VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 05.11.2009 - AN 5 K 09.30201 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 205 f.] - asyl.net: M16904
https://www.asyl.net/rsdb/M16904
Leitsatz:

Allein in der Anhörung nach § 25 Abs. 1 AsylVfG liegt noch keine Übernahme der Zuständigkeit im Dublin-Verfahren (Selbsteintritt) durch das BAMF.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Polen, Visum, Anhörung, Selbsteintritt
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 25, VO 343/2003 Art. 9 Abs. 4, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, VO 343/2003 Art. 9 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der vom Kläger gestellte Asylantrag unzulässig ist. Gemäß § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag nämlich u.a. dann unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung ist im Fall des Klägers erfüllt, weil gemäß Art. 9 Abs. 2 und 4 Dublin II-VO Polen für die Prüfung des vom Kläger gestellten Asylantrags zuständig ist.

Gemäß Art. 9 Abs. 4 Dublin II-VO sind dann, wenn der Asylbewerber ein Visum besitzt, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist und auf Grund dessen er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einreisen konnte, die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen. Der Kläger hat im Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender am 20. Februar 2009 ebenso wie bei der am 24. März 2009 erfolgten Asylantragstellung ein Visum besessen, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen war. Das ihm von der polnischen Botschaft in Havanna ausgestellte Visum, mit dem er auch nach Deutschland einreisen konnte, war nämlich am 13. Februar 2009 abgelaufen. Aus der damit anwendbaren Regelung in Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO ergibt sich, dass der Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, der das Visum erteilt hat. Dies ist im Fall des Klägers Polen. Dementsprechend haben die polnischen Behörden mit Schreiben vom 19. Mai 2009 gegenüber dem Bundesamt ihre Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers anerkannt. Dass der Kläger Polen, nachdem er dorthin abgeschoben worden war, wieder verlassen hat und erneut - unerlaubt - nach Deutschland eingereist ist, ändert an der Zuständigkeit der polnischen Behörden ebenso wenig wie der Umstand, dass in Polen über den Asylantrag bislang nicht entschieden wurde.

Die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrages ist entgegen dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers auch nicht auf die Beklagte übergegangen. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann zwar jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Das ihm damit eingeräumte Selbsteintrittsrecht hat das Bundesamt aber nicht wahrgenommen. Der Kläger macht durch seinen Prozessbevollmächtigten vergeblich geltend, die Ausübung des Selbsteintrittsrechts liege bereits darin, dass das Bundesamt den Kläger gemäß § 25 AsylVfG - umfassend - zu seinen Asylgründen angehört hat. Das Bundesamt hat nämlich nicht zu erkennen gegeben, dass es das Selbsteintrittsrecht wahrnehmen wolle. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts erfordert aber im Interesse der Rechtsklarheit eine entsprechende, für den Asylbewerber erkennbare Entscheidung und entsprechende Erklärung des Bundesamtes. Eine solche Entscheidung hat das Bundesamt beim Kläger nicht getroffen. Eine entsprechende Absicht des Bundesamtes war und ist auch nicht ersichtlich.

Sofern, wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers offenbar meint, eine konkludente Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch das Bundesamt möglich sein sollte, liegt jedenfalls allein in der in § 25 AsylVfG vorgeschriebenen Anhörung noch keine Übernahme der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages durch das Bundesamt. Vielmehr dient die Anhörung nach § 25 Abs. 1 AsylVfG, in der der Antragsteller auch Angaben über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthaltsorte in anderen Staaten machen soll, auch der Feststellung, welcher Staat für das Asylverfahren des Betroffenen zuständig ist und der Prüfung, ob besondere Umstände vorliegen, die trotz an sich gegebener Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch das Bundesamt rechtfertigen bzw. erfordern. Dass eine bloße Anhörung nicht als Prüfung des Asylantrags zu betrachten ist, ergibt sich bereits aus dem Wortsinn. Die Prüfung ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Asylbewerbers, die zu der Feststellung und Entscheidung führt, ob bzw. in welchem Umfang der Asylantrag Erfolg hat. Dies setzt die Kenntnis des Asylvorbringens und damit die Anhörung voraus. Sie kann aber erst dann beginnen und erfolgen, wenn der Asylantragsteller angehört worden ist. Die Anhörung dient allein der Kenntnisnahme und Feststellung des Asylvorbringens des betreffenden Antragstellers. Eine inhaltliche Prüfung des Asylvorbringens ist damit aber nicht verbunden. Soweit das Verwaltungsgericht Hamburg in der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in Bezug genommenen Rechtsprechung (Beschluss vom 20.8.2008, 8 AE 356/08) annimmt, eine Anhörung zur Sache sei bereits der Beginn der sachlichen Prüfung, während eine Anhörung, die nur der Ermittlung des Reiseweges und damit der Feststellung des zuständigen Vertragsstaates diene, nicht schon als Beginn der Prüfung zu betrachten sei, vermag das Gericht dem deshalb nicht zu folgen. Im Übrigen ist schließlich, wie das Bundesamt auch vorgetragen hat, auch zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der Anhörung noch nicht feststeht, ob der nach Auffassung des Bundesamtes ggf. für die Prüfung des Asylantrags zuständige Drittstaat tatsächlich seine Zuständigkeit anerkennt. Es ist deshalb auch aus diesem Grund nachvollziehbar, dass das Bundesamt eine umfassende Anhörung durchführt, um dann, falls es doch über den Asylantrag entscheiden muss, diesen ohne weitere zeitliche Verzögerung durch eine weitere Anhörung möglichst bald prüfen und entscheiden zu können. Das Gericht folgt deshalb der offensichtlich in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung, dass nicht schon allein in der Durchführung der Anhörung nach § 25 AsylVfG die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO gesehen werden kann (so z.B. VG Bremen, Beschluss vom 7.4.2000, 4 V 711/00 - juris -; VG des Saarlandes, Urteil vom 24.9.2008, 2 K 94/08, - juris -; VG Ansbach, Urteil vom 13.1.2009, 3 K 08.30017, - juris -; VG München, Beschluss vom 25.5.2009, M 4 S 09.60039, - juris -). [...]