SG Gießen

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Zitieren als:
SG Gießen, Urteil vom 16.06.2009 - S 18 AY 9/08 - asyl.net: M16881
https://www.asyl.net/rsdb/M16881
Leitsatz:

Zur örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, örtliche Zuständigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Kostenerstattung
Normen: AsylbLG § 10a, AsylbLG § 10b, SGB X § 105
Auszüge:

[...]

Streitig ist hier allein die örtliche Zuständigkeit des Klägers. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 10a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach § 10a Abs. 1 AsylbLG ist für die Leistungen nach diesem Gesetzbuch örtlich zuständig die nach § 10 AsylbLG bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte aufgrund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Inneren bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Im Übrigen ist die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung der Leistung auch dann bestehen, wenn die Leistung von der zuständigen Behörde außerhalb ihres Bereichs sichergestellt wird. Aus § 10a Abs. 2 AsylbLG wiederum ergibt sich, dass für die Leistungen in Einrichtungen, die der Krankenbehandlung oder anderen Maßnahmen nach diesem Gesetz dienen, die Behörde örtlich zuständig ist, in deren Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. War bei Einsetzen der Leistung der Leistungsberechtigte aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in eine weitere Einrichtung übergetreten oder tritt nach Leistungsbeginn ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Steht nicht spätestens innerhalb von vier Wochen fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach den Sätzen 1 und 2 begründet worden ist, oder liegt ein Eilfall vor, hat die nach Abs. 1 zuständige Behörde über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten.

§ 10a AsylbLG regelt mit diesen beiden Absätzen die örtliche Zuständigkeit für alle Leistungsfälle des AsylbLG abschließend. Es ist anerkannt und unumstritten, dass § 10a Abs. 2 AsylbLG eine Spezialvorschrift für die örtliche Zuständigkeit bei Leistungen in Einrichtungen enthält, die der allgemeinen Regelung des § 10a Abs. 1 AsylbLG vorgeht. Daraus ergibt sich, dass, da im vorliegenden Fall ausschließlich Leistungen in Einrichtungen erbracht wurden, sich die örtliche Zuständigkeit aus § 10a Abs. 2 AsylbLG ergibt.

Maßgeblich ist demnach, wo der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, bevor er in die erste Einrichtung aufgenommen wurde. Handelt es sich nämlich um eine nahtlose Aufeinanderfolge von Einrichtungswechseln, so bleibt der gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich, der bei Aufnahme der ersten Einrichtung vorlag (§ 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG).

Im konkreten Fall konnte nicht ermittelt werden, wo der ausgesetzte Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in die Einrichtung in ..., also im Zuständigkeitsbereich des Klägers, hatte. Es konnte polizeilich und auch ansonsten nicht behördlich ermittelt werden, ob er sich zuvor im Bereich des Klägers aufgehalten hatte oder ob er zwecks Aussetzung von seinen Eltern oder anderen Personen in den Zuständigkeitsbereich des Klägers verbracht wurde. Im vorliegenden Fall konnte weder die Identität noch die Herkunft des Hilfeempfängers noch sonstige Umstände weiter ermittelt werden. Der gewöhnliche Aufenthalt ist somit unbekannt.

Die örtliche Zuständigkeit kann somit nicht nach § 10a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AsylbLG bestimmt werden.

