VG Freiburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 23.09.2009 - A 1 K 2745/07 - asyl.net: M16863
https://www.asyl.net/rsdb/M16863
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen Verfolgungsgefahr für Mutter eines nichtehelichen Kindes in Algerien.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Algerien, Sicherheitslage, Verfolgungsdichte, extreme Gefahrenlage, nichteheliches Kind, Muslime, nichtstaatliche Verfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Mit dem Hilfsantrag hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor. In Betracht käme im Hinblick auf die derzeitige Sicherheitslage in Algerien allenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Unter besonderen Umständen können zwar auch allgemeine Gefahren ein rechtlich zwingendes Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift begründen. Dies setzt aber - in Abgrenzung zu § 60 Abs. 7 Satz 3, 60a Abs. 1 AufenthG - eine extreme Gefahrenlage dergestalt voraus, dass die Abschiebung den Betreffenden mit hoher Wahrscheinlichkeit, nämlich sehenden Auges, dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen aussetzen würde. Das wiederum wäre nur dann der Fall, wenn nahezu jeder Algerier nahezu überall und zu nahezu jeder Zeit der Gefahr ausgesetzt wäre, von islamistischen Terroristen oder anderen ermordet zu werden. Es müsste, ähnlich wie bei der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte, so sein, dass es eher zufällig wäre, ob er davon verschont bliebe. Davon aber kann auch angesichts der aus den Medien gerichtsbekannten Massaker von Terroristen in Algerien schon wegen der Relation der Zahl der Opfer zur Zahl der Einwohner nicht die Rede sein. So geht das Auswärtige Amt für das Jahr 2008 von monatlich etwa 60 Opfern aus, die bei den Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und terroristischen Gruppen sowie bei Sprengstoffanschlägen getötet wurden (vgl. AA, Lagebericht v. 15.04.2009).

Das Gericht sieht jedoch im Hinblick darauf, dass die Klägerin inzwischen Mutter eines Kindes ist, das nicht von ihrem Ehemann stammt, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als gegeben an. Auch wenn das Gericht die Klägerin, was ihr angebliches Verfolgungsschicksal anbelangt, nicht für glaubwürdig hält, hat sie durch Vorlage des ihren Ehemann betreffenden Geburtsregisterauszugs vom 27.12.2007 immerhin nachgewiesen, verheiratet zu sein. Ihr Ehemann ist aber ersichtlich nicht der Vater des am 11.09.2008 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kindes. Angesichts der in Algerien herrschenden islamischen Moralvorstellungen wäre die Klägerin deshalb bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien erheblichen Repressalien seitens ihrer eigenen Familie und seitens der Familie ihres Ehemanns ausgesetzt, die ein solches Verhalten als Schande empfinden werden. Von daher sieht das Gericht das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als gegeben an. Dagegen vermag die der Klägerin deshalb drohende Gefahr nach Auffassung des Gerichts kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu begründen, da keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der algerische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens wäre, Schutz vor einer derartigen Verfolgung zu bieten (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG). [...]