VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 08.02.2010 - 4 L 156/10.KS.A - asyl.net: M16991
https://www.asyl.net/rsdb/M16991
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Abschiebung in die Republik Kosovo, da eine vorübergehende Trennung von der Familie (mit deutschem Kind) zur Nachholung des Visumsverfahrens zumutbar ist.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Abschiebung, Schutz von Ehe und Familie, deutsches Kind, Kosovo, unerlaubte Einreise, Familienzusammenführung, Visumsverfahren, Befristung, Wirkung der Abschiebung, Kindeswohl
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, GG Art. 6 Abs. 1, EMRK Art. 8 Abs. 1, AufenthG § 11 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine einstweilige Aussetzung seiner Abschiebung. Die Voraussetzungen des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Abschiebung des Antragstellers ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.

Ein rechtliches Abschiebungshindernis ergibt sich insbesondere nicht aufgrund des in Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Schutzes von Ehe und Familie. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Es ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem deutschen Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil dem deutschen Kind wegen dessen Beziehung zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung de Mutter entbehrlich wird, sondern der Vater - allein oder gemeinsam mit der Mutter - wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbringen kann, die ggf. auch als Beistandsgemeinschaft aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG entfalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59, m.w.N.).

Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewähren jedoch ein unbedingtes Recht auf Aufenthalt. Vielmehr ist bei der erforderlichen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragenden Güterabwägung zu berücksichtigen, dass die Einhaltung des Visumverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass alleine die Verpflichtung, vor der Einreise zur Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft ein Visum einzuholen, nicht Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Demzufolge sind die legitimen Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Visumverfahrens abzuwägen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Nachholung des Visumverfahrens immer mit den allgemein anzutreffenden und deshalb auch vom Gesetzgeber in den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes berücksichtigten Unannehmlichkeiten verbunden ist. Vor allem aber gilt es, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete Tatsachen schaffen. Die Grenze liegt dort, wo das Beharren auf der Einhaltung des Visumverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden müsste (vgl. VG Aachen, Beschluss vom 14.08.2008 - 8 L 85/08 -, juris).

