OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.03.2010 - 3 N 33.10 - asyl.net: M16977
https://www.asyl.net/rsdb/M16977
Leitsatz:

Einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz durch Eingangskontrollen im Gerichtsgebäude kann im Verfahren auf Zulassung der Berufung nur rügen, wer in der mündlichen Verhandlung auf den Verfahrensmangel hingewiesen hat. Eingangskontrollen im Verwaltungsgericht dienen der sicheren und ungestörten Durchführung der mündlichen Verhandlung.

Die Notwendigkeit hierfür führt nicht zu einer unzulässigen Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfahrensfehler, Öffentlichkeit des Verfahrens, mündliche Verhandlung, Verwaltungsgericht, Verlust des Rügerechts
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3, VwGO § 138 Nr. 5, VwGO § 55, GVG § 169 S. 1, VwGO § 173, ZPO § 295 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der allein geltend gemachte Verfahrensmangel des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind.

Gemäß § 55 VwGO, § 169 Satz 1 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung des Urteils öffentlich. Das Zulassungsvorbringen rügt in diesem Zusammenhang, die Tische des die Eingangskontrolle des Verwaltungsgerichts durchführenden Personals seien am Tag der mündlichen Verhandlung im Windfang des Gerichtsgebäudes so aufgestellt worden, dass ein Zutritt zu der Tafel mit dem Aushang der mündlichen Verhandlungen nur mit Erlaubnis der Kontrollbeamten möglich gewesen sei. Ferner sei Personen, die sich nicht ausgewiesen hätten und sich nicht einer "körperlichen Durchsuchung im Flughafenverfahren" hätten unterziehen wollen, der Zutritt versagt worden. Eine derart weitgehende generelle Eingangskontrolle verletze die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens und ermangele der von dem Kläger für erforderlich gehaltenen gesetzlichen Regelung.

Damit wird ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht dargetan. Ausweislich des Zulassungsvorbringens sind die Eingangskontrollen im Verwaltungsgericht auf alle Personen angewandt worden, die keinen besonderen Ausweis besaßen, welcher einen "beruflichen Zutrittswunsch" belegt hat; gemeint sind insoweit offenbar Dienstausweise von Justizbediensteten sowie Rechtsanwälten. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter haben demnach beim Betreten des Gerichtsgebäudes den vom Zulassungsvorbringen dafür gehaltenen Mangel der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Die nächstliegende Möglichkeit, eine vorschriftsgemäße öffentliche Verhandlung herbeizuführen, wäre gewesen, während der mündlichen Verhandlung auf den erkannten Verfahrensmangel hinzuweisen und die Durchführung einer weiteren Verhandlung unter Beachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu beantragen. Dass ein solches Verlangen geäußert worden wäre, ergibt sich indes nicht aus dem Zulassungsvorbringen und im Übrigen auch nicht aus dem Terminsprotokoll. Der Kläger hat mithin nicht dargetan, dass er den behaupteten Verfahrensmangel gerügt und darauf hingewirkt hat, dass der Verstoß beseitigt wird. Damit hat er sein Rügerecht nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 295 Abs. 1 ZPO verloren.

Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Befolgung der Vorschrift über die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung sei unverzichtbar im Sinne der §§ 173 VwGO, 295 Abs. 2. ZPO. Das Gebot der Öffentlichkeit der Verhandlung gilt nur, wenn überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet; die mündliche Verhandlung ist als solche verzichtbar (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO). Im Falle eines solchen Verzichts kommt das Gebot der Öffentlichkeit nicht mehr in Betracht. Hieraus folgt, dass die Befolgung der Öffentlichkeitsvorschrift verzichtbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. November 1977 - IV C 71.77 -, Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 1; BFH, Beschluss vom 8. Mai 1996 - XI R 5/96, juris; siehe auch Pietzner in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Februar 1998, Rn. 103 zu § 132).

Im Übrigen ist eine Verhandlung "öffentlich" im Sinne von § 55 VwGO, § 169 Satz 1 GVG, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind. Eine an jedermann gerichtete Bekanntgabe braucht nicht hinzuzutreten, um einer Verhandlung das Merkmal der Öffentlichkeit zu geben. Die Öffentlichkeit der Verhandlung gebietet insbesondere nicht, dass die Verhandlung in jedem Fall durch Aushang bekanntgemacht wird. Den Interessen der Streitbeteiligten, die durch die Öffentlichkeit der Verhandlung gewahrt werden sollen, ist ausreichend Genüge getan, wenn jedermann sich in zumutbarer Weise Zugang verschaffen kann, mithin niemand, der an der Verhandlung teilnehmen möchte, hieran gehindert wird (BVerwG, Beschluss vom 21. März 1994 - 8 B 33.94 - , Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 7). Eine solche Hinderung trägt der Kläger nicht substanziiert vor.

Seine Darlegung, die Tafel mit dem Aushang der mündlichen Verhandlungen sei nur mit Erlaubnis der Kontrollbeamten erreichbar gewesen, ist schon deswegen unergiebig, weil nicht ersichtlich ist, dass sie die Erlaubnis verweigert hätten. Die Pflicht, sich bei Zutritt zum Gerichtsgebäude auszuweisen, führt ihrerseits nicht zu einem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz, da der Zugang zum Gerichtsgebäude hierdurch nicht unverhältnismäßig beschwert wird. Das Gleiche gilt für die vom Zulassungsvorbringen beschriebene Durchsuchung zutrittswilliger Personen. Beide Maßnahmen werden auch in anderen Gerichtsgebäuden vorgenommen und dienen ersichtlich der Gewährleistung der Sicherheit im Gerichtsgebäude und der ungestörten Durchführung der mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zweck durchgeführte Maßnahmen verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung. Worin die Kontrollmaßnahmen im Einzelnen bestehen, ist dem pflichtgemäßen Ermessen des das Hausrecht ausübenden Gerichtspräsidenten überlassen. Dass dieses Ermessen im Falle der vom Zulassungsvorbringen geschilderten Zugangskontrollen überschritten worden wäre, die Kontrollen etwa über Gebühr lange in Anspruch genommen hätten oder schikanös gewesen seien, erschließt sich nicht (vgl. zu allem BVerwG, Beschluss vom 22. April 1988 - 4 ER 202.88 -, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 5; Beschluss vom 21. März 1994, a.a.O.; BGH, Urteil vom 6. Oktober 1976 - 3 StR 291/76 -, NJW 1977, 157, 158; zum "Flughafenverfahren" VG Frankfurt am Main, Urteil vom 15. Juli 1993 - 6 E 20062/93.A -, juris; Posser/Wolf, VwGO, 2008, § 138 Rn. 74 f; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 138 Rn. 206). Soweit der Kläger eingangs seiner Rüge kursorisch ausgeführt hat, es sei nur Personen Zutritt gewährt worden, die eine Ladung hätten vorweisen können, ist er hierauf in der von ihm selbst angekündigten detaillierten Darstellung der beanstandeten Verfahrensweise nicht mehr zurückgekommen. [...]