VG Osnabrück

Merkliste
Zitieren als:
VG Osnabrück, Urteil vom 19.04.2010 - 5 A 59/10 - asyl.net: M16949
https://www.asyl.net/rsdb/M16949
Leitsatz:

1. Anspruch auf Selbsteintritt im Dublin-Verfahren aufgrund der massiven Defizite im griechischen Asylverfahren; individuelle humanitäre Gründe sind für einen Selbsteintritt vorliegend nicht erforderlich (mit ausführlicher Prüfung der Situation in Griechenland).

2. Eine gravierende Verletzung des Unionsrechts - u. a. in Form der Verfahrensrichtlinie - kann als weiterer, vom BVerfG in der Entscheidung im Jahre 1996 noch nicht berücksichtigungsfähiger Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung gesehen werden.

3. Begründungsalternativ: Aus dem Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts folgt, dass Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO der Anwendung des Art. 16a Abs. 2 GG vorgeht.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Griechenland, Selbsteintritt, sichere Drittstaaten, Konzept der normativen Vergewisserung,
Normen: AsylVfG § 27a, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 7, EDV Art. 2, GG Art. 16a Abs. 2,
Auszüge:

(...)

II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO. Zwar bestand ursprünglich eine Prüfungspflicht des Asylbegehrens des Klägers durch die Republik Griechenland (1.). Jedoch ist der einen Selbsteintritt ablehnende Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2010 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 5 VwGO, da das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II

VO eröffnete Ermessen zu Gunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert ist (2.).

1. Ursprünglich bestand eine Prüfungspflicht des Asylbegehrens des Klägers durch die Republik Griechenland. Durch seine illegale Einreise in die Griechische Republik ist diese für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden (a]). Auch wahrt das Aufnahmeersuchen der Bundesrepublik die Förmlichkeiten der Dublin II VO (b]). (...)

2. Jedoch ist das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Ermessen zu Gunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert, da die derzeitigen Verfahrensgewährleistungen durch die Republik Griechenland die Durchführung eines den Geboten der Rechtstaatlichkeit

im Sinne von Art. 2 EDV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EDV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABI. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht gewährleisten (b.). Dem steht nicht entgegen, dass Griechenland kraft Verfassung in Art. 16 Abs. 2 GG zu einem sichern Drittstaat erklärt wurde (a.).

a. Einer Selbsteintrittsverpflichtung der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kann zunächst nicht entgegen gehalten werden, dass die Republik Griechenland kraft der bundesdeutschen Verfassung in Art. 16 a Abs. 2 GG zu einem sichern Drittstaat erklärt wurde. Dies folgt aus einer Anwendung des Prinzips der normativen Vergewisserung (aa); begründungsalternativ und insoweit selbständig tragend folgt dies aus dem Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts, nachdem vorliegend allein Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO und nicht Art. 16 a Abs. 2 GG anzuwenden ist (bb).

(aa) Einer Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Republik Griechenland kraft der bundesdeutschen Verfassung in Art. 16 a Abs. 2 GG zu einem sichern Drittstaat erklärt wurde. (...)

Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch solche Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg in dem Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und die damit von vornherein außerhalb der

Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzeptes aus sich selbst heraus gesetzt sind. Dabei sind an die Darlegung eines solchen Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 [99 f.]).

Ein solcher Sonderfall liegt in dem defizitären Asylsystem Griechenlands nach Ansicht des

erkennenden Gericht vor (hierzu sogleich b.) und muss auch - über die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) genannten Konstellationen, die in dem vorliegenden Fall nicht einschlägig

sind, hinaus - zu einer nicht von dem Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Ausnahme des Prinzip der normativen Vergewisserung führen. Denn das Bundesverfassungsgericht führt in seiner einstweiligen Anordnung vom 22. Dezember 2009 (- 2 BvR 2879/09 -, NVwZ 2010, 318) aus, dass die in der Hauptsache anhängige Verfassungsbeschwerde

Anlass zu der Untersuchung geben werde, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung zu beachten seien. Angesichts der zwischenzeitlich bekannten Stellungnahmen zu der Situation von Asylantragstellern in Griechenland seien die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein offensichtlich zu verneinen.

