VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.12.2009 - 8 K 2137/07.F - asyl.net: M16837
https://www.asyl.net/rsdb/M16837
Leitsatz:

Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (nach altem Recht, da Antragstellung vor dem 1.1.2005). Leistungen nach dem SGB II fallen nicht unter den Begriff der "Sozialhilfe" im Sinne des § 46 Nr. 6 AuslG (Ausweisungsgrund).

Schlagwörter: Niederlassungserlaubnis, unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Ausländergesetz, Ausweisungsgrund, Sozialhilfe, SGB II, Sicherung des Lebensunterhalts,
Normen: AufenthG § 104 Abs. 1 S. 1, AuslG § 25 Abs. 3 S. 1, AuslG § 24 Abs. 1 Nr. 4, AuslG § 24 Abs. 1 Nr. 6, AuslG § 46 Nr. 6,
Auszüge:

[...]

Die Versagung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (nach dem damaligen Recht) durch die Verfügung vom 20.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids war rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Seit 2005 gibt es diesen Aufenthaltstitel nicht mehr, er ist durch die Neuregelung des Aufenthaltsgesetzes (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) durch die Niederlassungserlaubnis ersetzt worden. Da die Klage nach 2005 erhoben worden ist, kann die Klägerin von der Beklagten nunmehr prozessual nur noch die Verpflichtung auf die Niederlassungserlaubnis verlangen, deren materielle Voraussetzungen allerdings nach der alten Rechtslage wie für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis beurteilt werden müssen.

Maßgebende Rechtsgrundlage der von der Klägerin begehrten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist danach der § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG, da sie den entsprechenden Antrag vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gestellt hatte. Hiernach ist die dem Ehegatten eines Deutschen erteilte Aufenthaltserlaubnis in der Regel nach drei Jahren unbefristet zu verlängern, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen fortbesteht und die in § 24 Abs. 1 Nr. 4 und 6 AuslG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen.

Der Klägerin wurde im Hinblick auf die – noch fortdauernde – Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann nach ihrer Eheschließung 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die seitdem stets verlängert worden ist. Somit ist sie im Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung seit über sieben Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Da keine Anhaltspunkte für einen atypischen Fall vorliegen, der ein Abweichen von der Regelentscheidung rechtfertigte, und die in § 24 Abs. 1 Nr. 4 und 6 AuslG bezeichneten Voraussetzungen nicht vorliegen, ist ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Voraussetzung des § 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG erfüllt, weil kein Ausweisungsgrund zu Lasten der Klägerin vorliegt. Insbesondere ist nicht der Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 6 AuslG gegeben, denn die Klägerin nimmt keine Sozialhilfe in Anspruch. Die von der Behörde aufgestellte Behauptung, dass die Inanspruchnahme "öffentlicher Mittel" ausreiche, entspricht nicht der für die Beurteilung des klägerischen Begehrens zu Grunde zu legenden Rechtslage (vor dem 1.1.2005). Ein eventuell vorhandener Bezug solcher Leistungen durch ihren deutschen Ehemann ist insoweit ebenfalls ohne Bedeutung (BVerwG 28.9.2004 - 1 C 10/03 -, BVerwGE 122, 94, NVwZ 2005, 460 [462]). Die von der Klägerin selbst seit dem 1.1.2005 bis heute bezogenen Leistungen nach dem SGB II fallen nicht unter den Begriff der "Sozialhilfe" im Sinne der ausländerrechtlichen Vorschrift.

