LG Wiesbaden

Merkliste
Zitieren als:
LG Wiesbaden, Beschluss vom 12.03.2010 - 4 T 364/09 - asyl.net: M16890
https://www.asyl.net/rsdb/M16890
Leitsatz:

Zur Zurückschiebungshaft bei unerlaubter Einreise.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Griechenland, Sicherungshaft, Aufenthaltsgestattung, sichere Drittstaaten, unerlaubte Einreise, Dublin II-VO, Asylfolgeantrag
Normen: AufenthG § 57 Abs. 3, AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, AsylVfG § 27a, VwGO § 123, FEVG § 7 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 4, AufenthG § 55 Abs. 1 S. 3, AsylVfG § 14, AsylVfG § 71 Abs. 8
Auszüge:

[...]

Die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 10.8.2009 war rechtswidrig, weil der Betroffene durch den aus der Haft heraus bei einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit Schreiben vom 8.7.2009 gestellten Asylantrag eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 S. 3 AufenthG erlangt hat, die der Rechtmäßigkeit der Haft entgegensteht. Ist der Asylsuchende - wie hier der Betroffene - aus einem sicheren Drittstaat eingereist, so wird gemäß § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG eine Aufenthaltsgestattung dann begründet, wenn der Betreffende einen förmlichen Asylantrag nach § 14 AsylVfG beim Außenamt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gestellt hat (BGH NVwZ 2003, 893; Hailbronner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, Rn. 26; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 55, Rn. 29).

Die Aufenthaltsgestattung des § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG gilt auch für die unerlaubte Einreise aus den EU-Staaten, in denen wie in Griechenland die Dublin II-Verordnung Nr. 343/2003 gilt (Hailbronner a.a.O., § 55 AsylVfG, Rn. 19, Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 55 AsylVfG, Rn. 8). Diese Staaten werden vom Wortlaut des § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG erfasst, da alle EU-Staaten sichere Drittstaaten sind (Hailbronner a.a.O.).

Ab dem Zeitpunkt der Stellung eines förmlichen Asylantrags ist auch für die Phase vom Bestehen einer Aufenthaltsgestattung auszugehen, in dem das Bundesamt seine Zuständigkeit für das gestellte Asylgesuch prüft (Hailbronner a.a.O., Rn. 20; Renner a.a.O.). Entgegen der von der Ausländerbehörde mit Schriftsatz vom 26.2.2010 geäußerten Auffassung ändert die materiell-rechtliche Vorschrift des § 27 a AsylVfG, wonach ein Asylantrag bei Zuständigkeit eines anderen Staates unzulässig ist, nichts daran, dass im Zeitraum zwischen der förmlichen Stellung des Asylantrags bei der Außenstelle des Bundesamts und der Bescheidung des Gesuchs die Aufenthaltsgestattung des § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG gilt. § 27 a AsylVfG ist ausschließlich eine vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Bescheidung von Asylgesuchen zu beachtende materiell-rechtliche Vorschrift, die auf die Begründung der Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG keinen Einfluss hat.

Dass der Betroffene bereits zuvor in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat, macht das Asylgesuch in Deutschland vom 8.7.2009 auch nicht zu einem Asylfolgeantrag, der gemäß § 71 Abs. 8 AsylVfG der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegenstehen würde.

Ein Asylfolgeantrag im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn der Asylsuchende bereits ein Asylverfahren in Deutschland nach den dort geltenden verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Regeln erfolglos abgeschlossen hat (Hailbronner a.a.O., § 71 AsylVfG, Rn. 9).

Solange aber der Aufenthalt eines Ausländers nach § 55 Abs. 1 AsylVfG gestattet ist, darf er außer in den Fällen des § 14 Abs. 3 AsylVfG nicht in Haft genommen werden (beck-online-Renner, Ausländerrecht, § 62 AufenthG, 62.0.1.3).

Ein Fall des § 14 Abs. 3 AsylVfG lag hier aber nicht vor.

Da sich der Betroffene hier in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG befunden hat, hätte die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nur entgegen gestanden, wenn sich der Betroffene nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat. Dies war aber gerade nicht der Fall, weil der Betroffenen bereits am ersten Tag seiner Einreise nach Deutschland festgenommen worden ist.

Selbst wenn aber ein Fall des § 14 Abs. 3 AsylVfG vorgelegen hätte, wäre die Haftanordnung vom 10.8.2009 gemäß .§ 14 Abs. 3 S. 4 AsylVfG auch deshalb rechtswidrig gewesen, weil die Abschiebungshaft nach dieser Vorschrift vier Wochen nach Eingang des Gesuchs beim Bundesamt endet, wenn über dieses bis dahin nicht entschieden worden ist. Entscheidet das Bundesamt nicht innerhalb der Vierwochenfrist über einen aus der Haft heraus gestellten Asylantrag, weil es sich auf der Grundlage des Dubliner-Übereinkommens um die Übernahme durch einen Mitgliedstaat der EU bemüht, steht die Aufenthaltsgestattung der Abschiebungshaft entgegen (BayObLG, InfAuslR 2001, 175; Hailbronner a.a.O., § 62 AufenthG, Rn. 26).

Im Zeitpunkt der angefochtenen Haftanordnung vom 10.8.2009 waren seit Eingang des Asylgesuchs vom 8.7.2009 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bereits über vier Wochen vergangen. [...]