OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.04.2010 - 14 A 729/10.A - asyl.net: M16955
https://www.asyl.net/rsdb/M16955
Leitsatz:

Keine Verfolgungsgefahr für unverfolgt Ausgereiste wegen niedrigschwelliger exilpolitischer Betätigung, selbst wenn die syrischen Behörden davon Kenntnis haben.

Es gibt keine Anzeichen einer verschärften Vorgehensweise der syrischen Sicherheitskräfte, auch der Abschluss des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens ist unerheblich.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Abschiebungsverbot, Syrien, Grundsätzliche Bedeutung, Exilpolitik, Nachfluchtgründe, Deutsch-Syrisches Rückübernahmeabkommen
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Der aufgeworfenen Frage,

"Führt eine Demonstrationsteilnahme, bei der ein Asylbewerber mittels Megaphon vor der Syrischen Botschaft in Erscheinung tritt und die von Mitarbeitern der Syrischen Botschaft gefilmt wird, unter Berücksichtigung der verschärften Vorgehensweise der syrischen Sicherheitskräfte seit Inkrafttreten des Deutsch-Syrischen Rücknahmeabkommens dazu, dass im Falle der Rückkehr dieses Asylbewerbers mit einer asylrelevanten Verfolgung zu rechnen ist?"

kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu, wenn sie bedeuten soll, ob bei Demonstrationsteilnahme mit Megaphondurchsage seitens des Asylbewerbers und Filmen durch Mitarbeiter der syrischen Botschaft immer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr besteht. Diese Frage lässt sich auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres verneinen. Es kommt für die asylrechtliche Relevanz exilpolitischer Betätigung immer nur auf die Sicht des jeweiligen Verfolgerstaates an, so dass von diesem nicht erkannte oder nicht ernst genommene Betätigungen asylrechtlich von vorneherein keine Bedeutung haben. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt und auch gerichtsbekannt ist, finden ständig derartige Demonstrationen statt, wobei sie oftmals gerade zum Zwecke der Schaffung eines asylrechtlich relevanten Nachfluchtgrundes besucht werden. Auch dies ist den syrischen Sicherheitsorganen bekannt. Daher führt die in der Frage aufgeworfene exilpolitische Betätigung nicht automatisch zu einem relevanten Nachfluchtgrund, sondern ist im Zusammenhang mit den Umständen des Einzelfalls zu würdigen, wie es das Verwaltungsgericht auch getan hat. Die Relevanz der genannten exilpolitischen Betätigung ist somit keiner allgemeinen Klärung zugänglich. [...]

Nach diesem Maßstab stellt es keine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Verwaltungsgericht die niedrigschwellige exilpolitische Betätigung des Klägers als asylrechtlich irrelevant einstuft. Das hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet. Dagegen gibt es zulassungsrechtlich nichts zu erinnern. Das ist auch nicht etwa deshalb anders, weil Deutschland zwischenzeitlich ein Rückübernahmeabkommen mit Syrien geschlossen hat. Rückführungen nach Syrien gab es schon seit Jahren auch vor Abschluss des genannten Vertrages. Dabei gab es vereinzelt Fälle, in denen aus Deutschland abgeschobene abgelehnte Asylbewerber bei der Einreise wegen politischer Aktivitäten verhaftet wurden, ohne dass damit schon die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für alle unverfolgt ausgereisten Rückkehrer bestand. Daran hat sich auch nach Abschluss des Abkommens nichts geändert, insbesondere gibt es keine Anzeichen einer verschärften Vorgehensweise der syrischen Sicherheitskräfte, wie es die oben genannte vermeintlich grundsätzliche Frage des Klägers unterstellt.

Nach dem oben genannten Maßstab stellt es auch keine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Verwaltungsgericht der Aussage des Zeugen, der vom Hörensagen berichtete, dass syrische Sicherheitsorgane nach dem Verbleib des Klägers im Zusammenhang mit seiner exilpolitischen Betätigung geforscht haben sollen, keinen erheblichen Beweiswert für die Gefahr politischer Verfolgung des Klägers bei Rückkehr beimisst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge vom Hörensagen zwar kein von vornherein untaugliches Beweismittel ist. Ihm kommt aber nur ein eingeschränkter Beweiswert zu. Die Indizienkette baut sowohl hinsichtlich der Richtigkeit der Aussage des Zeugen vom Hörensagen als auch hinsichtlich der Frage, ob diese Indiztatsache den Schluss auf die Haupttatsache zulässt, auf Wahrscheinlichkeitsurteilen auf. Da die bei einer derart gestuften Indizienkette mehrfach zu treffenden Wahrscheinlichkeitsurteile aus logischen Gründen eine abnehmende Gesamtwahrscheinlichkeit zur Folge haben, wird die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen deshalb einer Entscheidung regelmäßig nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechenden Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Juli 2008 - 15 A 2803/06.A -, S. 12 des amtlichen Umdrucks).

Da hier angesichts der Unstimmigkeiten zwischen den Bekundungen des Klägers und denen des Zeugen, die keineswegs nur unwesentliche Details, sondern die Umstände und den Inhalt der Indiztatsache (Angaben der Schwester zu angeblichen Nachforschungen der syrischen Sicherheitskräfte) betrafen, schon durchgreifende Zweifel am Vorliegen der Indiztatsache bestanden, ist die Würdigung des Verwaltungsgericht nicht nur nicht überraschend, sondern folgerichtig. [...]