OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.03.2010 - 13 ME 3/10 - asyl.net: M16780
https://www.asyl.net/rsdb/M16780
Leitsatz:

Grundsätzlich ist vor Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Heirat in Dänemark ein Visumsverfahren durchzuführen, da § 39 Nr. 3 AufenthV Ausnahmen hiervon nur zulässt, wenn die Eheschließung nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik vor Beantragung dieser Aufenthaltserlaubnis erfolgt ist.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Visumsverfahren, Heirat in Dänemark, deutscher Ehemann, vorläufiger Rechtsschutz
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthV § 39 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Selbst wenn die Antragstellerin mittlerweile über ausreichende Sprachkenntnisse im Sinne der §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verfügen sollte, steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG jedenfalls entgegen, dass sie ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (a), der Aufenthaltstitel nicht nach § 39 AufenthV ohne Einhaltung des Visumsverfahrens im Bundesgebiet eingeholt werden kann (b) und der Beklagte auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum hätte absehen müssen (c).

a) Die Antragstellerin erfüllt nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Bestimmung setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Welches Visum erforderlich ist, ergibt sich aus § 6 AufenthG. Ein Schengen-Visum kann nach § 6 Abs. 1 AufenthG nur für die Durchreise oder für kurzfristige Aufenthalte erteilt werden, während nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich ist, das vor der Einreise erteilt wird. Mit einem solchen nationalen Visum ist die Antragstellerin nach ihrer Eheschließung in Dänemark nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, obwohl die Absicht eines Daueraufenthalts zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu diesem Zeitpunkt fraglos gegeben war. Die Fortdauer des Schengen-Visums zum Zeitpunkt der Einreise nach der Eheschließung reichte in Anbetracht des beabsichtigten Daueraufenthalts nicht aus. Abgesehen davon orientiert sich die Vorschrift zur Erforderlichkeit des Visums ohnehin an demjenigen Aufenthaltstitel, dessen Erteilung konkret beantragt ist; es kommt bei § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht auf den früheren, sondern auf den aktuell angestrebten Aufenthaltszweck an (Beschl. d. Senats v. 18.08.2008 - 13 ME 131/08 -, juris; Beschl. des 11. Senats des Nds. OVG v. 26.11.2009 - 11 ME 491/09 -, n.v.).

b) Nach der auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Bestimmung des § 39 Nr. 3 AufenthV kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen dieser allein im Hinblick auf deren zweite Alternative in Betracht kommenden Bestimmung bereits deshalb nicht, weil die Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen in Dänemark und damit nicht "nach der Einreise" im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV erfolgt ist.

aa) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht § 39 Nr. 3 AufenthV zutreffend dahingehend ausgelegt, dass es bei der dort genannten Einreise, nach der die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entstanden sein müssen, weder auf die erste Einreise in den Schengenraum, noch auf die erste Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, sondern allein auf die letzte Einreise vor Beantragung des erstrebten Aufenthaltstitels ankommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 28.08.2008 - 13 ME 124/08 -, juris; Beschl. v. 16.01.2009 - 13 ME 192/08 - n.v.; Beschl v. 20.04.2009 - 13 ME 44/09 -, n.v.; so auch: Hess. VGH, Beschl. v. 22.09.2008 -1 B 1628/08 -, juris). Die Formulierung "nach der Einreise" ist durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) mit Wirkung vom 28. August 2007 in § 39 Nr. 3 AufenthV eingefügt worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich auf die zu verhindernde Praxis verwiesen, dass durch ein ohne Beteiligung der Ausländerbehörde erteiltes Schengen-Visum und einer Heirat in Dänemark das reguläre Verfahren der Einholung eines nationalen Visums umgangen wird (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 240). Dieser erklärte Normzweck schließt es nach Auffassung des Senats aus, auf einen früheren Zeitpunkt als die letzte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abzustellen.

