VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 19.01.2010 - 11 K 397/06.A - asyl.net: M16974
https://www.asyl.net/rsdb/M16974
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung, da in Kamerun Verfolgung wegen Homosexualität droht.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Kamerun, homosexuell, Lebenspartnerschaft
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Klägerin steht jedoch nach dem Stand der Sach- und Rechtslage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.d.F. vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zu.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. [...]

Die Klägerin lebt allerdings inzwischen offen homosexuell und ist eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. An der Ernsthaftigkeit dieser Lebensweise zu zweifeln, sieht das Gericht keinen Anlass. Die Klägerin ist mit diesem Anknüpfungspunkt für eine politische Verfolgung, zur Gruppe der gleichgeschlechtlich orientierten Menschen zu gehören, im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrem Erstverfahren auch nicht gemäß § 28 AsylVfG präkludiert.

Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts bei ihrer Rückkehr nach Kamerun mit einer politischen Verfolgung des kamerunischen Staates aufgrund ihrer Homosexualität zu rechnen.

Laut kamerunischem Strafgesetzbuch Nr. 347 sind sexuelle Beziehungen zu einer Person des gleichen Geschlechts mit Gefängnis zwischen sechs Monaten und fünf Jahren sowie einer Geldstrafe zwischen 20.000 und 200.000 kamerunischen Franc (CFA) zu bestrafen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vorn 20. Dezember 2001 an das VG München).

Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Homosexualität ist möglich (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. Dezember 2001 an das VG München).

Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wird Artikel 347 Strafgesetzbuch, der lediglich homosexuelle Handlungen bestraft, in der Praxis von Beamten und Richtern falsch angewandt, indem Personen wegen Homosexualität verhaftet und verurteilt werden und nicht aufgrund einer homosexuellen Handlung (vgl. Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. März 2007).

In Kamerun werden Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder einer vermuteten homosexuellen Orientierung ohne Anklage in Untersuchungshaft genommen und der Unzucht angeklagt, bevor überhaupt nach Beweisen für die Homosexualität gesucht wird. Um eine homosexuelle Orientierung nachzuweisen, wird bei Männern eine Analuntersuchung richterlich angeordnet. Es gibt willkürliche Festnahmen aufgrund vermuteter Homosexualität (vgl. Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. März 2007). Auch Frauen werden wegen homosexueller Handlungen verhaftet und verurteilt (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: "Kamerun: Situation von Homosexuellen" vom 6. Oktober 2009; Amnesty International, Public vom 7. Juli 2006 (Englisch)).

Frauen werden in Untersuchungshaft auf verschiedenste Art und Weise dazu gebracht, ihre Homosexualität zu gestehen. Aufgrund solcher Geständnisse werden sie ebenfalls zu einer Strafe gemäß Artikel 347 verurteilt (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: "Kamerun: Situation von Homosexuellen" vom 6. Oktober 2009).

In Kamerun setzen sich die meisten gesellschaftlichen Gruppen für ein striktes Vorgehen der Regierung gegen Personen mit homosexueller Orientierung ein (vgl. Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. März 2007).

Die Verhältnisse in den mehrfach überbelegten Gefängnissen sind im Allgemeinen sehr hart und oft sogar lebensbedrohlich. Personen, die sich aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen homosexuellen Orientierung in Gefängnissen befunden haben, wurden vergewaltigt oder anderweitig misshandelt (vgl. Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. März 2007).

Personen, deren Homosexualität bekannt geworden ist, müssen bei ihrer Rückkehr nach Kamerun mit Inhaftierung rechnen (vgl. Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. März 2007). [...]