OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.03.2010 - 3 B 9.08 - asyl.net: M16965
https://www.asyl.net/rsdb/M16965
Leitsatz:

1. § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG enthält einschränkende Voraussetzungen für den Familiennachzug zu einem über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG verfügenden Ausländer, eröffnet aber kein Rechtsfolgeermessen.

2. Die bestandskräftige Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG (§ 53 Abs. 6 AuslG) wegen einer fortgeschrittenen Aidserkrankung lässt keinen Raum für eine individuelle Überprüfung der Behandlungsmöglichkeiten und der Zumutbarkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Heimatland.

Zur Unterhaltssicherung i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG; zum Begriff des ausreichenden Wohnraums i.S.v. § 2 Abs. 4 AufenthG; zur Vereinbarkeit des Spracherfordernisses i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG mit höherrangigem Recht (wie Urteil vom 18.12.2009 - OVG 3 B 22.09 -).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Familiennachzug, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Abschiebungsverbot, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Visum, Visumsverfahren, Sicherung des Lebensunterhalts, Unterhaltsanspruch, Deutschkenntnisse
Normen: AufenthG § 29 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 7, AufenthG § 2 Abs. 3, AufenthG § 2 Abs. 4, AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 29 Abs. 1, AufenthG § 29 Abs. 3 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Kläger, sämtlich kamerunische Staatsangehörige, begehren die Erteilung von Visa zum Familiennachzug. Die Klägerin zu 1) ist seit 1997 mit dem kamerunischen Staatsangehörigen A. verheiratet. Die 1995, 2000 und 2002 geborenen Kläger zu 3) - 5) sind die gemeinsamen Kinder der Eheleute. [...]

4. Auch die einschränkende Nachzugsvoraussetzung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist erfüllt. Danach darf u.a. dem Ehegatten und dem minderjährigen Kind eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Diese Beschränkung des Familiennachzugs zu stammberechtigten Familienangehörigen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG basiert darauf, dass aus Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht abgeleitet werden kann, dass dem Begehren des Ausländers auf Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bereits dann entsprochen werden muss, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Vielmehr kann grundsätzlich verlangt werden, dass der Aufenthalt des im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen nicht nur vorübergehender Natur ist (vgl. Marx in GK AufenthG, Stand Mai 2008, § 29, Rz. 148, m.w.N.). [...]

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass es für den Ehemann der Klägerin zu 1), wie die Beklagte dies geltend macht, dennoch möglich und zumutbar wäre, die familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland fortzusetzen. Es bedarf keiner Prüfung, ob die bei ihm unstreitig vorliegende fortgeschrittene HIV-Infektion in Kamerun adäquat behandelt werden kann und ob er zu einer solchen Behandlung Zugang hätte. Denn hiervon ist gegenwärtig schon deshalb nicht auszugehen, weil der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14. November 2002, mit dem festgestellt worden ist, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Kamerun vorliegen, weiterhin Bestand hat und weil dem Ehemann der Klägerin zu 1) auf der Grundlage dieses Bescheides die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden ist. Gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 5 oder Abs. 7 AufenthG gebunden. § 42 Satz 1 AsylVfG ordnet die Bindung der Ausländerbehörden sowohl an negative als auch an positive Entscheidungen des Bundesamtes zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG an. (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 - 1 C 14/05 -, BVerwGE 126, 192, bei Juris Rz. 17; Sennekamp, HTK-AuslR, Stand Sept. 2005, § 42 AsylVfG, Anm. 2, m.w.N.; vgl. auch Blechinger/Weißflog, Das neue Zuwanderungsrecht, Grundwerk, Stand November/2007, Bd. I, 4.7.3, S. 7, unter Hinweis auf § 72 Abs. 2 AufenthG).

Ebenso wenig ist die Frage, ob Herrn A. zumutbar wäre, die familiäre Lebensgemeinschaft in Kamerun wieder aufzunehmen, im Rahmen einer behördlichen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. § 29 Abs. 3 AufenthG ist keine eigenständige, behördliches Ermessen eröffnende Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern regelt ebenso wie § 29 Abs. 1 AufenthG (Aufenthaltstitel und Wohnraum), § 27 AufenthG (familiäre Lebensgemeinschaft) und § 5 AufenthG (allgemeine Erteilungsvoraussetzungen) lediglich tatbestandliche Voraussetzungen des Familiennachzugs. Die Vorschrift bestimmt nicht, ob bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden muss, sondern legt lediglich in einem negativen Sinne fest, dass sie nicht erteilt werden darf, wenn die genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Anders als § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG äußert sich die Norm nicht zur Rechtsfolge, sondern statuiert lediglich zusätzliche tatbestandliche Voraussetzungen, indem sie den Zuzug von Familienangehörigen auf Fälle einschränkt, in denen humanitäre oder völkerrechtliche Gründe oder entsprechende politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorliegen (vgl. Zeitler, HTK-AuslR, Stand September 2007, Nr. 1 der Erläuterungen zu § 29 Abs. 3 AufenthG; Hailbronner, a.a.O., § 29 AufenthG, Rz. 16; Blechinger/Weißflog, a.a.O., S. 6; a.A. Marx in GK-AufenthG, a.a.O., Rzn. 151, 169).