Dem Wortlaut nach handelt es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um die Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 1 SGB II) und nicht um solche der Sozialhilfe. Dieser Begriff wird vielmehr nur im SGB XII verwendet (§ 1 SGB XII) und kann allenfalls auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetzes ausgedehnt werden (HessVGH 05.03.2007 - 3 UE 2823/06 -; DÖV 2007, 755). An anderer Stelle erwähnt das (neue) Aufenthaltsgesetz ausdrücklich die "Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch", um an deren Bezug bestimmte Rechtsfolgen zu knüpfen (§§ 31 Abs. 4, 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Daraus folgt, dass der in § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG verwendete Begriff der "Sozialhilfe" nicht zugleich beide Leistungsarten erfasst. Eine Klarstellung, dass hiervon auch Leistungen nach dem SGB II erfasst sein sollten, wurde im Gesetzgebungsverfahren des 1. Änderungsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz für § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG – im Gegensatz zu den vorgenannten Normen – verworfen (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dez. 2007, § 55 AufenthG Rn. 80). Zudem wird in § 23a Abs. 3 Satz 2 AufenthG der nur auf Leistungen der "Sozialhilfe" beschränkte Regelungsgehalt des Satzes 1 ausdrücklich auf bestimmte Leistungen des SGB II entsprechend angewandt. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG nicht auf die Leistungen nach dem SGB II auszudehnen (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 55 Rn. 44; Hailbronner a.a.O.). Da diese Vorschrift lediglich gegenüber dem § 46 Nr. 6 AuslG "sprachlich gestrafft" worden ist, der Begriffsinhalt aber unverändert bleiben sollte (BT-Drucks. 15/420, S. 90), lassen sich diese Erwägungen zu den Auswirkungen der Änderungen auf dem Gebiet des Sozial- und Arbeitslosenhilferechts zum 1.1.2005 auf den in § 46 Nr. 6 AuslG normierten Ausweisungstatbestand rückübertragen.

Das Gericht folgt auch im Übrigen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Hamburg in seinem Urteil vom 08.05.2008 - 17 K 756/08 - ( NVwZ-RR 2008, 831). Dort heißt es: Zudem überdehnt die Beklagte den Sinn und Zweck der §§ 46 Nr. 6 AuslG, 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, wenn sie ihnen die Aufgabe zuweist, die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts als grundlegende Voraussetzung für die Aufenthaltsgewährung festzuschreiben, und hieraus den Schluss zieht, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers nicht durch Leistungen nach dem SGB II gesichert sei. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu.

Das Merkmal der Sicherung des Lebensunterhalts wurde bereits im Ausländergesetz eigenständig normiert. So enthielt schon § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG einen Regelversagungsgrund gegen die Erteilung einer nichtanspruchsgebundenen Aufenthaltserlaubnis, wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht durch bestimmte Leistungen sichern konnte. Differenziert nach der Art und Weise der Sicherung des Lebensunterhalts, wurde dieses Merkmal ferner in den §§ 16 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4, 17 Abs. 2 Nr. 3, 18 Abs. 3 Satz 1, 20 Abs. 5 Satz 1, 24 Abs. 2, 25 Abs. 2, 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 29 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 1 AuslG und schließlich in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AuslG verwendet. Dabei begnügten sich z.B. die §§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 29 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 AuslG mit einer Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe und trennten damit beide Begriffe deutlich voneinander. Ferner zeigt § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG, dass das Ausländergesetz darüber hinaus auch zwischen den Leistungen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe unterschied. Letzteres ist insofern von Bedeutung, weil die Leistungen des SGB II diejenigen der Arbeitslosenhilfe ersetzt haben.

Die Verwendung des Merkmals der Sicherung des Lebensunterhalts – nunmehr definiert durch § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG – setzt sich im Aufenthaltsgesetz fort. Die Herkunft der Mittel, welche den Lebensunterhalt sichern sollen, variiert in den §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 9 Abs. 2 Nr. 2, 9a Abs. 2 Nr. 2, 9c, 19 Abs. 1 Satz 1, 21 Abs. 4, 23a Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 3, 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4, 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sowie in § 104a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 und 2 und Abs. 6 Satz 2 Nr. 4 AufenthG. Gerade der differenzierte Gebrauch jenes Merkmals – auch dort, wo der Aufenthalt rechtlich verfestigt wird (§§ 9, 9a, 31 Abs. 3, 35, 37 AufenthG) – spricht dafür, dass dem Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG kein weitergehender Zweck zukommen soll, als einer dauerhaften Inanspruchnahme der Sozialhilfe entgegenzuwirken. Nach alledem hat bereits vor 2005 ein Anspruch der Klägerin auf die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bestanden. [...]