Allerdings seien die Erfolgsaussichten angesichts des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden sind, die Vergewisserung hinsichtlich der Schutzgewährung damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst erfolgt ist und die Entscheidung nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden könne, auch nicht offensichtlich zu bejahen. Aus diesen Feststellungen zieht die Kammer den Schluss, dass die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) aufgezählten Sonderfälle des Prinzips der normativen Vergewisserung

nicht abschließend gemeint sind (anderer Ansicht Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Oktober 2007, § 26 a, Rn. 81 m.w.N.). Eine gravierende Verletzung des Unionsrechts - u.a. in Form der Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG - kann dabei als weiterer, von dem Bundesverfassungsgericht

zur Zeit des Ergehens seiner Entscheidung im Jahre 1996 noch nicht

berücksichtigungsfähiger Sonderfall hinzukommen, da sie mit den dort genannten Ausnahmen als vergleichbar angesehen werden kann (in dem Ergebnis gleich: VG Weimar, Beschluss vom 24. Juli 2008, - 5 E 20094/08 -, Juris; VG Gießen, Beschluss vom 25. April 2008, 2 L 201/08 .GI.A -, InfAusIR 2008, 327-332). So machen die Formulierungen in dem Beschluss über eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Dezember 2009 deutlich, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird, das heißt, dass ein defizitärer tatsächlicher Zustand eines Asylsystems in einem kraft Verfassung sicheren Drittstaat - wie er in dem Eilverfahren des Bundesverfassungsgerichts feststand - einen

Sonderfall darstellen kann, der es gebietet, von dem Prinzip der normativen Vergewisserung abzuweichen. Wäre diese Möglichkeit nicht gegeben, hätte die einstweilige Anordnung nicht ergehen dürfen, da die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache dann - aufgrund offensichtlichen Nichtvorliegens einer der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 dann abschließend aufgezählten Ausnahmefälle - von Anfang an keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Das erkennende Gericht sieht die Missstände der Situation der Asylbewerber in Griechenland - wie sogleich zu zeigen sein wird - auch als so gravierend an, dass ein mit den von dem Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahre 1996 aufgezählten Ausnahmen vergleichbarer Fall außerhalb der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung zu bejahen ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung, Griechenland kraft Verfassungsrechts zu einem sicheren Drittstaat zu erklären, aufgrund

des Prinzips der Normenhierarchie nicht gemäß § 26 a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden kann, muss hier - bis eine mögliche Reaktion des Unions- oder des Verfassungsgesetzgebers erfolgt - die Möglichkeit für die Fachgerichte bestehen, Missständen in EU-Mitgliedstaaten, deren Eigenarten nicht vorweg in dem Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und die damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzeptes aus sich selbst heraus gesetzt sind, dadurch Rechnung zu tragen, dass zumindest zu dem jetzigen Zeitpunkt von weiteren Überstellungen entsprechend der Dublin II VO nach Griechenland abgesehen werden kann (anderer Ansicht, weil das

Institut des Selbsteintrittsrechts als nicht dazu bestimmt und geeignet ansehend, in einer unübersehbaren Zahl von Fällen und auch langfristig, wenn nicht gar auf Dauer, auf einen strukturellen Missstand im Asylsystem der Union zu reagieren, Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: Januar 2010, §27 a, Rn. 119.1).

(bb) Begründungsalternativ und insoweit selbständig tragend folgt schon aus dem Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts, dass vorliegend allein Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO und nicht Art. 16 a Abs. 2 GG anzuwenden ist. (...)

Damit stellt Art. 16 a Abs. 2 GG einen unlösbaren Zusammenhang zwischen dem materiellen Asylrecht und dem Staat seiner transnationalen Durchsetzung durch den Asylbewerber her. Die Norm trifft damit der Sache nach ebenso wie die Dublin II VO eine Regelung der zwischenstaatlichen Zuständigkeit in Bezug auf das Asylverfahren, nur kennt sie - anders als die Dublin II VO - keinen irgendwie gearteten Ausnahmetatbestand.

Daher liegt ein sich überschneidender Regelungsbereich zwischen Art. 16 a Abs. 2 GG und den Normen der Dublin II VO - als gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar wirkendem Unionsrecht - vor: Art. 16 a Abs. 2 GG begründet ausnahmslos die Zuständigkeit des sicheren Drittstaates, Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO sieht demgegenüber die Möglichkeit eines

Selbsteintritts vor. Diese Kollision ist nach der Theorie des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu lösen. Für einen derartigen Normkonfliktfall hat der Europäische Gerichtshof die Kollisionsregel

des "Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts" (EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs. C-6/64 [Flaminio Costa gegen E. N. E. L.], SIg. 1964, 1253 [1269 f.]; ständige Rechtsprechung) entwickelt. Das Prinzip des Anwendungsvorrangs ist nunmehr im Anhang zum AEUV kodifiziert. Es beinhaltet angesichts des Umstandes, dass in einem Unterschied zu

gewöhnlichen internationalen Verträgen schon die Vorgängerverträge des EUV und des AEUV eine eigene Rechtsordnung geschaffen haben, die bei ihrem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedsstatten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist, die Kollisionsregel, dass das Unionsrecht bei einer Normkollision mitgliedsstaatlichem Recht vorgeht. (...)