Im vorliegenden Fall überwiegt das öffentliche Interesse an einer geordneten Zuwanderung die Interessen des Antragstellers auch unter Berücksichtigung des Wohls seiner beiden Kinder sowie seiner nichtehelichen Lebenspartnerin. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits am 26.05.2009 aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben worden ist und nunmehr ohne das erforderliche Visum und unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ohne Betretenserlaubnis und damit unerlaubt (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG) ins Bundesgebiet eingereist ist. Ihm wird daher auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels kein solcher erteilt. Einen Antrag auf Befristung der Wirkung seiner ersten Abschiebung hat der Antragsteller bislang nicht gestellt. Er hat sich nach seiner Rückkehr in den Kosovo offensichtlich auch in keiner Weise um die Erteilung des zur Rückkehr zu seiner Familie erforderlichen Visums bemüht, obgleich der Antragsgegner ihm zu diesem Zweck seinen Pass nachgeschickt hatte. Hat der Antragsteller selber aber keinerlei geeignete Maßnahmen unternommen, um eine Familienzusammenführung auf rechtlichem Wege herbeizuführen, sondern sich statt dessen auf das Schaffen von Tatsachen durch seine unerlaubte Einreise verlegt, so ist es ihm und seiner Familie auch unter Berücksichtigung der Wertungen des Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG zuzumuten, für den überschaubaren Zeitraum der Durchführung des Visumverfahrens voneinander getrennt zu leben. Dabei übersieht der Einzelrichter nicht, dass bei einem kleinen Kind die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass hier auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.08.1998, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist aber bereits nicht ohne Weiteres ersichtlich, welche konkreten Betreuungs- und Erziehungsleistungen der Antragsteller in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der Kindsmutter tatsächlich erbringt. Das vorgelegte fachärztliche Attest des Dr. ... vom 04.02.2010 ist dazu weitgehend unergiebig. Dieser Mediziner bescheinigt der Lebensgefährtin des Antragstellers bereitwillig bereits nach einer einmaligen Untersuchung sowohl eine posttraumatische Belastungsstörung als auch eine schwere depressive Belastungs-/Anpassungsstörung, die auf der zurückliegenden und der unmittelbar bevorstehenden möglichen erneuten Abschiebung des Antragstellers beruhen sollen. Als Teil der Therapie schlägt er eine angemessene humanitäre Lösung und Rücknahme der Abschiebungsandrohung für den Antragsteller vor, zumal seine Patientin und der Antragsteller eheentsprechend zusammenlebten. Diese Bescheinigung ist offensichtlich weniger von Fachkunde als von Sympathie getragen, zumal der Facharzt die Angaben seiner Patientin völlig unkritisch übernimmt und die Bescheinigung jegliche Angaben zu den Diagnosemethoden vermissen lässt. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers sich nicht im Anschluss an dessen erstmalige Abschiebung, sondern im Zusammenhang mit der bevorstehenden erneuten Abschiebung des Antragstellers zum Aufsuchen eines Facharztes entschlossen hat, was die Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Leidensdrucks erheblich mindert. Auch das "pfarramtliche Gutachten" der Pastorin der ev.-luth. Kirchengemeinde ... gibt für eine Beurteilung der tatsächlich gelebten Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Familie wenig her. Die Pastorin ergeht sich in Sympathiebekundungen für die Lebensgefährtin des Antragstellers und deren Familie und betonte die Grausamkeit der erstmaligen Abschiebung des Antragstellers. Im Hinblick auf die Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Lebensgefährtin gibt sie lediglich an, dass diese eng verbunden, tief verzweifelt und voller Ängste im Hinblick auf die bevorstehende Abschiebung seien. Konkrete Betreuungs- und Erziehungsleistungen des Antragstellers lassen sich dieser Bescheinigung indes ebenfalls nicht entnehmen. Eigene Angaben des Antragstellers fehlen insoweit völlig. Diese Unsubstantiiertheit des Vortrags bestärkt den Einzelrichter in der Annahme, dass eine Trennung für die Dauer des Visumverfahrens dem Antragsteller und seiner Familie ohne Weiteres zumutbar ist. Dies gilt umso mehr, als dass das Leben außerhalb ausländerrechtlichen Sachverhalts kleinen Kindern deutlich längere Zeiträume der Trennung von einem Elternteil zumutet (z.B. im Bereich der Seeschifffahrt, der Auslandseinsätze der Bundeswehr oder bei berufsbedingten Montagetätigkeiten im Ausland) ohne dass deswegen ohne Weiteres von einer Gefährdung des Kindeswohls ausgegangen werden kann. Dem Einzelrichter erschließt sich nicht, aus welchem Grund im Hinblick auf Ausländer, die nach ihrer erstmaligen Abschiebung nunmehr unerlaubt ins Bundesgebiet einreisen, andere Maßstäbe gelten sollten. Es ist ein Gebot der Selbstbehauptung der deutschen Rechtsordnung, gerade bei derartigen Fällen der Umgehung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen am Erfordernis einer kontrollierten Einreise festzuhalten, überdies ist kein nachvollziehbarer Grund für eine Privilegierung des Antragstellers gegenüber denjenigen Ausländern erkennbar, die in vergleichbaren Fällen das vorgeschriebene Visumverfahren durchlaufen. Insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit, dass sich im Verlauf des Visumverfahrens herausstellen sollte, dass der Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Wertentscheidung der Art. 6 GG, 8 Abs. 1 EMRK keinen Anspruch auf Familienzusammenführung hat, erscheint es nicht geboten, ihn für die Dauer des Verwaltungsverfahrens im Bundesgebiet zu dulden. Eine derartige Rechtsposition wird Ausländern, die ihr Verfahren ordnungsgemäß vom Ausland aus betreiben, für die Dauer des Verfahrens ebenfalls nicht eingeräumt, obgleich deren in Deutschland lebende Familie in gleicher Weise durch Art. 8 GG, 8 Abs. 1 EMRK geschützt wird.

§ 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG steht der Abschiebung des Antragstellers ebenfalls nicht entgegen, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter dem 02.02.2010 gegenüber der Ausländerbehörde Kassel zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG nicht vorliegen und ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird. Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller auch keinerlei substantiierte Angaben zu einer etwaigen politischen Verfolgung gemacht. Die schlichte Existenz körperlicher Verletzungen ist insoweit nicht aussagekräftig. [...]