VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 25.11.2008 - 6 K 914/08.WI - asyl.net: M16902
https://www.asyl.net/rsdb/M16902
Leitsatz:

Eine Ermessenseinbürgerung bei unverschuldetem Bezug von Sozialleistungen scheidet aus, wenn der Einbürgerungsbewerber wegen der Pflege naher Angehöriger nicht imstande ist, sich selbst zu ernähren. Dem steht nicht entgegen, dass im Sozialleistungsrecht eine Arbeitsaufnahme wegen der Pflege naher Angehöriger unzumutbar sein kann.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Sicherung des Lebensunterhalts, Sozialleistungen, besondere Härte, Integration
Normen: StAG § 8 Abs. 1 Nr. 4, StAG § 8 Abs. 2, SGB II § 10 Abs. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Auch einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 StAG scheidet aus, weil bereits die Voraussetzungen für eine Ermessenentscheidung nicht vorliegen. Eine Ermessensentscheidung setzt nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG zunächst voraus, dass der Einbürgerungserwerber in der Lage ist, sich zu ernähren. Das ist nicht der Fall, die Klägerin bezieht Sozialleistungen.

Umstände, die es denkbar erscheinen lassen könnten, dass vorliegend von der zwingenden Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nach § 8 Abs. 2 StAG abzusehen wäre, weil dies aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, sind nicht erkennbar.

Eine besondere Härte mag nicht in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen sein, wenn der Einbürgerungsbewerber etwa wegen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, sich selbst zu ernähren (vgl. Münch, in: Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2008, 8 Rdnr.32), obwohl eine entsprechende Regelung bei der Ermessenseinbürgerung nicht vorgesehen ist, im Unterschied zur Anspruchseinbürgerung (vgl. dort § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG). Abzustellen ist bei § 8 Abs. 2 StAG aber etwa darauf, ob gerade in der Person des Einbürgerungsbewerbers Umstände vorliegen, welche ihm eine Erwerbstätigkeit unmöglich machen, etwa eigene Krankheit. Die Klägerin gibt an, an einer Erwerbstätigkeit wegen der Pflege ihrer kranken Mutter gehindert zu sein. Bereits daher ist die Nichteinbürgerung der Klägerin für diese keine besondere Härte.

Daneben sind besondere Integrationsleistungen der Klägerin, welche für eine Einbürgerung sprechen könnten, weder vorgetragen noch erkennbar. Auch kann nicht die Prognose getroffen werden, die Klägerin werde in naher Zukunft imstande sein, sich selbst zu ernähren. Im Verwaltungsverfahren hatte sie angegeben, über keinerlei Ausbildung zu verfügen. Allein die Teilnahme an einem 30 Unterrichtsstunden umfassenden Kurs Maschinenschreiben am PC im Jahr 2000 und Praktika von rund einem Jahr in 2000/2001 rechtfertigen nach rund 20 Jahren des Bezuges von Sozialleistungen nicht die Annahme, die Klägerin werde in absehbarer Zeit imstande sein, sich selbst zu ernähren.

Der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung unter Berücksichtigung des Aufenthaltsrechts stützt das Ergebnis, dass die Pflege Dritter nach dem Staatsangehörigkeitsrecht unbeachtlich ist. Wird ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geltend gemacht, kann auf das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhaltes nur verzichtet werden, wenn diese Voraussetzung wegen eigener Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden kann; nicht aber zugunsten z.B. einer Ehefrau und Mutter, welche ihren kranken Mannes und ein schwerbehindertes Kind pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2008 - 1 C 34/07 -, Pressemitteilung, www.bverwg.de). Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn nicht einmal ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, gleichwohl aber ein Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband bestünde.

Dem steht nicht entgegen, dass im Sozialleistungsrecht nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II eine Arbeitsaufnahme im Hinblick auf die Pflege naher Angehöriger unzumutbar sein kann. Zweck dieser Regelung ist es, die Rechtsstellung des Pflegebedürftigen nicht durch eine Arbeitsaufnahme des Pflegenden zu beeinträchtigen. Vorliegend ist aber die Situation der pflegebedürftigen Mutter nicht von der Staatsangehörigkeit der Klägerin abhängig. Die Klägerin besitzt derzeit einen Aufenthaltstitel und kann ihre Mutter pflegen. [...]