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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 08.02.2010 - 3 K 2480/07.A - asyl.net: M16917
https://www.asyl.net/rsdb/M16917
Leitsatz:

Kein Widerruf der Asylanerkennung, da keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung. Nach Angaben von algerischen Regierungsvertretern soll es Sache der Gerichte sein, die Amnestie-Verordnung (VO 06-01), auch die Ausnahmen nach Art. 10, auszulegen. Aufgrund der Vieldeutigkeit der tatbestandlichen Bestimmungen und der nicht transparenten Entscheidungspraxis der algerischen Behörden sind Prognosen im Einzelfall nicht möglich.

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, Algerien, Amnestie
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für die Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind die durch § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorgegebenen Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter nicht gegeben. Der Kläger hat in Algerien nach den Feststellungen im Bescheid vom 14.09.1998 im Fall einer Rückkehr nach Algerien asylerhebliche Verfolgung zu befürchten, mit der Folge, dass ihr eine Rückkehr nach Algerien nicht zuzumuten ist. Denn der Kläger kann im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland auch zum jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts, auf den es ankommt (BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, Buchholz, Buchholz 402.24 Nr. 27 zu § 28 AuslG; BVerfG. Urteil vom 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80, BVerfGE 54, 341 (359 f.)) vor erneuter Verfolgung noch nicht hinreichend sicher sein. Die erforderliche hinreichende Verfolgungssicherheit folgt insbesondere nicht aus der in dem angegriffenen .Bescheid angeführten VO 06-01. Nach Angaben von (algerischen) Regierungsvertretern soll es Sache der Gerichte sein, die Bestimmungen der Verordnung und damit auch deren Art. 10, der Ausnahmen von der grundsätzlichen Amnestie enthalte (Massaker, Vergewaltigungen, Sprengstoffanschläge auf öffentliche Orte), auszulegen. Aufgrund der Vieldeutigkeit der tatbestandlichen Bestimmungen und der nicht transparenten Entscheidungspraxis der algerischen Behörden seien Prognosen im Einzelfall nicht möglich (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.04.2009, Seite 10).

Ferner ist nicht ausgeschlossen, dass algerische Behörden die in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf bekanntgewordenen Tatsachen anders bewerten als deutsche Gerichte und diese zum Anlass nehmen, die Anti-Terrorismus-Verordnung im Fall des Kläger mindestens zu prüfen. Durch diese Verordnung 92-03 ist den Sicherheitskräften die Möglichkeit eingeräumt worden, verdächtige Personen bis zu 12 Tagen festzuhalten, ohne sie einem Richter oder Staatsanwalt vorzuführen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen kommt es dabei häufig zu Überschreitung der 12 Tage sowie regelmäßig zu Übergriffen auf Inhaftierte. Misshandlungen auf Polizei- und Gendarmeriestationen (nicht mehr systematische Folter) seien an der Tagesordnung (vgl. Lagebericht, a.a.O., Seite 16).

Angesichts dieser Erkenntnislage ist das Gericht weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann. [...]