VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 15.02.2010 - 11 A 3104/08 - asyl.net: M16774
https://www.asyl.net/rsdb/M16774
Leitsatz:

Zur Erforderlichkeit und Verjährung der Erstattungspflicht von Abschiebungskosten.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Erforderlichkeit, Verjährung, Unterbrechung, Abschiebungsandrohung, Abschiebungsanordnung
Normen: AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 67 Abs. 3 S. 1, VwKostG § 20 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 70 Abs. 1, AufenthG § 70 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu den Kosten seiner Abschiebung sind §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Danach hat ein Ausländer die Kosten, die durch seine Abschiebung entstehen, zu tragen. Diese Kosten umfassen insbesondere die Beförderungs- und sonstigen Reisekosten für den Ausländer innerhalb des Bundesgebiets und bis zum Zielort außerhalb des Bundesgebiets, sowie sämtliche durch eine erforderliche Begleitung des Ausländers entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten. Allerdings muss der Ausländer nur für die Kosten einer rechtmäßigen Abschiebung einstehen. Sofern die Abschiebung an rechtlichen Mängeln litt, kann der Ausländer dies grundsätzlich im Kostenerstattungsverfahren einwenden, sofern nicht die Bestandskraft unanfechtbarer Verwaltungsakte oder die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entgegenstehen (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 66 Rn. 5 f. m.w.N.).

Der Kläger ist Ausländer und wurde am 10. März 2000 aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Diese Abschiebung war rechtmäßig. Nach § 49 Abs. 1 AuslG in der damals gültigen Fassung war ein Ausländer abzuschieben, wenn seine Ausreisepflicht vollziehbar und ihre freiwillige Erfüllung nicht gesichert war oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich schien. Der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt gemäß § 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG vollziehbar ausreisepflichtig, weil er nach seiner bestandskräftigen Ausweisung vom 2. Juli 1997 entgegen § 8 Abs. 2 AuslG wieder nach Deutschland eingereist war und somit den Tatbestand der unerlaubten Einreise im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erfüllt hatte. Da er sich zum Zeitpunkt seiner Abschiebung noch in Strafhaft befand, war eine Überwachung seiner Ausreise gemäß § 49 Abs. 2 AufenthG erforderlich.

Auch formell ist die Abschiebung vom 10. März 2000 nicht zu beanstanden. Dies gilt selbst dann, wenn man der Auffassung ist, dass bei inhaftierten Ausländern gemäß § 50 Abs. 5 AuslG nur von der Setzung einer Ausreisefrist, nicht aber insgesamt von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden durfte (so Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. August 2005 - 1 C 29.04 - InfAuslR 2006, 207, 208; a.A. Nds. OVG, Beschluss vom 1. September 1994 - 11 M 4224/94 -). Denn das formell als Abschiebungsanordnung bezeichnete Schreiben des Landkreises V. an den Kläger vom 15. Oktober 1999 erfüllt inhaltlich alle Voraussetzungen, die an eine Abschiebungsandrohung ohne Fristsetzung zu stellen sind. Durch das Schreiben wurde dem Kläger unmissverständlich klargemacht, dass die Ausländerbehörde beabsichtigt, ihn am Ende der Haftzeit nach Kroatien abzuschieben. Unabhängig von der formellen (Falsch-)Bezeichnung als Abschiebungsanordnung lag somit der Sache nach eine Abschiebungsandrohung ohne Fristsetzung vor.

Auch die Höhe der geltend gemachten Abschiebungskosten ist nicht zu beanstanden. Insbesondere war die Begleitung des Klägers durch Polizeibeamte auf dem Flug nach Z. "erforderlich" im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, so dass auch die dadurch entstanden Kosten vom Kläger zu erstatten sind. "Erforderlich" ist eine solche Begleitung dann, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, d.h. wenn es in seiner Person liegende Gründe hierfür gibt (BVerwG, Urteil vom 14. März 2006 - 11 C 5.05 - BVerwGE 125, 101 ff.). Strafrechtliche Verurteilungen können die Erforderlichkeit der Sicherheitsbegleitung nur dann ohne weiteres begründen, wenn sich aus ihnen offensichtlich eine Gewaltbereitschaft ergibt (vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 06. Januar 2009 - 5 E 1614/07 (3) -, Juris Rn. 30 m.w.N.) und sie noch nicht sehr lange zurückliegen (vgl. VG München, Urteil vom 29. Januar 2009 - M 12 K 08.1946 - Juris Rd. 85). Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers vor. Der Kläger war nur knapp vier Jahre vor der hier betroffenen Abschiebung wegen schweren Raubes - also wegen eines erheblichen Gewaltdelikts - zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Eine solche Verurteilung deutet auf eine erhebliche Gewaltbereitschaft hin. Dies gilt auch dann, wenn die Behauptung des Klägers, er habe sich in der Haft gut geführt, zutreffen sollte. Denn in einer jeden Haftanstalt gibt es Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen, die Gewalttaten verhindern sollen. Wenn sich eine zuvor wegen Gewaltdelikten verurteilte Person unter diesen Umständen während der Haft weiterer Gewalttaten enthält, deutet dies nicht zwingend darauf hin, dass sie auch in Freiheit nicht wieder gewalttätig wird. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einstellung des Klägers zu körperlicher Gewalt seit seiner Verurteilung wegen schweren Raubes geändert hat, hier lagen nicht vor.