5. Demgegenüber sind die Voraussetzungen des Ehegattennachzugs nach § 30 AufenthG nicht erfüllt. [...]

Es fehlt jedoch bislang an der Nachzugsvoraussetzung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Danach ist dem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis nur zu erteilen, wenn der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.

a) Diese Voraussetzungen muss die Klägerin zu 1) erfüllen, auch wenn die entsprechenden Regelungen erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - vom 19. August 2007 (BGBl. I, 1970) in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden sind und damit zum Zeitpunkt der Visumbeantragung im April 2005 noch nicht galten. Maßgebend für den Erfolg eines Verpflichtungsbegehrens auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist, wie bereits erwähnt, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Eine Übergangsvorschrift, die bereits anhängige Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von der Neuregelung ausnimmt, hat der Gesetzgeber nicht erlassen. Die zwischenzeitlich, d.h. nach der Beantragung des Visums eingetretene Veränderung der Rechtslage wirkt sich damit ohne weiteres auf die Klägerin zu 1) aus; sie muss, sofern nicht ein Ausnahmetatbestand eingreift, das Spracherfordernis erfüllen, um das Visum erhalten zu können (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2009 - 3 B 22.09 -; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. April 2009 - OVG 2 B 6.08 -, juris, Rz. 62; Beschluss vom 3. März 2008 - OVG 12 M 120.07 -, n. v.). Die Klägerin zu 1) kann sich daher nicht auf die von der Beklagten angesprochene, den Senat aber nicht bindende Verwaltungspraxis gemäß der Weisung des Auswärtigen Amtes vom 30. August 2007 - 508-516.00 - berufen, wonach bei bis zum 27. Mai 2007 gestellten Visumanträgen, bei denen nach dem AufenthG ein gesetzlicher Anspruch zum Ehegattennachzug vorgesehen ist, auf den Sprachnachweis verzichtet wird. Ob die in der Weisung genannten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt wären, kann deshalb dahinstehen.

b) Das mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in das Aufenthaltsgesetz aufgenommene Erfordernis, dass sich ein Ausländer grundsätzlich vor dem Nachzug zu dem im Bundesgebiet lebenden Ehegatten einfache Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen muss, ist mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. zum Nachstehenden Senatsurteil vom 18. Dezember 2009, a.a.O). Zwar ist der Schutzbereich der Verfassungsnorm berührt, doch erweist sich dies angesichts der mit der Regelung verfolgten Ziele, nämlich der Förderung der Integration von Ausländern und der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, nicht als unverhältnismäßig. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die überzeugenden Ausführungen in dem rechtskräftigen Urteil des 2. Senats vom 28. April 2009 (a.a.O., Rzn. 32 ff.). Der Fall weist auch keine Besonderheiten auf, die ausnahmsweise eine andere Sicht nahelegen könnten. Vielmehr spricht der im Pass angegebene Beruf der Klägerin zu 1) im Gegenteil dafür, dass ihr der Erwerb der geforderten Sprachkenntnisse ohne weiteres möglich sein müsste. Das Spracherfordernis verletzt auch weder den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Auch insoweit macht sich der Senat die Erwägungen in dem Urteil des 2. Senats vom 28. April 2009 (a.a.O., Rzn. 52 ff.) zu Eigen. Schließlich unterliegt § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, wie das mehrfach erwähnte Urteil des 2. Senats vom 28. April 2009 zutreffend ausführt (a.a.O., Rzn. 63 ff.), auch unter europa- und völkerrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf Art. 8 EMRK, keinen Bedenken.[...]

d) Die Klägerin zu 1) erfüllt das Spracherfordernis nicht. [...]

Dass die Klägerin zu 1) in dem vorstehend bezeichneten Umfang fähig wäre, sich auf einfache Art in deutscher Sprache zu verständigen, hat sie nicht nachgewiesen. Soweit sie in ihrem Schriftsatz vom 19. März 2010 erstmals behauptet, bereits über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache zu verfügen, die es ihr ermöglichten, sich auf zumindest rudimentäre Weise in Deutschland zu verständigen, bleiben ihre Angaben bei weitem zu pauschal und unsubstantiiert und zudem ohne Beleg.

6. Nach alledem kann dahinstehen, ob der nach den im Verwaltungsvorgang der Beklagten befindlichen Kopien nur bis zum 1. März 2009 gültige Kamerunische Nationalpass der Klägerin zu 1) verlängert worden und noch gültig ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). [...]