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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - asyl.net: M16767
https://www.asyl.net/rsdb/M16767
Leitsatz:

1. Ein begründeter personenbezogener Verdacht der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG kann sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation ergeben, die ihrerseits solche Ziele verfolgt. Dies gilt auch für Organisationen, die sich selbst - wie die IGMG - als religiöse Gemeinschaft verstehen.

2. Bei einer Organisation, die verschiedene Strömungen aufweist, die unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind, kommt es entscheidend darauf an, welcher Richtung sich der Ausländer zurechnen lassen muss.

3. Ob eine Organisation in Bezug auf ihre politische und weltanschauliche Aus- und Zielrichtung ein homogenes oder inhomogenes Erscheinungsbild aufweist und für welche Ziele der Ausländer eintritt, ist von den Tatsachengerichten zu beantworten.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Einbürgerungsbewerber, Einbürgerungszusicherung, Ausschlussgrund, freiheitliche demokratische Grundordnung, Milli Görüs, IGMG, Funktionär, Glaubensfreiheit, Religionsfreiheit, Religionsausübung, Religionsgemeinschaft
Normen: StAG § 8, StAG § 10, StAG § 11 S. 1 Nr. 1, GG Art. 4 Abs. 1, GG Art. 4 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass einer Einbürgerungszusicherung nach § 10 StAG oder nach § 8 StAG, der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegensteht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts muss sich der Kläger seine frühere, sich über mehrere Jahre erstreckende, Funktionärstätigkeit für die IGMG und seine bis in die Gegenwart bestehende aktive Mitgliedschaft in dieser Organisation entgegenhalten lassen; er hat nicht glaubhaft gemacht, dass er sich seither von den verfassungsfeindlichen Werten und Zielen dieser Organisation abgewandt hat (1.). Die vom Kläger gegen die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen vorgebrachten Verfahrensrügen haben keinen Erfolg (2.).

1. Im Revisionsverfahren wird ausschließlich darum gestritten, ob der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt.

1.1 Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung u.a. ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat. Der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt in Bezug auf die Person des Ausländers, der die Einbürgerung beantragt, die Feststellung des begründeten Verdachts einer Unterstützung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen sowie die fehlende glaubhafte Abwendung von derartigen Bestrebungen. Nach dem Sinn und Zweck des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sollen diejenigen keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, bei denen zumindest der begründete Verdacht besteht, dass sie Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützen, die für den deutschen Staat, in den sie eingebürgert werden wollen, wesentlich sind (Urteil vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 142>). [...]

Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden - hier nicht festgestellten - Handlungen des Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 - juris). Dies gilt auch für eine Organisation, die sich selbst - wie die IGMG - nicht als politische Vereinigung, sondern als islamisch religiöse Gemeinschaft versteht. Voraussetzung ist, dass sich diese Gemeinschaft nicht auf religiöse und soziale Ziele und Aktivitäten beschränkt, sondern - und sei es als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses - auch weitergehende politische - verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

Die grundrechtlichen Freiheiten des Glaubens, Gewissens sowie religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, einschließlich der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 1 BvR 536/03 - NJW 2004, 47 ff., für vereinsrechtliches Verbot) stehen dem nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob der Ausschluss der Einbürgerung wegen des begründeten Verdachts der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen als solcher überhaupt den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berührt, da der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG weder an einem bestimmten Glauben anknüpft noch darauf abzielt, Einfluss auf religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse sowie die Religionsausübung zu nehmen. Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hindert nicht eine bestimmte Glaubensbetätigung die Einbürgerung, sondern die Verfolgung und Unterstützung verfassungsfeindlicher Ziele ohne Rücksicht auf religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse. Selbst wenn die Vorenthaltung der deutschen Staatsangehörigkeit (faktisch) in die Glaubensfreiheit eingreifen würde, weil sie Ausländer davon abhält, ihren Glauben entsprechend ihres religiösen Selbstverständnisses auch unter Einschluss verfassungsfeindlicher Ziele auszuüben (z.B. Eintreten für die Errichtung eines ''Gottesstaates''), wäre ein solcher Eingriff gerechtfertigt. Vorenthalten würde nur eine Vergünstigung, die keinen Bezug zur Glaubensbetätigung aufweist. Außerdem räumt das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) Ausländern kein Recht ein, als Angehöriger einer bestimmten - hier der islamischen - Religion politische Ziele zu verfolgen und zu unterstützen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. Die Glaubensfreiheit erlaubt nicht, die Grenzen, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat, zu überschreiten (vgl. BVerfGE 12, 1 4>). Sie ist im Übrigen nicht dazu bestimmt, Ausländern einen sonst nicht bestehenden Anspruch auf Einbürgerung zu gewähren (vgl. Beschluss vom 6. Mai 1983 - BVerwG 1 B 58.83 - Buchholz 402.24 § 5 AuslG Nr. 2). Ebenso wenig hindert sie den Gesetzgeber, einen Ausschlusstatbestand zum Schutz der Verfassungsordnung, wie den des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, vorzusehen. Darin liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

Der aus der Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation hergeleitete Verdacht der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann im Einzelfall auch davon abhängen, ob die Organisation bei einer Gesamtbetrachtung ihres Wirkens in Bezug auf die Verfolgung oder Unterstützung von gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Ziele als homogen einzustufen ist oder verschiedene Strömungen aufweist, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. Denn bei einer sich im Hinblick auf die Verfassungsfeindlichkeit als inhomogen darstellenden Organisation kann der Mitgliedschaft in ihr und/oder die Tätigkeit für sie keine vergleichbare indizielle Aussagekraft wie bei einer in Bezug auf die Verfassungsfeindlichkeit einheitlich zu beurteilenden Organisation beigemessen werden. In diesen Fällen hängt - vorausgesetzt, andere Anknüpfungstatsachen sind nicht gegeben - der begründete Verdacht vielmehr davon ab, welcher Richtung sich der Ausländer zurechnen lassen muss. Denn das Gesetz fordert mit Rücksicht auf die Höchstpersönlichkeit der Staatsangehörigkeit und des Einbürgerungsanspruchs - wie dargelegt - einen personenbezogenen Verdacht.

Dementsprechend ist es erforderlich, im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung des jeweiligen Sachverhalts festzustellen, ob der Ausländer die Organisation als Ganzes einschließlich ihrer einbürgerungsschädlichen Ziele mitträgt oder ob er sich von letzteren glaubhaft distanziert. Liegen äußerliche Umstände vor. die es hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer den Kreisen innerhalb einer Organisation zuzurechnen ist, die ausschließlich einbürgerungsunschädliche Ziele verfolgen, ist für den Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG kein Raum. Denn tritt ein Ausländer einer Organisation zu einem Zeitpunkt bei, in dem sich diese bereits im Umbruch befindet und/oder wird er für eine solche tätig, fehlt es - sofern er der einbürgerungsrechtlich unbedenklichen Strömung zuzuordnen ist - von vornherein an tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Demgegenüber steht das Tatbestandsmerkmal der glaubhaften Abwendung von derartigen Bestrebungen in Rede, wenn der Ausländer der Organisation - wie hier - auch schon zu einem Zeitpunkt angehörte und/oder sie unterstützte, als sie bezogen auf die fehlende Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in ihrer Zielrichtung noch als eine einheitliche Bewegung anzusehen war. Der Wegfall des Ausschlussgrundes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG kann in diesem Fall nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass sich die Organisation in ihrer Gesamtheit glaubhaft ideologisch neu ausrichtet, die alten, verfassungsfeindlichen Werte und Ziele überwindet und nunmehr als ein sich homogen sowohl nach innen als auch nach außen um einen dauerhaften Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bemühender Verband erscheint. Erforderlich und ausreichend für den Wegfall des Ausschlusses nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist vielmehr, dass der um Einbürgerung nachsuchende Ausländer glaubhaft macht, für die einbürgerungsunschädlichen Reformbestrebungen einzutreten.

Die Fragen, ob eine Organisation in Bezug auf ihre politische und weltanschauliche Aus- und Zielrichtung ein homogenes oder inhomogenes Erscheinungsbild aufweist und für welche Ziele der Ausländer eintritt, sind Tatsachenfragen deren Beantwortung nach § 137 Abs. 2 VwGO nicht dem Revisionsgericht, sondern den Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen obliegt (s. hierzu auch Urteil vom 11. November 2004 - BVerwG 3 C 8.04 - BVerwGE 122, 182 189>).

1.2 Von diesen rechtlichen Vorgaben ist auch das Berufungsgericht im Ergebnis ausgegangen. Es hat in Anwendung dieser Grundsätze festgestellt, dass der Kläger durch seine Funktionärstätigkeit an seinem Wohnort im Jahre 1995/96 und von 2000 bis 2004 die IGMG zu einer Zeit unterstützt hat, als diese noch als eine homogene verfassungsfeindliche Organisation zu betrachten gewesen ist. Denn vor dem nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegenwärtig zu beobachtenden Reformprozess strebte die IGMG in ihrer Gesamtheit die absolute Vorherrschaft eines islamischen Rechtsverständnisses und der Scharia an. Sie lehnte westliche Werte und Staatssysteme sowie individuelle Freiheitsrechte und das demokratische Prinzip der Volkssouveränität ab. Das Berufungsgericht hat daraufhin im Einklang mit Bundesrecht weiter geprüft, ob sich der Kläger seither von diesen verfassungsfeindlichen Werten und Zielen der Milli-Görüs-Bewegung abgewandt hat. Die insoweit von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind dahingehend zu verstehen, dass er eine derartige Abwendung nicht glaubhaft gemacht hat. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass dem Kläger nicht vorzuwerfen sei, mit den ihm zuzurechnenden verfassungsfeindlichen Wertvorstellungen der IGMG nach außen in Form von einbürgerungsschädlichen Äußerungen und Aktivitäten in Erscheinung getreten zu sein. Jedoch hat es sich insbesondere nicht davon überzeugen können, dass der Kläger zu den neueren, reformorientierten und eine Integration in Deutschland und in die deutsche Verfassungsordnung anstrebenden Kreisen innerhalb der IGMG gehört. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus die Frage erörtert und verneint hat, dass in Bezug auf die IGMG als Gesamtorganisation ein entsprechender ''Kurswechsel" glaubhaft gemacht worden ist, kommt es darauf wegen der selbstständig tragenden Begründung, dass jedenfalls der Kläger nicht zu den reformorientierten Mitgliedern innerhalb der IGMG gehört, im Streitfall nicht an. [...]