OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 31.03.2010 - 8 PA 28/10 - asyl.net: M16942
https://www.asyl.net/rsdb/M16942
Leitsatz:

Die Kostentragungspflicht nach § 66 Abs. 1 AufenthG erfordert nicht, dass die Abschiebung abgeschlossen und der Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich beendet worden ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Verjährung,
Normen: AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus C. hat nur insoweit Erfolg, als der Kläger mit seiner Klage vom 27. August 2009 die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 27. Juli 2009 hinsichtlich der Kosten für die Abschiebungen vom 8. Juni 2000 und 21. November 2002 in Höhe von 2.000,25 EUR begehrt. Die hierauf gerichtete Klage hatte im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.2009 - 8 PA 77/09 -) nach Vorlage der vollständigen Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers mit der Beschwerdeschrift vom 3. Februar 2010 (vgl. zur Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, diese Unterlagen im Rahmen der Abhilfeentscheidung zu berücksichtigen: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 23.1.2008 - 11 S 2916/07 -, juris Rn. 4) hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn hinsichtlich dieser Kostenschuld war im Zeitpunkt der Geltendmachung durch den angefochtenen Leistungsbescheid nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist des § 20 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwKostG voraussichtlich die Festsetzungsverjährung eingetreten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 30.7.2009 - 13 S 919/09 -, InfAuslR 2009, 403 f.). Dass die Beklagte den Bescheid vom 27. Juli 2009 insoweit durch den Änderungsbescheid vom 22. Februar 2010 aufgehoben hat und damit das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage nachträglich entfallen ist, steht der (rückwirkenden) Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, denn der Kläger hat mit seinem bereits am 3. Februar 2010 vollständig vorliegenden Antrag alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan. [...]

Nach §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird der Ausländer zu den durch die Durchsetzung einer Abschiebung tatsächlich entstandenen Kosten von der Ausländerbehörde durch Leistungsbescheid herangezogen.

Die Kostentragungspflicht erfordert nicht, dass die Abschiebung abgeschlossen und der Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland beendet worden ist. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 66 Abs. 1 AufenthG, der nur voraussetzt, dass Kosten in Folge der "Durchsetzung" einer Abschiebung entstanden sind, und keine Beschränkung auf die abgeschlossene, den Aufenthalt tatsächlich beendende Abschiebung enthält. Zudem umfassen die Abschiebungskosten nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich die bei der Vorbereitung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft. Auch Sinn und Zweck der Regelung stehen einer Beschränkung der Kostentragungspflicht auf die Fälle, in denen es tatsächlich zu einer Abschiebung gekommen ist, entgegen. Denn § 66 AufenthG dient der Präzisierung und Erweiterung der grundsätzlich bestehenden Veranlasserhaftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG, nicht hingegen deren Begrenzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.6.2005 - 1 C 15.04 -, InfAuslR 2005, 480, 481; BVerwG, Urt. v. 23.10.1979 - 1 C 48.75 -, BVerwGE 59, 13, 20). Insbesondere die Anordnung der Abschiebungshaft zur Sicherung der Abschiebung eines aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers dient ausschließlich der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht und ist daher von ihm im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG veranlasst. Dass es aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände nicht zur Abschiebung kommt, ändert nichts daran, dass der Ausländer seine Inhaftierung und die dadurch entstandenen Kosten veranlasst hat und die Kosten daher von ihm zu tragen sind (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.1.2010 - 11 LA 23/09 -, juris Rn. 7 f.; GK-AufenthG, Stand: Februar 2010, § 66 Rn. 9 jeweils m.w.N.; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 93; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts, BT-Drs. 11/6321, S. 83). [...]

