VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 20.04.2010 - 4 A 24/08 - asyl.net: M16966
https://www.asyl.net/rsdb/M16966
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für Schwerbehinderte, da sie im Kosovo keinen familiären Rückhalt hat und auch zweifelhaft ist, ob die notwendige schmerztherapeutische Behandlung im Kosovo erreichbar ist.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Kosovo, Roma, Wiederaufnahme, Änderung der Sachlage, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Zunächst hat die Klägerin einen Anspruch, dass über ihren Antrag auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz AufenthG vorliegt, der die Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ersetzt, (neu) entschieden wird. Denn die Sachlage hat sich nach dem rechtskräftigem Abschluss der vorangegangenen Klageverfahren 7 A.785/94 und 4 A 211/02 im Juli 2004 nachträglich insoweit zugunsten der Klägerin im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert, als sie neue ärztliche Atteste vorgelegt hat, inzwischen ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt worden ist und damit die Möglichkeit ihrer sozialen und medizinischen Versorgung in der inzwischen selbstständig gewordenen Republik Kosovo einer Überprüfung bedürfen. [...]

Nach den Darlegungen in den ärztlichen Attesten, die durch die Erklärungen, das Verhalten und das Auftreten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden sind, ist die Klägerin aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage, sich selbstständig zu versorgen. Sie kann nur leichte hauswirtschaftliche Hilfstätigkeiten verrichten und ist im Wesentlichen auf die Unterstützung durch Andere angewiesen. Auch im Hinblick auf ihre Körperpflege ist sie nicht unabhängig, sondern bedarf aufgrund eingeschränkter Beweglichkeit für einzelne Verrichtungen der Hilfestellung durch Andere. Hinzu kommt, dass sie in ihrer Bewegungsfähigkeit so beeinträchtigt ist, dass sie mit Hilfe ihrer Unterarmstützen nur über geringe Entfernungen gehen kann, so dass sie erforderliche Wege zu Ärzten, zum Einkäufen etc. regelmäßig nicht zu Fuß zurücklegen kann.

Bei einer Rückkehr der Klägerin in ihr Heimatland würde sie die zurzeit durch ihre familiäre Einbindung gesicherte Versorgung in hauswirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht verlieren und dadurch in eine erhebliche gesundheitliche Gefahr geraten. Denn, soweit ersichtlich, sind alle Familienangehörigen der Klägerin, ihre Mutter, ihre Geschwister, Tanten und Onkel in Deutschland und haben hier gesicherte aufenthaltsrechtliche Positionen, so dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Kosovo auf sich allein gestellt wäre. Dass staatliche Stellen oder Hilfsorganisationen im Kosovo sich der Klägerin in dem für sie erforderlichen Maße annähmen und die hier für die Klägerin geleisteten familiären Dienste übernehmen würden, kann nicht erwartet werden. Nach den Erkenntnissen aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Oktober 2009 ist vielmehr das familiäre Zusammenhalten bereits allein für ein wirtschaftliches Überleben von elementarer Bedeutung. Die Klägerin hätte demnach im Kosovo schon keine ausreichende finanzielle Ausstattung. Speziell in ihrem Fall würde auch noch die persönliche familiäre Unterstützung fehlen, auf die sie lebensnotwendig angewiesen ist.

Schließlich ist auch zweifelhaft, ob die Klägerin die notwendige schmerztherapeutische Behandlung im Kosovo erlangen könnte. Dem braucht aber angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht weiter nachgegangen zu werden. [...]