VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 17.03.2010 - 7 K 5686/09 - asyl.net: M16847
https://www.asyl.net/rsdb/M16847
Leitsatz:

Die Niederlassungserlaubnis ist erloschen, da die Kläger länger als sechs Monate im Ausland waren. Es greift auch nicht die Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, nach welcher das Erlöschen ausgeschlossen ist, wenn der Ausländer seit mindestens 15 Jahren in Deutschland lebte und seinen Lebensunterhalt sichern kann, da die Kläger im Zeitpunkt der Ausreise und der Wiedereinreise SGB II-Leistungen erhalten haben. Unerheblich ist, dass die Kinder den Unterhalt für die Kläger sicherstellen können.

Schlagwörter: Aufenthaltstitel, Erlöschen, Ausreise, 6-Monatsfrist, Sicherung des Lebensunterhalts, Beurteilungszeitpunkt, Wiedereinreise
Normen: AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7, AufenthG § 51 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Da, wie hinsichtlich des Klägers noch näher ausgeführt werden wird, eine der in § 51 AufenthG vorgesehenen Ausnahmen hier nicht einschlägig ist und der Beklagte auch keine längere Wiedereinreisefrist bestimmt hat, erloschen die den Klägern erteilten Aufenthaltstitel sechs Monate nach der am 27. Juni 2008 erfolgten Ausreise, mithin am 27. Dezember 2008.

Für den Eintritt dieser Rechtsfolge kommt es nicht darauf an, dass die Kläger nicht die Absicht hatten, sich länger als sechs Monate im Ausland aufzuhalten, und an einer rechtzeitigen Rückkehr, wie sie glaubhaft vortragen, nur durch die Beschlagnahme ihrer Pässe gehindert waren. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG lassen Raum für die Einbeziehung subjektiver Umstände oder für die Anknüpfung an besondere Hinderungsgründe. Der Regelungszweck der Norm besteht in der Schaffung von Rechtssicherheit und -klarheit. [...]

Ob eine subjektive Komponente zumindest insoweit eine Rolle spielt, als eine Ausreise im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG den freien Entschluss voraussetzt, das Bundesgebiet zu verlassen (so VG Hannover, a.a.O.; VG Bremen, Urteil vom 30. November 2005, 4 K 1013/05 (Kurnaz), InfAuslR 2006, 198), woran es etwa im Falle einer Auslieferung zwecks Strafverfolgung, bei einer Entführung oder dem Transport einer zur freien Willensbestimmung nicht fähigen Person fehlt, kann hier dahinstehen. Die Kläger handelten zweifellos auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses, als sie im Juni 2008 nach Indien flogen. Zwar sind ihre Angaben zu dem Reisezweck nicht völlig gleichbleibend gewesen. Dass sie nicht freiwillig gereist wären, haben sie jedoch nie behauptet. Dafür spricht auch sonst nichts. [...]

Das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Klägers ist auch nicht gemäß § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Danach erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich, wie der Kläger, mindestens fünfzehn Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, dann nicht, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, ist dabei nur auszugehen, wenn der Ausländer diesen einschließlich der Krankenversicherung für einige Zeit bestreiten kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2006, 18 B 1392/06, NRWE).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung des Kriteriums ist dabei der des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis. Nach der oben erörterten Konzeption des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG soll im Zeitpunkt sechs Monate nach der Ausreise gleichsam eine Momentaufnahme der Verhältnisse Grundlage für die Beurteilung des Erlöschens bzw. auch des Nichterlöschens nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sein. Wenn nach Ablauf der sechs Monate durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Ausländers eine Sicherung des Lebensunterhalts eingetreten ist, so kann das nach dem Grundsatz der durch § 51 Abs. 1 AufenthG erstrebten Rechtsklarheit für die Beurteilung des Erlöschens des Aufenthaltstitels nicht mehr von Belang sein (so auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2002, 18 B 732/01 (JURIS), VG Ansbach, Beschluss vom 13. August 2009, AN 5 S 09.01142, AN 5 E 09.01288 (JURIS)).

Erheblich kann eine solche Änderung nur noch für einen Neuantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis werden. Im Erlöschenszeitpunkt der Niederlassungserlaubnis im Dezember 2008 hat der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen im Sinne von §§ 51 Abs. 2 Satz 1, 2 Abs. 2 AufenthG bestritten. Er stand vielmehr im laufenden Bezug öffentlicher Leistungen bei der ARGE. Damit ist für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erwiesen, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert war. Ob der Kläger schon damals ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel hätte leben können, ist unerheblich, da eine Rückabwicklung der Verhältnisse nicht möglich ist. Dass er zukünftig nach einer Wiedereinreise allein von seinen Kindern unterhalten werden könnte, kann unterstellt werden. Es ist jedoch für die Beurteilung des Falles ohne Bedeutung. Zwar darf sich die Beurteilung der Sicherung des Lebensunterhalts nicht auf eine Momentaufnahme beschränken. Vielmehr ist insoweit stets auch eine Prognose anzustellen, wie sich schon aus dem Erfordernis der "Sicherung" ergibt, die zwangsläufig in die Zukunft gerichtet ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2010, 11 S 65.09 (JURIS); OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2007, 17 E 47/07 (JURIS)).

Diese Prognose kann jedoch das Erfordernis der Bedarfsdeckung im maßgeblichen Zeitpunkt nicht ersetzen, sie tritt vielmehr als zusätzliches Erfordernis hinzu. Eine zukünftig abgegebene Verpflichtungserklärung, wie sie die Kinder der Kläger in Aussicht gestellt haben, kann deshalb die erforderliche durchgängige Sicherung des Lebensunterhalts nicht bewirken (im Ergebnis ebenso OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2002 a.a.O.).

Angemerkt sei, dass ein anderes Ergebnis nicht daraus folgt, dass man auf einen der anderen in Rechtsprechung und Literatur erörterten Beurteilungszeitpunkte (vgl. dazu etwa VG Ansbach a.a.O., Bay.VGH, Urteil vom 1. Oktober 2008, 10 BV 08.256, VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2008, 10 K 3195/07, OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2006, 18 B 1392/06, jeweils JURIS) abstellt. Sowohl bei der Ausreise nach Indien im Juni 2008 als auch im Zeitpunkt der Rückkehr im Januar 2009 bezog der Kläger Leistungen nach SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts. [...]