Der vom Kläger erhobene Einwand gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebung und der die Abschiebung vorbereitenden Abschiebungshaft, diese seien aufgrund der amtsbekannten Haltung der UNMIK von vorneherein sinnlos gewesen, greift nicht durch. Jedenfalls ab Juli 2005 war die zwangsweise Rückführung auch von Minderheitenangehörigen, die, wie hier der Kläger, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt mindestens zwei Jahren verurteilt worden waren, in den Kosovo grundsätzlich - wenn auch in einer sehr behutsamen Weise und mit einem aufwändigen Verfahren - wieder möglich (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erlass v. 3.5.2005 - 45.32-12231/3-6-SCG-K -; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo), Stand: November 2005, S. 24 f.). Die Abschiebung von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo war seinerzeit auch vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport nicht generell ausgesetzt worden (vgl. Senatsbeschl. v. 24.10.2005 - 8 LA 123/05 -, juris Rn. 8). Die im September 2005 und Februar 2006 versuchte Abschiebung des Klägers war daher nicht von vorneherein tatsächlich unmöglich; ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestand nicht.

Das klägerische Vorbringen ist daher auch nicht geeignet, Zweifel an der - von den ordentlichen Gerichten zudem festgestellten (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 13.3.2006 - 22 W 8/06 -) - Rechtmäßigkeit der vom 14. Dezember 2005 bis zum 15. Februar 2006 gegen den Kläger vollzogenen Abschiebungshaft, insbesondere einen Verstoß gegen § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 27.2.2009 - 2 BvR 538/07 -, InfAuslR 2009, 205, 206), zu begründen. [...]

Dass die Abschiebung des Klägers am 16. Februar 2006 darüber hinaus aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen wäre, ist derzeit nicht ersichtlich. Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich zwar aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Aus dem bisherigen klägerischen Vorbringen ergeben sich indes keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Kläger und seinem am 13. Dezember 2005 geborenen Sohn, D. E., dessen Vaterschaft der Kläger erst am 2. Dezember 2009 anerkannt hat, bereits im hier maßgeblichen Zeitpunkt der für den 16. Februar 2006 beabsichtigten Abschiebung eine aufenthaltsrechtlich schutzwürdige tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bestanden hat und es dem Kind seinerzeit nicht zuzumuten war, diese familiäre Lebensgemeinschaft im Heimatland des Vaters fortzuführen. [...]

Für den Abschiebungsversuch vom 29. September 2005 sind die Kosten für die Stornierung des Fluges in Höhe von 194,37 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die Beförderungskosten in Höhe von 7,50 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. Nr. 108.1.4.2 Anlage - Kostentarif - zu § 1 Abs. 1 Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen vom 5. Juni 1997 (Nds. GVBl. S. 171) in der hier maßgeblichen Fassung vom 24. November 2004 (Nds. GVBl. S. 527) und die Personalkosten in Höhe von 86,00 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 2 AufenthG i.V.m. Nr. 108.1.4.1 Kostentarif und Anlage 1 zum Runderlass des Niedersächsischen Finanzministeriums - Verwaltungskostenrecht; Pauschsätze für den Verwaltungsaufwand bei der Gebührenbemessung im staatlichen Bereich - vom 19. Juni 2001 (Nds. MBl. S. 419), zuletzt geändert am 20. Januar 2004 (Nds. MBl. S. 100, 214) grundsätzlich festsetzungsfähig.

Für den weiteren Abschiebungsversuch vom 16. Februar 2006 sind die Beförderungskosten in Höhe von 157,20 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. Nr. 108.1.4.2 Kostentarif, die Personalkosten in Höhe von 450,00 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 2 AufenthG i.V.m. Nr. 108.1.4.1 Kostentarif und die tatsächlichen Kosten der Abschiebungshaft in Höhe von 4.926,53 EUR nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. Nr. 4.3 Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport - Ausländerangelegenheiten; Kosten der Abschiebung - vom 13. Juli 2004 (Nds. MBl. S. 525) und Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums - Tageshaftkostensatz für Abschiebungsgefangene - vom 16. April 2007 - 4402 I - 301.72 - (vgl. zum Ansatz der Abschiebungshaftkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe: BVerwG, Urt. v. 14.6.2005 - 1 C 15/04 -, BVerwGE 124, 1, 7 f., und der Berechnung dieser Kosten: Niedersächsisches OVG, Urt. v. 22.2.2007 - 11 LB 307/05 -, InfAuslR 2007, 295, 296 ff.) grundsätzlich festsetzungsfähig. [...]