bb) Die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV greift dabei nur ein, wenn die für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis primär maßgebliche und den Aufenthaltszweck gerade kennzeichnende Voraussetzung - im Falle einer Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Eheschließung - nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist. Wie im Wortlaut der ausdrücklichen Regelung des § 39 Nr. 5 AufenthV zum Ausdruck kommt, wollte es der Gesetzgeber nicht mehr hinnehmen, den um sich greifenden "Heiratstourismus" aufenthaltsrechtlich zu begünstigen. Diese Überlegung ist nach Auffassung des Senats aufgrund der Normsystematik auch im Rahmen des vorliegend anzuwendenden § 39 Nr. 3 AufenthV maßgeblich zu berücksichtigen, so dass nach dieser Bestimmung der für den angestrebten Aufenthaltszweck der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erforderliche Aufenthaltstitel nur dann im Bundesgebiet eingeholt werden kann, wenn die Eheschließung als Voraussetzung eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist. Es wäre nicht einsichtig, wenn die entscheidende Voraussetzung einer Eheschließung im Rahmen des § 39 Nr. 5 AufenthV im Bundesgebiet erfüllt werden muss, im Rahmen des § 39 Nr. 3 AufenthV hingegen die Erfüllung dieser Voraussetzung im Ausland ausreichen würde.

cc) Der Senat folgt aus diesen Gründen nicht der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass es für das Eingreifen der Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV ausreichen soll, wenn lediglich das letzte für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch fehlende Tatbestandsmerkmal nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfüllt wird, was damit begründet wird, dass der in der Gesetzesbegründung erläuterte Normzweck keinen Ausdruck im Wortlaut des § 39 Nr. 3 AufenthV gefunden habe (so etwa: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.07.2008 - 11 S 1041/08 -, juris). Auch folgt er nicht der in der Rechtsprechung vertretenen Variante dieser Auffassung, nach der eine Eheschließung im Ausland dem Eintritt der Vergünstigung dann nicht entgegenstehen soll, wenn das letzte für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch fehlende Tatbestandsmerkmal nach der Einreise noch während der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums erfüllt wird (so etwa der 11. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 27.07.2009 - 11 ME 171/09 -, juris; VG Darmstadt, Beschl. v. 13.10.2009 - 5 L 557/09.DA (2), InfAuslR 2010, S. 67 ff). Würde man diesen Auffassungen folgen, würde bei einer Eheschließung im Ausland auch in Gestalt des vom Gesetzgeber ersichtlich missbilligten "Heiratstourismus" die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV schon dann eingreifen, wenn nach der anschließenden Einreise in die Bundesrepublik Deutschland noch die bislang unzureichenden Sprachkenntnisse erworben werden und damit das letzte noch fehlende Tatbestandsmerkmal erfüllt wird. Die (rasche) Erfüllung der (Neben-)Voraussetzung der hinreichenden Sprachkenntnisse würde so zu einem "Vehikel" gemacht werden können, um trotz der noch im Ausland erfolgten Erfüllung der entscheidenden (Haupt-)Voraussetzung der Eheschließung in den Genuss der Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV kommen zu können. Das an die in § 39 Nr. 3 AufenthV verwendete Präsensform ("…ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte … besitzt …") anknüpfende Korrektiv, die Erfüllung des letzten noch fehlenden Tatbestandsmerkmals nur während der Geltungsdauer des Schengen-Visums zuzulassen, reicht jedenfalls im Hinblick auf die Konstellationen nicht aus, in denen die für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis primär maßgebliche und den Aufenthaltszweck gerade kennzeichnende Voraussetzung - im Falle einer Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Eheschließung - bereits vor der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist. Diese Sichtweise würde eine äußerst planvolle, zeitlich straffe Vorgehensweise zwischen Heirat im Ausland und anschließendem Spracherwerb in Deutschland begünstigen, was der Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt hat. Dieser ersichtlich ungewollten Folge könnte man wiederum nur mit dem (umstrittenen) Argument entgegentreten, dass § 39 Nr. 3 AufenthV grundsätzlich nicht anwendbar ist, wenn ein Ausländer mit einem Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte unter Verschweigung des beabsichtigten Daueraufenthalts einreist (so etwa der 11. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 27.07.2009, a.a.O.). Eine solche letztlich allein auf subjektive Gesichtspunkte abstellende und deshalb praktisch schwierig zu handhabende Sichtweise reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um die nach § 39 AufenthV ersichtlich nicht gewollte Begünstigung des "Heiratstourismus" effektiv auszuschließen. Der Senat hält deshalb daran fest, dass bei einer begehrten Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 2. Alt. AufenthV - wie es ebenso bei der Begünstigung des § 39 Nr. 5 AufenthV ausdrückliche Voraussetzung ist - nur dann eingreift, wenn die Eheschließung nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erfolgt ist. [...]