Dieser Vorrang des Unionsrechts ist in seinem Verhältnis zu der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnung allumfassend und absolut (Haltern, Europarecht, Rn. 934) dahingehend, dass das Unionsrecht "wie immer gearteten mitgliedsstaatlichen Rechtsvorschriften" (EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1970, Rs. C-11-70 [Internationale Handelsgesellschaft

mbH gegen Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel], SIg. 1970, 01125 [Rn. 3]; EuGH, Urteil vom 9. März 1978, Rs. C-106/77 [Staatliche Finanzverwaltung gegen S.p.A. Simmenthal], SIg. 1978, 00629 [Rn. 17/18]) vorgeht. Hiervon ausgehend geht die Kammer davon aus, dass der Norm des Art. 3 Dublin II VO Anwendungsvorrang vor dem Regelungsgehalt des Art. 16 a Abs. 2 GG zukommt, soweit beiden Normen ein verfahrensmäßiger Charakter in Bezug auf die Bestimmung des zu einer Prüfung eines Asylgesuchs zuständigen Staates der Union zukommt. Dies ist hier in dem oben beschriebenen Umfang der Fall. Damit sperrt die Regelung des Art. 16 a Abs. 2 GG auch aus diesem Grunde nicht die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts der Beklagten

aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO.

b. Das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Ermessen ist zu Gunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert, da die derzeitigen Verfahrensgewährleistungen durch die Republik Griechenland die Durchführung eines den Geboten der Rechtstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und den Vorgaben der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABI. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht gewährleisten.

Nach der Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 - wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat geprüft wird - „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen einreichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist". Dadurch wird er gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem „zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen". Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO hat subjektiv-rechtlichen Charakter ([aa]). In die zu treffende Ermessensentscheidung sind die tatsächlichen Verhältnisse in dem griechischen Asylsystem in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer einzustellen; diese vermögen derzeit ein rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Anforderungen genügendes Asylverfahren nicht sicherzustellen ([bb]).

(aa) Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO richtet sich zwar nach ihrem Wortlaut an die Mitgliedstaaten. Der Kläger kann sich jedoch gleichwohl auf einen subjektiv-öffentlichrechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO berufen. Denn diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsabkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Oktober 2007, § 27a, Rn. 25) - nicht allein in dem öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verleiht den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Dies folgt schon aus der ersten Begründungserwägung der Dublin II VO, wonach die Ausarbeitung einer gemeinsamen Asylpolitik auch helfen soll, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, "der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Gemeinschaft um Schutz nachsuchen", sowie aus der fünfzehnten Begründungserwägung, wonach die Dublin II VO "insbesondere darauf ab[zielt], die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 [Grundrechte-Charta]

verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten". Eine derartige Rechtsgewährleistung setzt zwingend den subjektiv-rechtlichen Charakter auch der Möglichkeit des gerade in dem Interesse dieser Gewährleistung geschaffenen Selbsteintrittsrechts voraus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Eins reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. hierzu VG Frankfurt, a.a.O., m.w.N.). (...)

Zwar hat der Kläger keine (humanitären) Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geltend gemacht, die allein ihn betreffen. Solche individuellen Gründe sind auch weder ersichtlich noch erforderlich. Zur Überzeugung der Kammer ist in dem Fall des Klägers das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO eingeräumte Ermessen auf die Bejahung der Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten und damit „auf Eins" schon aufgrund der massiven Defizite des Asylverfahrens in der Republik Griechenland reduziert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, kann bei der Anwendung einer Ermessensnorm im Einzelfall "eine Schrumpfung des Ermessens auf ein einziges rechtmäßiges Ergebnis ... eintreten, wenn

nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten". In einem solchen Fall ist die Entscheidung der Behörde - trotz des sonst bestehenden Ermessensspielraums - rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass auch für behördliche Ermessenserwägungen kein Anlass besteht (BVerwG, Beschluss vom 03.Oktober 1988, - BVerwG 1 B 114.88 -, Buchholz 316 § 40 VwVfG Nr. 8). Das Gericht bewertet das zurzeit von den griechischen Behörden praktizierte Asylverfahrenssystem an sich als den europäischen Richtlinien hierzu - in deren Licht der Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO ausgelegt werden muss - sowie der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht entsprechend. Die Kammer geht aufgrund der ihr vorliegenden und in das Verfahren eingeführten bzw. der Beklagten bekannten Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland nicht in der Lage wäre, ein Asylverfahren unter Wahrung allgemeiner Mindeststandards zu durchlaufen. (...)