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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 19.11.2009 - 3 A 1840/07.A - asyl.net: M16989
https://www.asyl.net/rsdb/M16989
Leitsatz:

Kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Indiens für hochrangigen Funktionär der Shiromani Akali Dal Europe.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Indien, Punjab, Shiromani Akali Dal Europe, Babbar Khalsa, International Sikh Youth Federation, Sikhs, SAD, BJP, ISYF, terroristische Vereinigung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers nicht vor.

Zwar geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in dem von ihm vorgetragenen Ausmaß asylpolitische Aktivitäten für die Shiromani Akali Dal entfaltet hat. Dies begründet aber unter Berücksichtigung der aufgrund des Beweisbeschlusses vom 29. November 2007 eingeholten Auskünfte für ihn keine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG.

Während das durch den vorgenannten Beweisbeschluss um Auskunft ersuchte Bundesamt für Verfassungsschutz unter dem 14. Februar 2008 erklärte, bei der Organisation Shiromani Akali Dal Europe handele es sich nicht um ein Beobachtungsobjekt des Amtes, so dass zu den gestellten Fragen nicht Stellung genommen werden könne, führte das Auswärtige Amt unter dem 5. Februar 2008 aus, es lägen keine Erkenntnisse über Shiromani Akali Dal Europe vor, allerdings existiere eine politische Partei dieses Namens im indischen Bundesstaat Punjab und stelle dort seit den Wahlen 2007 eine Koalitionsregierung mit der BJP. Grundsätzlich seien gemeinsame Aktivitäten mit Babbar Khalsa und der International Sikh Youth Federation geeignet, die Aufmerksamkeit der indischen Sicherheitsbehörden auf sich zu ziehen. Dal Khalsa habe nach einer Zeit des Verbots (1982 bis 1998) dem bewaffneten Kampf abgeschworen und unterstütze bei Wahlen mitunter Kandidaten der Shiromani Akali Dal Partei. Das Südasien-Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg erläuterte in seinem Gutachten vom 8. Juli 2008 unter näherer Darlegung im Einzelnen, die Shirmomani Akali Dal sei eine 1920 gegründete indische Regionalpartei und zugleich einflussreichste Partei der Sikhs im indischen Bundesstaat Punjab. Die Partei blicke auf eine turbulente politische Entwicklungsgeschichte zurück und gelte als moderates Element im (partei-)politischen Spektrum der verschiedenen politischen Gruppierungen der Sikhs. Sie habe sich immer weitgehend zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele im Rahmen des parlamentarischen Prozesses der repräsentativen Demokratie in Indien bekannt. Mittlerweile habe sich eine zunehmende Fragmentierung der SAD in verschiedene, meist einzelnen Führungspersönlichkeiten nachgeordnete Fraktionen vollzogen. Die größte dieser Fraktionen sei bei den Landtagswahlen im Bundesstaat Punjab im Februar 2007 stärkste Partei geworden und stelle in einer Koalition mit der BJP die Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Parkash Singh Badal. Demgegenüber trete die SAD (Amritsar) deutlich radikaler auf. Diese verfüge zwar über ein weitverzweigtes internationales Mitglieder- und Unterstützernetz. Ihr in weiten Teilen nicht funktionsfähiger Internet-Auftritt spreche aber von einer zwischenzeitlichen Auflösung der europäischen Parteiverbände und dem Versuch eines Neuaufbaus.

Auch im Falle einer Bezugnahme des Klägers auf einen europäischen Parteiverband der SAD (Amritsar) könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Organisation von den indischen Organen als staatsfeindlich bzw. terroristisch angesehen würde. Die SAD (Amritsar) nehme regelmäßig an den Landtagswahlen in Punjab mit einigen Kandidaten teil und sei Bestandteil des parlamentarischen Prozesses in Indien. Wenn sich der Kläger in Deutschland für einen selbständigen Staat Khalistan eingesetzt habe, so drohe ihm keine strafrechtliche Verfolgung. Der indische Supreme Court verteidige mit Nachdruck das Recht zur absolut freien Wortwahl auch bei schärfster Kritik an Regierung und Staat. Außerdem sollten die einschlägigen Strafnormen allein vor solchen Äußerungen und Publikationen schützen, welche in aufwieglerischer Absicht zu Gewalttaten und allgemeiner Gesetzlosigkeit aufriefen. Insofern mangele es bei den Aktivitäten des Klägers schon am richtigen Adressaten, denn sie wendeten sich ja an die deutsche Öffentlichkeit. Selbst bei strafrechtlich relevanten Aktivitäten sei im Übrigen ein Verfolgungsinteresse indischer Organe für Auslandstaten als äußerst gering einzustufen. Derzeit könne nicht von einer politisch volatilen, durch eine aufgeheizte Stimmung gekennzeichneten Atmosphäre oder einem ausgeprägten Anti-Sikh-Klima die Rede sein. Im Gegenteil habe sich die Situation der Sikhs in Indien bzw. im Punjab seit dem Amtsantritt der aktuellen Regierungskoalition unter Premierminister Manmohan Singh, einem Sikh, deutlich verbessert.

Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nicht die Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG unterworfen zu werden.

Dem kann der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, ihm drohten die genannten Gefahren wegen der engen Verflechtung der Shiromani Akali Dal in Deutschland mit der Babbar Khalsa und der ISYF, die sich in einer Vielzahl gemeinsamer Aktionen äußere. Diese Organisationen sind ausweislich des Gutachtens des Südasien-Instituts der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg vom 8. Juli 2008 nicht nur im Unlawful Activities (Prevention) Amendment Act von 2004 als terroristische Organisationen aufgelistet, sondern gelten seit 2002 auch innerhalb der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen, die auch bereits in mehreren Ländern verboten sind. Somit bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, wenn im Zuge entsprechender Ermittlungen der Strafverfolgungsorgane Indiens auch Personen befragt werden, die nicht Mitglied in den genannten Organisationen sind. Von Fehlen einer konkreten Gefahr für den Kläger ist umso mehr auszugehen, als dieser vorträgt, den indischen Behörden sei bekannt, dass er hochrangiger Funktionär der Shiromani Akali Dal sei. Hiernach besteht nicht die Gefahr, dass er fälschlicherweise einer der genannten, als terroristisch eingestuften anderen Organisationen zugerechnet wird. [...]