitserklärung" zwar möglich. Entgegen der Meinung der Revision war ihm aber nicht zumutbar, falsche Angaben zur Freiwilligkeit seiner Rückkehr in den Iran zu machen. Ihm kann jedenfalls nicht der strafrechtliche Vorwurf gemacht werden, seiner Mitwirkungspflicht nicht genügt und damit vereitelt zu haben, dass ihm ein ordnungsgemäßes Passersatzpapier oder ein Reisepass ausgestellt werde. [...]

Die Passbeschaffung war für ihn im Hinblick auf die geforderte Freiwilligkeitserklärung, die er nach den Feststellungen des Landgerichts gegen seinen erklärten Willen, nicht in den Iran zurückkehren zu wollen, abgeben hätte müssen, unzumutbar.

Die Darstellung der Revision überzeugt nicht, soweit sie vorbringt, die von der iranischen Auslandsvertretung abverlangte Freiwilligkeitserklärung des Inhalts "Hiermit erkläre ich, dass ich freiwillig in die islamische Republik Iran zurückkehren möchte.", erschöpfe sich darin, dass der Ausländer damit lediglich seine Bereitschaft, der im Bundesgebiet bestehenden Ausreisepflicht ohne staatlichen Zwang Folge leisten zu wollen, erkläre.

Würde man den Ausländer wegen der Verweigerung der Freiwilligkeitserklärung bestrafen, würde man die Pflicht sanktionieren, zur Erlangung einer ausländischen Identifizierungsurkunde bewusst falsche Erklärungen abgeben zu müssen. Eine solche Handhabung wäre dem deutschen Strafrecht fremd und dürfte verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.

Es ist einem vollziehbar ausreisepflichtigen iranischen Staatsangehörigen, der nicht freiwillig in den Iran zurückkehren will, unzumutbar im Sinne des § 48 Abs. 2 AufenthG, sich einen Pass bei seiner Auslandsvertretung zu verschaffen, solange die Islamische Republik Iran als generelle Voraussetzung der Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung eines Reisepasses oder von Passersatzpapieren den Antragstellern abverlangt, eine Freiwilligkeitserklärung des Inhalts abzugeben, aus freien Stücken in die Islamische Republik Iran zurückkehren zu wollen. Die Passerlangung würde letztlich von einem sachfremden Gesichtspunkt abhängig gemacht werden (vgl. OLG Nürnberg - Urteil vom 16.01.2007, Gz.: 2 St OLG Ss 242/06, zitiert nach Juris dort Rn. 55 ff. m.w.Nachw.)

Verweigert also der Ausländer eine solche Erklärung im Rahmen der für ihn notwendigen Passerlangung, kann er sich nur aus diesem Grund nicht strafbar machen.

Der Senat schließt sich insoweit der überzeugenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg sowie der herrschenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu dieser Problematik an (OLG München Beschluss vom 04.02.2005, 34 Wx 007/05, 34 Wx 7/05 zitiert nach Juris, dort Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.07.1999, 20 W 306/99 zitiert nach Juris, dort Rn. 4 und 7; Kammergericht, Beschluss vom 25.10.1999, 25 W 8380/99; zitiert nach juris; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2005, 22 Ss 26/05, zitiert nach Juris, dort Rn, 15 und 16; OLG Köln, Beschluss vom 10.02.2006, 16 Wx 238/05, zitiert nach Juris, dort Rn. 4; OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2003, 17 W 80/03, bei Melchior Internetkommentar - Abschiebungshaft - Anhang: Entscheidungen im Volltext).

Strafrechtliche Konsequenzen können aus der Tatsache, dass ein Ausländer die eigenen Heimatbehörden bei der Antragstellung auf Ausstellung eines Reisepasses bzw. auf Ausreisepapiere nicht durch die Abgabe wahrheitswidriger Erklärungen täuschen möchte, nicht gezogen werden. Denn der Ausländer steht vor dem für ihn unlösbaren Problem, einerseits im deutschen Verwaltungsverfahren verpflichtet zu sein, wahrheitsgemäße Angaben zu machen, andererseits aber von Deutschen Behörden angehalten zu werden, gegenüber den Behörden seines Heimatstaates falsche Erklärungen abzugeben, was für ihn dort im Falle des Bekanntwerdens möglicherweise zu strafrechtlicher Verfolgung führen könnte.

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vertritt zwar überwiegend, aber auch nicht einhellig, die Meinung, dass es einem Ausländer zumutbar sei, die geforderte Freiwilligkeitserklärung abzugeben. Die Rechtsprechung des OLG Nürnberg steht dazu aus der Sicht des Senats nicht im Widerspruch. Die Zielrichtung des Verwaltungsrechts beruht auf einem anderen gedanklichen Ansatz. Der Eingriff in den Rechtskreis des Betroffenen mag bei verwaltungsgerichtlichen Konsequenzen anders beurteilt werden, als bei strafrechtlichen, womöglich sogar freiheitsentziehenden Maßnahmen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil vom 20.11.2008 zitiert nach juris, dort Rn 3 a.E.).

Verwaltungsrechtlichen Maßnahmen, zum Beispiel die Verweigerung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis bzw. die Leistungskürzung nach § 1 a AsylbLG bzw. der Erlass einer Ausweisungsverfügung, haben nicht den Charakter einer strafrechtlichen Sanktion, sondern verfolgen einen rein ordnungsrechtlichen Sinn (VG Aachen Urteil vom 24.04.2009, 9 K 498/08 zitiert nach Juris, dort Rn. 43 m.w.N.).

Zu Recht hat deshalb das Landgericht ausgeführt, dass das Gesetz - namentlich das Ausländerstrafrecht - von einem nach Deutschland gekommenen Ausländer wahrheitsgemäße Angaben fordert. Denn bereits das einfache Gesetz stellt ausdrücklich unrichtige Angaben eines Ausländers unter Strafe, wie sich aus § 95 Abs.2 Nr. 2 AufenthG und § 95 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 (2. Alt.) i.V.m. § 49 Abs. 1 AufenthG ergibt. [...]