Die Kostenforderung ist auch nicht durch Verjährung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 VwKostG erloschen.

Allerdings spricht viel dafür, dass der Anspruch auf Erstattung der Abschiebungskosten entgegen der Ansicht der Beklagten auch schon vor dem Erlass eines Leistungsbescheides verjähren kann. Zwar knüpft die in § 70 Abs. 1 AufenthG geregelte sechsjährige Verjährungsfrist an die Fälligkeit der Forderung und somit gemäß § 17 VwKostG an die Bekanntgabe der Kostenentscheidung an. Richterweise dürfte aber neben dieser relativen (Zahlungs-)Verjährungsfrist noch die absolute (Festsetzungs-)Verjährungsfrist des allgemeinen Verwaltungskostenrechts (§ 20 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwKostG) gelten (so mit überzeugenden Argumenten VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juli 2009 - 13 S 919/09 - InfAuslR 2009, 403, 404; Hamburgisches OVG, Urteil vom 03. Dezember 2008 - 5 BF 259/06 -, Juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 29. Juli 2008 - 5 K 547/08 -, Juris). Damit verjährt der Anspruch auf Erstattung von Abschiebungskosten spätestens mit dem Ablauf des vierten Jahres nach seiner Entstehung, d.h. gemäß § 11 Abs. 2 VwKostG spätestens mit Ablauf des vierten Jahres nach Aufwendung der Kosten bzw. Beendigung der Maßnahme.

Aber auch für diese absolute Verjährungsfrist gilt der Unterbrechungstatbestand des § 70 Abs. 2 AufenthG (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; Hamburgisches OVG, a.a.O.). Dafür spricht schon der Wortlaut des § 70 Abs. 2 AufenthG. Dieser bezieht sich nämlich nicht lediglich auf die in § 70 Abs. 1 AufenthG geregelte Zahlungsverjährung, sondern spricht allgemein davon, dass "die Verjährung von Ansprüchen nach den §§ 66 und 69 […] neben den Fällen des § 20 Abs. 3 des Verwaltungskostengesetzes auch unterbrochen [wird], so lange sich der Kostenschuldner nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthalt im Bundesgebiet deshalb nicht festgestellt werden kann, weil einer gesetzlichen Meldepflicht oder Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist." Damit wird also schon nach dem Wortlaut des Gesetzes jede Verjährung des Anspruchs auf Erstattung von Abschiebungskosten durch die Abwesenheit des Schuldners aus dem Bundesgebiet unterbrochen. Dies wird besonders deutlich dadurch, dass der Unterbrechungstatbestand des § 70 Abs. 2 AufenthG nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut "neben" die Unterbrechungstatbestände des § 20 Abs. 3 VwKostG treten soll. (ähnlich: Hamburgisches OVG, a.a.O.). Denn die von § 70 Abs. 2 AufenthG in Bezug genommenen Unterbrechungstatbestände des § 20 Abs. 3 VwKostG gelten jedenfalls zum Teil nicht nur für die Zahlungs-, sondern auch für die Festsetzungsverjährung (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 16. Juni 2004 - 5 OE 233/04 -, NVwZ-RR 2005, 225 f.). Dies gilt insbesondere für jenen Unterbrechungstatbestand des § 20 Abs. 3 VwKostG, der die größte Verwandtschaft zu dem Unterbrechungstatbestand des § 70 Abs. 2 AufenthG aufweist: Nach § 20 Abs. 3 9. Alternative VwKostG wird die Verjährung durch Ermittlungen des Kostengläubigers über Wohnsitz oder Aufenthalt des Zahlungspflichtigen unterbrochen. Dieser Unterbrechungstatbestand gilt auch für die absolute Festsetzungsverjährung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwKostG (vgl. Hess. VGH, a.a.O.). Er ist seinem Wesen nach insofern mit dem Unterbrechungstatbestand des § 70 Abs. 2 AufenthG vergleichbar, als beide Vorschriften daran anknüpfen, dass der Schuldner wegen seines (unbekannten oder ausländischen) Wohn- bzw. Aufenthaltsortes dem Zugriff der deutschen Behörden in gewisser Weise entzogen ist und die Kostenschuld daher nur schwer gegen ihn festgesetzt werden kann. Daher ist es auch sinnvoll, beide Unterbrechungstatbestände gleichermaßen auf Festsetzungs- und Zahlungsverjährung anzuwenden.

Da der Kläger sich nach eigenem Vorbringen seit seiner Abschiebung vom 10. März 2000 nicht mehr in Deutschland aufgehalten hat, ist die Festsetzungsverjährung des § 20 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwKostG hier gemäß § 70 Abs. 2 AufenthG durchgehend unterbrochen und hat somit noch nicht zu laufen begonnen.

Die Kostenforderung ist auch noch nicht verwirkt. Allein der Umstand, dass die Beklagte von 2000 bis 2008 keine Schritte im Hinblick auf eine Geltendmachung der Forderung ergriffen hat, begründet keine Verwirkung. Das bloße Untätigbleiben der Behörde während des Auslandsaufenthalts des Schuldners kann nämlich regelmäßig kein Vertrauen auf die Nichtgeltendmachung der Kostenforderung begründen, weil nicht mit dem Erlass eines Kostenbescheides zu rechnen ist, so lange sich der Schuldner im Ausland aufhält (vgl. Hamburgisches OVG, a.a.O.). [...]