OLG München

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Zitieren als:
OLG München, Beschluss vom 12.04.2010 - 31 Wx 106/09 - asyl.net: M16924
https://www.asyl.net/rsdb/M16924
Leitsatz:

In Gambia beträgt das Volljährigkeitsalter wohl 21 Jahre. Solange nicht die Anwendbarkeit der GFK, nach der das deutsche Volljährigkeitsalter maßgeblich wäre, positiv festgestellt werden kann, ist vorliegend hinsichtlich einer Beendigung der Vormundschaft von einer Volljährigkeit mit 21 Jahren auszugehen.

Schlagwörter: Vormundschaft, Scheinbeschluss, Unterschrift, Richter, Haager Minderjährigenschutzabkommen, MSA, Volljährigkeit, Heimatrecht, Gambia, Genfer Flüchtlingskonvention, Personalstatut
Normen: ZPO § 315 Abs. 1 S. 2, MSA Art. 2, EGBGB Art. 7, EGBGB Art. 24, EGBGB Art. 4 Abs. 1 S. 2, GFK Art. 12
Auszüge:

[...]

a) Das Landgericht hat im Entwurf seines Beschlusses ausgeführt, dass die Regelungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) im vorliegenden Fall anwendbar seien, dem autonomen deutschen Kollisionsrecht vorgingen und das vom MSA berufene Recht des Aufenthaltsstaates (Art. 2 MSA), hier das deutsche Recht, die Voraussetzungen sowohl für die Anordnung als auch für die Beendigung der Schutzmaßnahme bestimme (Art. 2 Abs. 2 MSA). Nach deutschem Recht sei die Betroffene volljährig und die Vormundschaft deshalb beendet.

b) Auf diese Erwägungen wird das Landgericht seine Entscheidung nicht stützen können. Die Anwendung des MSA setzt voraus, dass der Betroffene sowohl nach seinem Heimatrecht als auch nach dem Recht des Aufenthaltsstaates minderjährig ist (Art. 12 MSA). Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres am 25.12.2007 wurde F. K. nach deutschem Recht volljährig und das MSA deshalb unanwendbar. Ob die unter der Geltung des MSA angeordnete Schutzmaßnahme der Vormundschaft beendet ist, richtet sich vielmehr - vorbehaltlich eines vorrangigen Staatsvertrages wie etwa der Genfer Flüchtlingskonvention - nach dem vom autonomen deutschen Kollisionsrecht berufenen Sachrecht (vgl. im Einzelnen OLG München FamRZ 2009, 1602). Das ist nach Art. 7, Art. 24 EGBGB das Recht des Staates Gambia als Heimatrecht der Betroffenen (eine durch das gambisches Recht angeordnete Rückverweisung, die das deutsche Recht gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB annähme, lässt sich nicht feststellen).

c) Nach Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Anwendbarkeit vorrangig zu prüfen ist, bestimmt sich das Personalstatut jedes Flüchtlings nach dem Recht des Wohnsitz- bzw. Aufenthaltsstaates. Das wäre hier das deutsche Recht. Die Betroffene wäre volljährig. Allerdings erscheint die Anwendbarkeit der Genfer Flüchtlingskonvention fraglich, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 12.10.2009 die Anerkennung der Betroffenen als Asylberechtigte abgelehnt hat (es sei denn, im anhängigen Klageverfahren gegen diesen Bescheid hätte sich zwischenzeitlich ein neuer Sachstand ergeben, der vom Landgericht selbstverständlich zu berücksichtigen wäre). Für eine hiervon abweichende Beurteilung besteht - solange nicht eine positive Anerkennungsentscheidung ergangen ist - nach Aktenlage kein Anlass; es kann daher offen bleiben, inwieweit den Zivilgerichten hier überhaupt eine eigene Prüfungskompetenz zusteht. Der Senat verkennt nicht, dass sich die Antragsteller in Verfahren dieser Art widersprüchlich verhalten: Einerseits begehren sie die Anerkennung als Flüchtling und gehen dafür durch die Gerichtsinstanzen, andererseits möchten sie, solange die Anerkennung nicht erfolgt ist, einstweilen nicht als Flüchtling gelten, um den Rechtsfolgen des Art 12 der Genfer Flüchtlingskonvention zu entgehen und möglichst lange die mit fortdauernder Vormundschaft verbundenen Betreuungs- und Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können. Das ändert aber nichts daran, dass die (im Asylverfahren vorgetragene) Behauptung, Flüchtling zu sein, nicht schon per se die Flüchtlingseigenschaft begründet.

d) Solange nicht die Anwendbarkeit der Genfer Flüchtlingskonvention positiv festgestellt werden kann, ist somit das gambische Recht zu prüfen. Wann eine wegen jugendlichen Alters eines elternlosen gambischen Staatsangehörigen angeordnete Vormundschaft endet, ist im vorliegenden Verfahren noch nicht zweifelsfrei geklärt. Nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Gambia - Stand 1999 -, Abschnitt III A 4, soll das Volljährigkeitsalter 21 Jahre betragen, wobei zur Begründung auf Sec. 2 Adoption Act verwiesen wird, der aber nur (wie in der angelsächsischen Regelungstechnik üblich) eine Definition des "Kindes" (als eine Person bis zu deren 21. Lebensjahr) für die Zwecke des Adoptionsgesetzes enthält (ebenso wie das Staatsangehörigkeitsgesetz von Gambia in Sec. 2 eine Definition des "Minderjährigen" als eine Person, die noch nicht 21 Jahre alt ist, für die Zwecke des Staatsangehörigkeitsgesetzes enthält). Es erscheint durchaus möglich, dass Gambia - als ehemals britische Kolonie der englischen Rechtstradition des common law folgend - im geschriebenen Recht keine allgemeine Bestimmung über das Volljährigkeitsalter hat und dass sich das im hier erörterten Zusammenhang zu ermittelnde Volljährigkeitsalter nur aus einer Gesamtschau verschiedener Einzelbestimmungen erschließen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 17.11.2009, 31 Wx 103/09 = FGPrax 2010, 31, zu Sierra Leone). Ferner ist zu berücksichtigen, dass Bergmann/Ferid/Henrich den Rechtszustand von 1999 wiedergibt, der sich zwischenzeitlich geändert haben kann. So haben in den letzten Jahren viele afrikanische Staaten, dem allgemeinen Trend folgend, das Volljährigkeitsalter von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesetzt (vgl. z.B. Senegal, Sierra Leone, Südafrika, vgl, auch Senatsbeschluss vom 10.12.2009, 31 Wx 95/09, zu Burundi, in Juris). Eine entsprechende Anfrage des Senats bei der Justizministerin von Gambia wurde leider nicht beantwortet; auch Internetrecherchen verliefen ergebnislos. Sollte das Landgericht nicht noch andere Erkenntnisse gewinnen, wird es wohl von einem Volljährigkeitsalter von 21 Jahren ausgehen müssen.

e) Zum Verfahrensstand der Vormundschaft ist zu bemerken, dass, soweit aus den Akten ersichtlich, der zum Vormund bestellte Verein wohl immer noch im Besitz der Bestallungsurkunde ist und weiterhin als Vormund tätig zu sein scheint. Das erscheint auch sachgerecht, da die lange Verfahrensdauer nicht zu Lasten der Betroffenen gehen kann. Die Vormundschaft endet in jedem Fall spätestens mit der Vollendung des 21. Lebensjahres der Betroffenen am 25.12.2010, im Falle einer Anerkennung der Betroffenen als Asylberechtigte auch schon vorher, da mit der Anerkennung die Anwendbarkeit des Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention feststünde. [...]