Keine Flüchtlingsanerkennung einer tschetschenischen Frau, da sie sich weder gegen die gegenwärtigen Machthaber in Tschetschenien engagiert hat noch im Verdacht steht, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Die Klägerin kann sich unter wesentlich erleichterten Voraussetzungen wieder an ihrem letzten Aufenthaltsort Grosny aufhalten. Bei einer Niederlassung außerhalb Tschetscheniens könnte der Klägerin für eine gewisse Zeit die Registrierung verweigert werden; dies stellt jedoch keine Verfolgungshandlung i.S. des Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Epilepsie ist in der Russischen Föderation einschließlich Tschetscheniens behandelbar.
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Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Beteiligten sind begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und die Ziff. 2 sowie die Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation in Ziff. 4 Satz 2 des Bundesamtsbescheids vom 20. September 2002 aufgehoben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. Mai 2003 ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen. [...]
Es kann offen bleiben, ob die Klägerin die Russische Föderation im September 2001 als Vorverfolgte verlassen hat, was etwa dann zu bejahen wäre, wenn tschetschenischen Volkszugehörigen damals eine Gruppenverfolgung gedroht haben sollte. Denn auch bei Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs wäre die Klägerin bei ihrer Rückkehr in die Russische Föderation vor erneuter Verfolgung und asylerheblichen Übergriffen hinreichend sicher.
Die Klägerin kann sowohl nach Tschetschenien als auch in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren, weil sie weder bei der Einreise noch im weiteren Verlauf ihres Aufenthalts in der Russischen Föderation befürchten muss, Maßnahmen i.S. von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL ausgesetzt zu sein. Dem Auswärtigen Amt liegen bisher keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenenkonflikt nicht endgültig gelöst ist, ist zwar davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lagebericht vom 30.7.2009, S. 31).
Dass die russischen Sicherheitskräfte eine über die routinemäßige Überprüfung zurückkehrender Tschetschenen hinausgehendes Interesse an der Klägerin haben könnten, ist jedoch nicht ersichtlich, da sie sich weder gegen die gegenwärtigen Machthaber in Tschetschenien engagiert hat noch im Verdacht steht, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.
Der Umstand, dass ihr Bruder ... am 1. April 2001 ermordet und ihre Schwester ... zusammen mit ihrer Mutter ebenfalls im Frühjahr 2001 entführt wurden, begründet nicht die Gefahr, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Tschetschenien im Jahre 2010, d.h. neun Jahre später, noch die Gefahr einer an ihre tschetschenische Volkszugehörigkeit anknüpfenden politischen Verfolgung droht. Insoweit ist der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte der Auffassung, dass tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien, denen keine tatsächliche oder unterstellte Mitwirkung bzw. Einbindung bei den Rebellentruppen oder im Regime Maschadow entgegengehalten werden kann, heute nach Tschetschenien zurückkehren können, ohne dass ihnen Maßnahmen i.S. von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL drohen (BayVGH vom 11.12.2008 Az. 11 B 03.31261, Juris, RdNr. 25; vom 17.4.2008 Az. 11 B 08.30038; Juris, RdNr. 3 5 - 4 6 ; HessVGH vom 21.2.2008, Az. 3 UE 191/07.A, Juris, RdNr. 61 - 84; OVG Sachsen-Anhalt vom 31.7.2008 Nr. 2 L 23/06, Juris, RdNr. 29 - 58; OVG Berlin-Brandenburg vom 3.3.2009 Az. 3 B 16.08, Juris, RdNr. 26 - 50). Bei ihnen sprechen stichhaltige Gründe i.S. des Art. 4 Abs. 4 QRL dagegen, dass sie (erneut) von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden - wie hier im Frühjahr 2001 - bedroht sein werden. Insoweit hat sich die Sicherheitslage in Tschetschenien im Vergleich zum Ausreisezeitpunkt der Klägerin im September 2001 maßgeblich verändert. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Aussagen in den angegebenen Randnummern der zitierten Entscheidungen Bezug genommen. Die Klägerin gehört unstreitig nicht zu den genannten Risikogruppen noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass ihr eine Mitwirkung bei ihnen unterstellt wird.
Die Klägerin kann sich nach ihrer Rückkehr unter wesentlich erleichterten Voraussetzungen wieder an ihrem letzten Aufenthaltsort Grosny aufhalten. Zur Legalisierung des Aufenthalts an einem grundsätzlich frei zu wählenden Aufenthaltsort bedarf es einer Registrierung. Diese ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum (prinzipiell) kostenlosen Gesundheitssystem, zum legalen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. Lagebericht d. Auswärtigen Amtes vom 30.7.2009, S. 31; Memorial, "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 bis Oktober 2007", S. 8/9). Wenn die Klägerin an ihren letzten Aufenthaltsort zurückkehrt, bestehen für sie auch keine Schwierigkeiten, die Registrierung zu erreichen. Personen, die einmal im Besitz einer Wohnsitzregistrierung an einem bestimmten Ort sind, sind berechtigt, an diesem Ort zu wohnen und dorthin zurückzukehren, auch wenn sie sich vorübergehend in einer anderen Region oder im Ausland aufgehalten haben. Eine Abmeldung von Amts wegen gibt es in der Russischen Föderation nicht (vgl. z. B. Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG Berlin vom 22.11.2005, Bericht d. Deutschen Botschaft Moskau an das BAMF vom 3.4.2006 und vom 19.7.2007).
Der Klägerin wäre aber auch in den übrigen Teilen der Russischen Föderation vor Verfolgung i.S. des § 60 Abs.1 AufenthG, