OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.04.2010 - 11 LA 236/09 - asyl.net: M16944
https://www.asyl.net/rsdb/M16944
Leitsatz:

Für einen trotz Minderjährigkeit von den Maoisten zwangsrekrutierten nepalesischen Staatsangehörigen, der sein Heimatland spätestens 2007 verlassen hat, besteht bei einer Rückkehr keine Verfolgungsgefahr i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Maobadi, Nepal, Zwangsrekrutierung, Abschiebungsverbot, Nierensteine
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Der vom Kläger hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung aufgeworfenen Frage, "ob im gegenwärtigen Zeitpunkt und in Anbetracht der aktuellen Lage in Nepal für ehemals zwangsrekrutierte Kindersoldaten eine erneute asylerhebliche Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann", kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu.

Dies gilt schon deshalb, weil die Frage von Voraussetzungen ausgeht, die das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Angesichts der wechselnden, ggf. ergänzend auch auf Problemen durch die Verwendung unterschiedlicher Kalendersysteme beruhenden Angaben, stehen weder das genaue Geburtsjahr des Klägers noch der Zeitpunkt, in dem er zwangsrekrutiert worden sein soll, fest. Es ist also schon zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt vor Vollendung des 18. Lebensjahres ein sog. Kindersoldat gewesen ist. Darüber hinaus setzt die Fragestellung voraus, dass eine asylerhebliche Vorverfolgung stattgefunden hat. Insoweit ist im Zulassungsverfahren aber allenfalls noch eine für die Anerkennung als Flüchtling i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG erhebliche Vorverfolgung relevant. Eine solche hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt und ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Zwar hat es jedenfalls bis zum Abschluss des Friedensabkommens im Jahr 2006, nach manchen Quellen vereinzelt auch danach noch Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen durch die Maoisten gegeben (vgl. den umfassenden Bericht von Human Rights Watch, "Children in the Ranks, The Maoists Use of Child Soldiers in Nepal, Februar 2007, sowie Child Soldiers Global Reports 2008, Nepal). Eine i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Verfolgung liegt darin jedoch nur, wenn die Zwangsrekrutierung an unabänderliche Merkmale i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, Art. 10 Richtlinie 2004/83/ EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) angeknüpft hätte. Das lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln jedoch nicht entnehmen und wird auch vom Kläger nicht vorgetragen. Im Übrigen ist unklar, welche erneute Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sein soll. Der angeführte Wahrscheinlichkeitsmaßstab spricht dafür, dass sich die Frage auf die Gefahr der Wiederholung einer gleichartigen "Verfolgung" bezieht. Eine solche ist aber schon aus Altersgründen ausgeschlossen. Denn jedenfalls heute ist der Kläger älter als 18 Jahre und kann daher nicht mehr als sog. Kindersoldat zwangsrekrutiert werden. Unabhängig von seinem Alter und der Tatsache, dass in einer "wahllosen" Zwangsrekrutierung" - wie dargelegt - ohnehin keine i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG erhebliche Verfolgung zu sehen ist, ist eine solche erneute Zwangsrekrutierung des Klägers durch die Maoisten bei einer Rückkehr nach Nepal schließlich heute ohnehin auszuschließen. Bereits im Friedensabkommen aus dem Jahr 2006 ist ein Abbau der maoistischen "Streitkräfte", ein Verbot der Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren und eine Rückführung der - nach Angaben der Vereinten Nationen insgesamt 2.973 (vgl. nur US-Departement of State, Human Rights Report: Nepal, März 2010, 1g "Child Soldiers") - Personen, die im Mai 2006 jünger als 18 Jahre und dennoch Teil der maoistischen "Streitkräfte" waren, in das zivile Leben vorgesehen. Die tatsächliche Umsetzung hat sich trotz wiederholter Ankündigungen verzögert (vgl. neben den zuvor genannten Berichten etwa irinnews v. 27.5.2008 "Nepal: Reintegration of child soldiers taking too long"; afp vom 26.8.2009 "Maoists obstruct child soldiers discharge; Amnesty international, Jahresbericht 2009 zu "Kindersoldaten"; Human Rights Watch, Jahresbericht 2010 unter "Integration of Maoist Combatans"), soll nunmehr, d.h. mit Ende März 2010, aber abgeschlossen sein. Bereits bis Ende Februar 2010 waren jedenfalls 2.394 von insgesamt 4.008 Personen, die nach den Feststellungen der Vereinten Nationen u.a. wegen Minderjährigkeit zu Unrecht Teil der maoistischen "Streitkräfte" waren, förmlich aus allen der insoweit bestehenden sieben Lagern entlassen worden (vgl. BBC- News v. 7.1.2010 "Nepal former child soldiers freed"; OCHA Nepal Monthly Situation Updates vom Januar und Februar 2010 jeweils unter II "Political Developments"). Ihnen stehen jeweils spezielle Rehabilitationsmittel zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der volljährige Kläger, der sein Heimatland spätestens 2007 verlassen hat, erneut mit einer Zwangsrekrutierung durch Maoisten rechnen müsste. Diese Einschätzung wird dadurch unterstrichen, dass der UNHCR bereits im Juli 2007 in seiner englischsprachigen Stellungnahme u.a. auf die Lage von Zwangsrekrutierten eingegangen ist und daraus (unter D b) den Schluss gezogen hat, dass die Furcht u.a. vor Zwangsrekrutierungen in der großen Mehrzahl der Fälle heute unbegründet sei.

Erst recht ist für den Senat bei dieser Sachlage nicht zu erkennen und vom Kläger auch selbst nicht geltend gemacht worden, dass er bei einer Rückkehr von Seiten der offiziellen Sicherheitskräfte oder der Regierung mit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung wegen seiner früheren (zwangsweisen) Tätigkeiten bei den "Streitkräften" der Maoisten rechnen müsste (vgl. insoweit VG Aachen, Urt. v. 28.9.2009 - 5 K 951/08 -, m.w.N. aus der Rechtsprechung, sowie Senatsbeschl. v. 2.7.2007 - 11 LA 241/07 -). [...]