Es greift daher § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG ein. Hiernach hat die nach § 10a Abs. 1 AsylbLG zuständige Behörde über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten, wenn nicht spätestens innerhalb von vier Wochen feststeht, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach den Sätzen 1 und 2 begründet worden ist. Dementsprechend erbrachte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum die Leistungen. Aus dem Verweis in Satz 3 auf Abs. 1 ergibt sich nämlich, dass dann derjenige Träger zuständig ist, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufgehalten hat. Entscheidend ist hierbei allerdings nicht die in § 10a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG geregelte Aufnahmekette, sondern maßgeblich ist der tatsächliche Aufenthalt bei Aufnahme in die Einrichtung, über deren Kosten gestritten wird (Gemeinschaftskommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz, § 10a Rn. 72-74). Streitentscheidend ist demnach der tatsächliche Aufenthalt bei Aufnahme in die Einrichtung in der ... Der Hilfeempfänger hielt sich zu diesem Zeitpunkt in einer Einrichtung in ... tatsächlich auf, also im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch nicht hierfür auf den tatsächlichen Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Leistungen nach der Leistungsgewährung durch den LWV abzustellen. § 10a Abs. 2 AsylbLG stellt nur auf die tatsächlichen Gegebenheiten und hierbei auf die Aufnahmetatbestände an sich ab. Rechtliche Leistungsunterbrechungen bleiben unberücksichtigt (siehe hierzu auch: Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.06.2000, Az.: 16 B 738/00 zu § 10a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG). Eine andere Auslegung lässt sich aus § 10a AsylbLG nicht herleiten. Zwar verweist § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG im Hinblick auf die Zuständigkeit insgesamt auf Abs. 1, somit also auch auf § 10a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG. Maßgeblich ist daher auch die Regelung in Satz 3, dass die Zuständigkeit solange bestehen bleibt, wie die Leistung nicht beendet wurde. Allerdings kann das im Rahmen der Leistung von Einrichtungen nach Sinn und Zweck von § 10a Abs. 2 AsylbLG nur die Beendigung der tatsächlichen Unterbringung in der Einrichtung bedeuten. Bei Wiedereinsetzen der Leistungen nach der Leistungsunterbrechung durch die Leistungsgewährung durch den LWV konnte die örtliche Zuständigkeit dann nämlich erneut nur wieder nach § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG bestimmt werden. Erneut war ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht festzustellen, so dass die nach Abs. 1 zuständige Behörde über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten hatte. Nach der bekannten Auslegung des § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG (siehe oben) bleibt im Rahmen von § 10a Abs. 2 AsylbLG aber maßgeblich der Zeitpunkt der Aufnahme in die konkrete Einrichtung. Die konkrete Einrichtung wiederum wechselte im vorliegenden Fall nicht. Folglich bleibt auch für die erneute Wiederaufnahme der Leistungen der tatsächliche Aufenthaltsort bei Aufnahme in die Einrichtung maßgeblich und damit bleibt der Kläger die nach Abs. 1 zuständige Behörde. Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr auf den rechtlichen Eintritt der Leistungsverpflichtung und nicht auf die tatsächliche Aufnahme abzustellen ist, finden sich nach Auffassung des Gerichtes nicht.

Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Klägers nach Auffassung des Gerichtes aus § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG, so dass keine Unzuständigkeit nach § 105 SGB X gegeben ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, wenn der Kläger behauptet, dass der Hilfeempfänger keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat.

Zunächst steht nach Auffassung des Gerichtes nicht fest, dass der Hilfeempfänger tatsächlich keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Hilfeempfänger nicht unmittelbar vor dem Aussetzen durch seine Eltern oder dritte Personen in die Bundesrepublik illegal eingereist ist, um sodann sogleich in XY. aufgegriffen zu werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Hilfeempfänger mit Angehörigen schon längere Zeit illegal oder auch legal in der Bundesrepublik aufhielt. Es ist daher davon auszugehen, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik bestand. Dies würde dazu führen, dass der Kläger, sobald bekannt ist, wo der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, gegen den zuständigen Träger nach § 10b AsylbLG einen Erstattungsanspruch geltend machen kann. Solange dies aber nicht der Fall ist, bleibt es bei der Zuständigkeit nach § 10a Abs. 3 AsylbLG, da ein Erstattungsanspruch nach § 10b AsylbLG nicht durchgesetzt werden kann. Auf jeden Fall ist die Beklagte nicht der nach § 10b AsylbLG in Anspruch zu nehmende Träger.

Selbst wenn man aber unterstellen würde, dass der Hilfeempfänger keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatte, sondern nur einen tatsächlichen, kann der Kläger mit seinem Klagebegehren nicht obsiegen.

Aus § 10a Abs. 2 AsylbLG ergibt sich nicht ausdrücklich, was für den Fall gelten soll, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht besteht. § 10a Abs. 2 AsylbLG stellt ersichtlich nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber in § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG estgehalten, dass eine vorläufige Eintrittspflicht der nach Abs. 1 zuständigen Behörde besteht, in den Fällen, in denen nicht innerhalb von vier Wochen feststeht, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt ist. Er hat folglich nicht nur den Fall geregelt, dass nicht festgestellt werden kann, wo der gewöhnliche Aufenthalt ist, sondern auch den Fall, dass nicht festgestellt werden kann, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt besteht. Es ist somit nach Auffassung des Gerichtes auch die Konstellation mit geregelt worden, in der der Hilfeempfänger keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach Auffassung des Gerichtes bleibt es dann bei der Regelung in § 10a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG; die vorläufige Leistungspflicht wird damit zur endgültigen Leistungspflicht. Ein Erstattungsanspruch nach § 10b AsylbLG scheidet aus (vgl. hierzu auch Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, § 10b Rn. 8; ebenso auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.10.2004, Az.: 12 A 11140/04).

Nach Auffassung des Gerichtes kann in diesen Fällen nicht anstelle auf § 10a Abs. 2 AsylbLG alleine auf § 10a Abs. 1 AsylbLG abgestellt werden. Für eine solche Analogie fehlt es nach Auffassung des Gerichtes schon an einer Regelungslücke, da § 10a Abs. 2 AsylbLG hierfür eine Regelung enthält (siehe oben). [...]