VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 05.02.2010 - 11 A 2543/08 - asyl.net: M16773
https://www.asyl.net/rsdb/M16773
Leitsatz:

1. Beruft sich eine Ausländerbehörde darauf, dass der Aufenthaltstitel eines Ausländers nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist, ohne darüber einen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen, so ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Dies gilt auch dann, wenn gegen den Ausländer eine Abschiebungsandrohung erlassen wurde.

2. Die materielle Beweislast für das Erlöschen eines Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG trägt die Ausländerbehörde, die sich auf diese Vorschrift beruft.

3. Befinden sich im Reisepass eines Ausländers Ein- und Ausreisestempel der Grenzkontrollbehörden seines Heimatlandes und steht aufgrund von Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes fest, dass diese Behörden normalerweise Ein- und Ausreisen sorgfältig durch Passstempel dokumentieren, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Ausländer sich die gesamte Zeit ununterbrochen in seinem Heimatland aufgehalten hat.

4. Zur Entkräftung dieser Vermutung bedarf es zwar nicht des vollen Beweises, dass der Ausländer vorübergehend nach Deutschland zurückgekehrt war, aber es müssen zumindest Umstände vorliegen, die dies als ernsthaft möglich erscheinen lassen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: feststellender Verwaltungsakt, Feststellungsbescheid, Beweislast, Ausreisestempel, Ausreise, Feststellungsklage, Niederlassungserlaubnis, Erlöschen, Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung,
Normen: VwGO § 43 Abs. 1, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7,
Auszüge:

[...]

Wenn aber für die Klägerin aus § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG schon vor Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes negative Rechtsfolgen entspringen können, muss sie wegen der Rechtschutzgarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG auch schon vor Erlass eines solchen Verwaltungsaktes die Möglichkeit haben, Rechtschutz gegen eine Behörde, die sich auf diese Norm beruft, zu erlangen. Dies geschieht hier mit der Feststellungsklage. [...]

Der Subsidiaritätsgedanke steht der Zulässigkeit einer Feststellungsklage nicht entgegen, wenn der Kern des mit ihr verfolgten Rechtsschutzbegehrens in einem anderen Verfahren - hier: einer Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung - nur eine Vorfrage wäre und es dem Kläger um die Gesamtbeurteilung des Rechtsverhältnisses geht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 43 Rn. 29 mit weiteren Nachweisen). So liegt der Fall hier: Der Klägerin geht es nicht darum, zu wissen, ob die gegen sie ergangene Abschiebungsandrohung rechtmäßig war, sondern vielmehr darum, umfassend zu erfahren, ob ihr Aufenthaltstitel erloschen und ihr Aufenthalt in Deutschland damit rechtswidrig ist.

Das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich hier daraus, dass die Klägerin Rechtssicherheit darüber haben muss, ob sie sich noch rechtmäßig in Deutschland aufhält (vgl. Schäfer, GK-AufenthG, § 51 Rn. 141). [...]

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Der Grund des Auslandsaufenthaltes und die Gründe dafür, dass der Ausländer nicht fristgerecht wieder eingereist ist, sind dabei grundsätzlich irrelevant (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09. April 2009 - 11 ME 484/08 - Juris; Urteil vom 27. März 2008 - 11 LB 203/06 - Juris; Schäfer, GKAufenthG, § 51 Rn. 59, 61 - 63, 71).

Die materielle Beweislast hierfür trägt nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Beklagte. Denn er beruft sich darauf, dass ein zunächst wirksamer, die Kläger begünstigender Verwaltungsakt nachträglich erloschen ist und greift somit in bestehende Rechte der Klägerin ein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 108 Rn. 15). Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG würden somit zu Lasten des Beklagten gehen.

Es steht aber im vorliegenden Fall zur vollen Überzeugung des Einzelrichters fest, dass sich die Klägerin vom 12. Januar 2007 bis zum 8. August 2007 - und damit mehr als 6 Monate - in Indien aufgehalten hat.

Die Ein- und Ausreisestempel im Reisepass der Klägerin begründen in Verbindung mit der amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 10. Dezember 2009 eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass die Klägerin sich zwischen den im Pass eingetragenen Ein- und Ausreisedaten ununterbrochen in Indien aufgehalten hat und nicht, wie von ihr vorgetragen, dazwischen einmal nach Deutschland zurückgekehrt ist, ohne dass diese Reise von den indischen Grenzkontrollbehörden durch Ein- und Ausreisestempel dokumentiert wurde. [...]