OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 18.03.2010 - 1 B 45/10 - asyl.net: M16819
https://www.asyl.net/rsdb/M16819
Leitsatz:

Eine Betretenserlaubnis ist in der Regel zwingend zu erteilen, wenn ein Gericht das persönliche Erscheinen eines Ausländers zum Verhandlungstermin angeordnet hat. Das Ermessen der Ausländerbehörde beschränkt sich auf die Frage, ob und wie die Betretenserlaubnis mit Nebenbestimmungen ausgestaltet werden soll.

Schlagwörter: Betretenserlaubnis, Gerichtstermin, persönliches Erscheinen, zwingende Gründe, Ermessen
Normen: AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, FamFG § 155 Abs. 3
Auszüge:

1. Hat ein Gericht das persönliche Erscheinen eines Ausländers zu einem Verhandlungstermin angeordnet, erfordern in der Regel zwingende Gründe seine Anwesenheit im Bundesgebiet. Die Anordnung ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten hinzunehmen. Gegenläufige öffentliche Sicherheitsinteressen können nur dann zu einem anderen Ergebnis führen, wenn sie selbst zwingend die ausnahmslose Fernhaltung des Ausländers gebieten und das öffentliche und private Interesse an der Beachtung der gerichtlichen Anordnung überwiegen.

2. Die Betretenserlaubnis ist zu erteilen, wenn zwingende Gründe die Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Das Ermessen der Ausländerbehörde beschränkt sich auf die Frage, ob und wie die Betretenserlaubnis mit Nebenbestimmungen ausgestaltet werden soll.

(Amtliche Leitsätze)

[....]

I. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann einem ausgewiesenen oder abgeschobenen Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Hier erfordern zwingende Gründe die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet. Nach allgemeiner Ansicht, die auch vom Verwaltungsgericht und der Antragsgegnerin im Grundsatz geteilt wird, können zwingende Gründe im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG insbesondere dann vorliegen, wenn ein Gericht das Erscheinen des Ausländers bei einer Verhandlung angeordnet hat.

Hier hat das Amtsgericht Bremerhaven das persönliche Erscheinen des Antragstellers zum Verhandlungstermin in dem familiengerichtlichen Verfahren angeordnet. Das Familiengericht hat zwar mit Beschluss vom 12.01.2010 Verfahrenskostenhilfe u.a. mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe nicht einmal substantiiert vorgetragen, dass die Kindesmutter den Umgang überhaupt verweigere, und in der Terminsverfügung vom 13.01.2010 davon abgesehen, das persönliche Erscheinen des Antragstellers anzuordnen. Mit Verfügung vom 20.01.2010 hat der Familienrichter jedoch das persönliche Erscheinen der Kindesmutter und des Antragstellers angeordnet. Diese zuletzt getroffene Entscheidung ist maßgebend für das weitere Verfahren. [....]

Hält ein Gericht die Teilnahme eines Ausländers an einer mündlichen Verhandlung in einer bei ihm anhängigen Sache für geboten, folgt daraus regelmäßig, dass die Anwesenheit des Ausländers erforderlich ist und zwingende Gründe die Erteilung einer Betretenserlaubnis gebieten. Gegenläufige öffentliche Sicherheitsinteressen können nur dann zu einem anderen Ergebnis führen, wenn sie selbst zwingend die ausnahmslose Fernhaltung des Ausländers gebieten und das öffentliche und private Interesse an der Beachtung der gerichtlichen Anordnung überwiegen. Das wird allenfalls ausnahmsweise der Fall sein, denn in der Regel lässt sich diesen Sicherheitsinteressen dadurch hinreichend Rechnung tragen, dass die Betretenserlaubnis mit entsprechenden Nebenbestimmungen über die Modalitäten der Ein- und Ausreise und des kurzfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet versehen wird (vgl. NdsOVG, B v. 20.2.2007 – 11 ME 386/06 –, InfAuslR NVwZ-RR 2007, 417 418>; BayVGH, B. v. 10.06.2009 – 19 C 09.1178 - <juris>). Die Problematik bedarf hier keiner Vertiefung, denn solche Sicherheitsinteressen sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Anders als in dem Fall, der dem Beschluss des Senats vom 05.01.2010 - 1 B 481/09 - zugrunde lag, bestehen hier keine konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller, wenn er das Bundesgebiet betritt, erneut gewalttätig werden oder versuchen könnte, durch aggressive Handlungen gegen sich selbst oder Drohungen damit die Fortdauer seines Aufenthalts zu erzwingen. Das öffentliche Interesse, das gegen die Betretenserlaubnis spricht, erschöpft sich hier in der Überwachung und ggf. zwangsweisen Durchsetzung der sofortigen Wiederausreise. Dieses Interesse steht einer Betretenserlaubnis nicht entgegen, sondern kann durch Begleitmaßnahmen hinreichend gewahrt werden.

III. Erfordern zwingende Gründe in dem dargestellten Sinne die Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet, kommt den Ausländerbehörden hinsichtlich der Frage, ob die Betretenserlaubnis erteilt wird, kein Ermessen mehr zu. Sind die Gründe für die Betretenserlaubnis nämlich "zwingend", würde es dem Sinn der gesetzlichen Ermächtigung widersprechen, sie gleichwohl zur Disposition zu stellen und sich ggf. über sie hinwegzusetzen. Schon bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "zwingende Gründe" auf der Tatbestandsseite sind alle auch für die Ermessensausübung hinsichtlich des "Obs" maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, so dass für das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite insoweit kein Raum mehr bleibt und die Erlaubnis zwingend zu erteilen ist (vgl. zum Ermessensschwund bei vergleichbaren Vorschriften: BVerwGE 15, 207 211f.> zu § 3 NÄG <wichtiger Grund>; 18, 247 251> zu § 35 Abs. 2 BBauG <keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange>; 107, 164 167> zu § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG <Vermeidung unbilliger Härten>; s. auch Maurer, AllgVerwR, 17. Aufl. 2009, § 7 Rn 49). Soweit einzelne Oberverwaltungsgerichte die Auffassung vertreten, auch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stehe die Erteilung der Betretenserlaubnis grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörden, das sich nur auf Grund der Umstände im Einzelfall auf Null reduzieren könne (NdsOVG, a.a.O., S. 417; BayVGH, B. v. 19.06.2008 – 10 CE 08.1263 - <juris>), vermag der Senat dem nicht zu folgen. [...]