Kein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da dauerhafte Reiseunfähigkeit nicht nachgewiesen.
[...]
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2007 erweist sich (auch) hinsichtlich der Klägerinnen zu 1. bis 3. als rechtmäßig und verletzt diese daher nicht in ihren Rechten, wie es für eine erfolgreiche Klage erforderlich wäre (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie haben weder auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG (Aufenthalt aus humanitären Gründen bei - wie hier- vollziehbarer Ausreisepflicht) einen Anspruch auf Erteilung der von ihnen begehrten Aufenthaltserlaubnisse, noch hat ein solcher Anspruch im Hinblick auf die zum 31. Dezember 2009 ausgelaufene sog. Altfallregelung des § 104a AufenthG bestanden. Letzteres haben die Klägerinnen zu 1. bis 3. durch ihre Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt, so dass für die vorliegende Entscheidung nur noch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bei vollziehbarer Ausreisepflicht maßgeblich sind.
Im Zusammenhang mit der auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG geltend gemachten dauerhaften Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1. hat das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem Prozesskostenhilfebeschluss vom 23. November 2009 (11 PA 356/09) Folgendes ausgeführt:
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Die Kläger begründen ihre Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit einer dauerhaften Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1) aufgrund ihrer psychischen Erkrankung. Eine bestehende (körperliche oder psychische) Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG) zum einen dann begründen, wenn sich sein Gesundheitszustand durch den Transport als solchen wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmalig entstehen würde (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne auch dann unterbleiben, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass - außerhalb des Transportvorganges - unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Beschl. d. Senats v. 18.7.2007 - 11 ME 112/07 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, juris; BayVGH, Beschl. v. 28.12.2006 - 24 C 06.3160 -, juris; Burr, in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2009, § 25 Rn. 131).
Wie das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Juni 2009 zutreffend ausgeführt hat, liegen hier jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 1) dauerhaft reiseunfähig ist. Aus der von den Klägern vorgelegten nervenärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie P. vom 10. Februar 2007 mit dem handschriftlichen Nachtrag vom 15. August 2007 lässt sich bereits nicht erkennen, dass bei der Klägerin zu 1) 2007 von einer dauerhaften Reiseunfähigkeit auszugehen war. Die Klägerin befand sich damals wegen schwerer depressiver Verstimmungen mit zeitweiligen suizidalen Krisen in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung und erhielt Antidepressiva. Angesichts dessen, dass die hier im Raum stehende Reiseunfähigkeit eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindert, war schon zur Zeit der Erstellung der fachärztlichen Stellungnahmen ein auf unabsehbare Zeit bestehendes Ausreisehindernis nicht anzunehmen. Hinzu kommt, dass unter Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen ist. Zu der Frage, ob die Klägerin zu 1) auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei nicht reisefähig wäre, verhält sich die ärztliche Bescheinigung jedoch nicht. Da somit schon 2007 eine dauerhafte Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1) nicht festzustellen war und seitdem keine ärztliche Stellungnahmen mehr vorgelegt worden sind, besteht auch kein Anlass, durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zu einer dauerhaften Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1) Beweis zu erheben.
Ausgehend von diesen Feststellungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts, an denen die Kammer für das vorliegende Hauptsacheverfahren festhält und die sie ihrer Entscheidung zugrunde legt, hat zwar die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung einen "Bericht aus der laufenden Behandlung" des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. Q. vom 12. Februar 2010 vorgelegt, doch lässt sich (auch) aus dieser aktuellen fachärztliche Bescheinigung keine dauerhafte Reiseunfähigkeit der Klägerin zu 1. herleiten, und zwar weder im engeren Sinne einer Transportunfähigkeit noch im weiteren Sinne einer unmittelbar durch die Abschiebung oder durch die freiwillige Ausreise als solche und damit unabhängig vom Zielstaat drohenden wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes. Zum einen wird hinsichtlich der bei der Klägerin zu 1. vorliegenden chronischen depressiven Störung in Kombination mit einer deutlich unterdurchschnittlichen Intelligenz nach der fachärztlichen Einschätzung zwar keine vollständige Heilung, jedoch bei Durchführung einer psychiatrischen Behandlung, die aus supportiven Gesprächen und psychopharmakologischer Medikation bestehen würde, eine deutliche Besserung ihrer Erkrankung möglich sein. Dies schließt es aber, auch wenn die Kostenübernahme für eine solche Therapie bisher nicht geklärt und Gegenstand eines bei dem Sozialgericht Stade anhängigen Verfahren ist, aus, in ihrem Falle von einem auf unabsehbare Zeit bestehenden Ausreisehindernis auszugehen. Soweit Dr. Q. zum anderen feststellt, dass im Falle der Klägerin zu 1. bei jeder zusätzlichen psychosozialen Belastung eine Suizidgefahr durch impulsive selbstdestruktive Handlungen bestehe und dass eine Abschiebung eine sehr hohe psychosoziale Belastung verbunden mit einer Suizidgefahr für sie sei, begründet auch diese Suizidgefährdung keine dauerhafte Reiseunfähigkeit, weil einerseits im Falle einer Abschiebung durch geeignete, von der Ausländerbehörde sicherzustellende Maßnahmen (z.B. ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung und nach der Ankunft im Herkunftsland) suizidale Handlungen verhindert werden können und andererseits im Falle einer freiwilligen Ausreise keine zusätzliche psychosoziale Belastung eintritt. Schließlich wird aber sowohl durch die Ausführungen in dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 15. Februar 2010 als auch durch den Inhalt des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages deutlich, dass es hier letztlich gar nicht um ein auf unabsehbare Zeit bestehendes Ausreisehindernis, sondern um die Feststellung eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geht. Indem die Klägerin zu 1. vorträgt, dass sie "als Opfer von Übergriffen des Militärs" bei einer Rückkehr in die Türkei eine Retraumatisierung, bei der ein suizidaler Durchbruch nicht auszuschließen sei, zu befürchten habe und daher den Eindrücken in der Türkei, Gerüchen, Staatsbeamten u.a. nicht mehr ausgesetzt werden dürfe, wird auf eine der Klägerin zu 1. in ihrem Herkunftsstaat drohende erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit abgestellt. Da aber der Beklagte (und damit auch die erkennende Kammer) an die im Falle der Klägerin zu 1. durch rechtskräftigen Bescheid vom 19. Januar 2006 ergangene Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 nicht vorliegen, nach § 42 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) gebunden ist, spielt die Frage, ob zugunsten der Klägerin ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben sein könnte, in diesem ausländerrechtlichen Verfahren keine Rolle. Insoweit muss sich die Klägerin zu 1. auf ein bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängig zu machendes Wiederaufnahmeverfahren verweisen lassen.
