OVG Berlin-Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.03.2010 - 5 M 40.09 - asyl.net: M16811
https://www.asyl.net/rsdb/M16811
Leitsatz:

Kein Einbürgerungsanspruch, wenn der Kläger nach § 1603 BGB nicht oder zumindest nicht vollständig zur Leistung angemessenen Unterhalts für seine Familie imstande ist.

Das Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) als Beleg auch wirtschaftlicher Integration ist nach - soweit ersichtlich - einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur zukunftsgerichtet, erfordert mithin die prognostische Einschätzung künftiger wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Prognosesicherheit lässt sich nicht erzielen, wenn der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein langjähriger, zu vertretener Leistungsbezug vorangegangen ist und das erst seit wenigen Monaten erzielte Erwerbseinkommen aus keinem festen, d.h. ungekündigten und vor allem unbefristeten Arbeitsverhältnis herrührt.

Schlagwörter: Einbürgerung, Sicherung des Lebensunterhalts, Prognose, SGB II, Bedarfsgemeinschaft, Erwerbsbiographie, Unterhaltsanspruch, Familienflüchtlingsschutz
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, BGB § 1601, BGB § 1602, BGB § 1603, SGB II § 7 Abs. 3, AufenthG § 5
Auszüge:

[...]

Die Annahme der Beschwerde, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG sei im Falle des Klägers ohnehin nicht einschlägig, entbehrt der Grundlage. Nach dieser Vorschrift setzt der Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Ausländer den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten kann. Selbst wenn das Einkommen des Klägers ausreichte, seinen eigenen Bedarf - gemessen an den Maßstäben des SGB II - zu decken, so erhalten doch seine Ehefrau und fünf seiner Kinder, denen gegenüber er familienrechtlich unterhaltsverpflichtet ist (§§ 1601, 1602 BGB), weiterhin in vollem Umfang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dass der Kläger nach § 1603 BGB nicht oder zumindest nicht in Gänze zur Leistung angemessenen Unterhalts imstande wäre, ist entgegen der Ansicht der Beschwerde für die Frage, ob die einbürgerungsrechtlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt sind, ohne Belang (so zu Recht auch Berlit in GK-StAR IV-2 § 10 StAG Rz. 224 ff.). Im Übrigen lebt er, wie sich aus dem Bescheid des JobCenters vom 28. Juli 2009 ergibt, wieder bei seiner Familie und ist seit 1. August 2009 gemäß § 7 Abs. 3 SGB II erneut in den Leistungsbezug der Bedarfsgemeinschaft einbezogen. [...]

Selbst wenn man allerdings zugunsten des Klägers von einer Vollzeitbeschäftigung seit Juli 2009 ausginge, reichte der Zeitraum, der seitdem vergangen ist, angesichts seiner bisherigen Erwerbsbiographie für die Prognose einer künftigen eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts bzw. des nachhaltigen Bemühens um wirtschaftliche Eigenständigkeit auch weiterhin nicht aus. Soweit die Beschwerde bemängelt, das Verwaltungsgericht habe dabei auf einen Prognosemaßstab abgestellt, der für die Beurteilung der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG bestimmt, auf die Einbürgerungsanforderungen jedoch nicht übertragbar sei, kann sich dieser Einwand - wie sich aus der Erwähnung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - ergibt, nur auf diejenigen Ausführungen der Vorinstanz beziehen, die im Zusammenhang mit der möglichen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nach der angeblichen Trennung des Klägers von seiner Ehefrau stehen; sie aber hätten sich, wenn sie denn tatsächlich so zu verstehen gewesen wären, wie die Beschwerde meint, durch die Rückkehr des Klägers in den Familienhaushalt erledigt. Soweit das Verwaltungsgericht unabhängig davon ausgeführt hat, dass es für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt sind, nicht lediglich auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankomme, sondern die positive Prognose zu fordern sei, dass der Eintritt einer nach den Vorschriften des SGB II oder des SGB XII relevanten Hilfebedürftigkeit auch für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft nicht zu erwarten sei, hat die Beschwerde dem ersichtlich nichts als ihre gegenteilige Auffassung entgegenzusetzen. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend. Das Erfordernis der eigenständigen wirtschaftlichen Sicherung des Lebensunterhalts als Beleg auch wirtschaftlicher Integration ist nach - soweit ersichtlich - einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur zukunftsgerichtet, erfordert mithin die prognostische Einschätzung künftiger wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Prognosesicherheit aber lässt sich nicht erzielen, wenn - wie im Falle des Klägers - der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein langjähriger, zu vertretender Leistungsbezug vorangegangen ist und das im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt unter zumutbarem Arbeitseinsatz erst seit wenigen Monaten erzielte Erwerbseinkommen aus keinem festen, d.h. ungekündigten und vor allem unbefristeten Arbeitsverhältnis herrührt. [...]