LSG Baden-Württemberg

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Zitieren als:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.2010 - L 7 AY 3482/09 B - asyl.net: M16976
https://www.asyl.net/rsdb/M16976
Leitsatz:

Offen ist, ob die Höhe der Grundleistungen nach dem AsylbLG verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht; mit Blick auf das Urteil des BVerfG v. 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. Prozesskostenhilfe ist daher zu bewilligen.

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Existenzgrundlage, Verfassungsmäßigkeit, soziokulturelles Existenzminimum
Normen: AsylbLG § 3, AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat ihr Begehren, das der Sache nach auf höhere als die von der Beklagten bereits zugestandenen Leistungen nach dem AsylbLG gerichtet ist (vgl. BSGE 101, 49 <Rdnr. 14>), zum einen damit begründet, dass ihr Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zustünden, zum anderen damit, dass die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu niedrig seien, weil es der Verordnungsgeber seit Inkrafttreten des Gesetzes entgegen seiner Überprüfungspflicht nach Abs. 3 a.a.O. unterlassen habe, die Bedarfssätze anzupassen, und dieser Zustand verfassungswidrig sei.

Ob der Klägerin, die - nach vorheriger Duldung - soweit ersichtlich seit 29. Dezember 2008 jeweils befristet Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 <BGBl. I S. 162>) erhalten hat und deshalb leistungsberechtigt nach dem AsylbLG ist (vgl. hierzu BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10 BSG, Urteile vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 40/07 R - und vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 41/07 R - <beide juris>), höhere Leistungen nach dem genannten Gesetz in der streitbefangenen Zeit zustehen, vermag der Senat im Rahmen der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend zu beantworten. Allerdings ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (in der ab 28. August 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 <BGBl. I S. 1970>) erst nach einer Vorbezugszeit von 48 Monaten beansprucht werden können und diese - ohne Übergangsregelung in Kraft getretene - auf die Klägerin anzuwendende Rechtsänderung verfassungsgemäß ist (vgl. BSGE 101, 49); zusammenzurechnen sind insoweit nur Zeiten des Bezugs von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (vgl. nochmals BSGE a.a.O.; ferner BSGE 103, 28 = SozR 4-3520 § 2 Nr. 3), so dass Leistungen nach anderen Regelungen bei der Addition nicht berücksichtigt werden können. Da die Klägerin nach Aktenlage erst seit 16. Juni 2006 Leistungen nach § 3 AsylblG erhalten hat, ist die vorbezeichnete 48-monatige Vorbezugszeit sogar bis zum heutigen Tage noch nicht erreicht.

Ob freilich die Höhe der Grundleistungen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, was die Klägerin mit Blick auf das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - (NJW 2010, 505) in Zweifel zieht, ist beim derzeitigen Erkenntnisstand als offen zu bezeichnen. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, für Ausländer mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen (vgl. BSGE 101, 49 <Rdnr. 30> unter Hinweis auf BVerfGE 116, 229; ferner Bundesverwaltungsgericht Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 18). Indessen wird die seit dem Inkrafttreten des AsylbLG am 1. November 1993 unterbliebene Anpassung der Geldbeträge nach § 3 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 AsylbLG in der Literatur seit längerem kritisiert (vgl. nur Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum Sozialgesetzbuch XII <SGB XII>, 17. Auflage, § 3 AsylbLG Rdnr. 39; Birk in LPK-SGB XII, 8. Auflage, § 3 AsylbLG Rdnr. 8; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 3 AsylbLG Rdnr. 3; ferner Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 3 AsylbLG Rdnr. 38). Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen des Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 auf das AsyIbLG unter dem 10. März 2010 (vgl. Bundestags-Drucksache 17/979) eine Prüfung der Bedeutung dieses Urteils für die Leistungen nach dem vorgenannten Gesetz angekündigt; mittlerweile wird sogar eine Abschaffung des AsylbLG verlangt (vgl. Gesetzesentwurf von Abgeordneten sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21. April 2010; Bundestags-Drucksache 17/1428). Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht Bremen (Urteil vom 25. September 2009 - S 3 A 272/07 - InfAuslR 2010, 170) bei Geltendmachung einer Verletzung des soziokulturellen Existenzminimums wegen unzureichender Leistungen nach § 3 AsylbLG von der Klägerseite eine differenzierte Darlegung der ungedeckten Bedarfe unter Einbeziehung des § 6 AsylbLG gefordert. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage steht noch aus. Das beim BSG anhängige Revisionsverfahren gegen das - vom Senat im Beschluss vom 28. Januar 2009 (L 7 AY 5899/08 ER-B) in Bezug genommene Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 2008 (L 20 AY 20/08) - ist in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2010 (B 8 AY 5/08 R) durch Vergleich erledigt worden (vgl. Terminvorschau und Terminbericht Nr. 3/10 <jeweils zu Ziff. 5>).

Schon in Anbetracht der oben dargelegten Umstände bejaht der Senat eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung der Klägerin im Klageverfahren S 12 AY 4313/09; diese ist ferner nicht mutwillig. Im Rahmen der Fortführung des Klageverfahrens dürfte freilich zunächst zu überprüfen sein, ob die Klägerin in der streitbefangenen Zeit sämtliche der - auf den Regelfall abstellenden - Leistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG erhalten hat; darüber hinaus dürfte ggf. auch die Auffangvorschrift des § 6 AsylbLG in den Blick zu nehmen sein. Sollte sich dennoch - auch mit Rücksicht auf die von der Klägerin zu fordernden eingehenden Darlegungen zur (fehlenden) Deckung ihrer Bedarfe - eine Bedarfslücke ergeben, könnte sich ein Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss der von der Bundesregierung zugesagten Prüfung der Auswirkungen des oben genannten Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 auf die Leistungen nach dem AsylbLG anbieten. [...]