Im Falle der Klägerinnen zu 2. und 3. begründet der durch Art. 8 EMRK gewährte und von ihnen geltend gemachte Schutz des Privatlebens ebenfalls keine (rechtliche) Unmöglichkeit der freiwilligen oder erzwungenen Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG. [...]
Nach diesen Grundsätzen, die mit der Rechtsprechung weiterer Senate des Nds. Oberverwaltungsgerichtes überstimmen (u. a. Beschl. v. 11.05.2006 - 12 ME 138/06 -, InfAuslR 2006,329; Beschl. v. 20.03.2007 - 11 LA 243/06 -; Urt. v. 14.05.2009 - 8 LB 158/06 -, NdsRpfl. 2009, 402; - jeweils mit weiteren Nachweisen -; vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 3/08 -, InfAuslR 2009, 333) und von der Kammer geteilt werden, gebietet der Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht den Aufenthalt der Klägerinnen zu 2. und 3. in der Bundesrepublik Deutschland.
Zum einen ist hier zu berücksichtigen, dass sich die Klägerinnen zu 2. und 3. - ebenso wie die übrigen Familienmitglieder - zu keiner Zeit auf einen dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet einstellen durften/dürfen. Abgesehen von der nach § 55 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) insoweit unerheblichen Zeit der Durchführung ihres Asylverfahrens [von Juli 2003 (Asylantragstellung) bis Februar 2006 (Erlöschen der asylrechtlichen Aufenthaltsgestattung mit Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung, vgl. §§ 36 Abs. 3 Satz 8, 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG)] haben sie nie über ein Aufenthaltsrecht verfügt, sondern sind seit Ende Mai 2006 immer nur im Besitz einer Duldung gewesen, das heißt, sie sind und waren ausreisepflichtig, haben dieser Ausreisepflicht aber von sich aus trotz bestehender Ausreisemöglichkeit keine Folge geleistet. Die damit verbundene Unsicherheit des Aufenthaltsstatus steht daher regelmäßig der Annahme entgegen, dem Betroffenen sei wegen des Schutzes seines Privatlebens ein Verlassen des Bundesgebietes rechtlich unmöglich. Hinzu kommt hier aber auch noch, dass es der Familie der Klägerinnen zu 2. und 3. - unabhängig von ihren deutschen Sprachkenntnissen, ihrem Schulbesuch und ihrer sonstigen, insbesondere sozialen Integration in die hiesigen Verhältnisse - jedenfalls nicht gelungen ist, sich wirtschaftlich zu integrieren. Die Klägerinnen zu 2. und 3. waren/sind ebenso wie ihre Eltern und Geschwister seit der Einreise zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angewiesen und es ist im Hinblick auf ihr Alter und die Erkrankung ihrer Mutter auch nicht damit zu rechnen, dass sich hieran kurzfristig oder zumindest in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Zum anderen liegen aber auch keine durchgreifenden Gesichtspunkte dafür vor, dass die minderjährigen Klägerinnen zu 2. und 3. ihrem Heimatland in einer Weise entfremdet sind, die eine (Re-)Integration für sie unmöglich macht. Sie werden mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1., in die Türkei zurückkehren, wo sich bereits seit August 2006 ihr Vater aufhält. Beide Elternteile haben vor dem Verlassen ihres Heimatlandes im September 2002 lange Zeit in der Türkei gelebt, so dass die Klägerinnen zu 2. und 3. bei der (Wieder-)Eingliederung in die dortigen Lebensverhältnisse auf die Unterstützung ihrer Eltern zählen können, zumal es ihnen - sogar ohne Hilfe der Eltern - gelungen ist, hier im Bundesgebiet eine völlig fremde Sprache zu erlernen und sich in einem gänzlich anderen Kulturkreis zurechtzufinden. Eine Verwurzelung der Klägerinnen zu 2. und 3., die eine Rückkehr in die Türkei als unverhältnismäßig bzw. unzumutbar erscheinen lässt, ist danach nicht festzustellen.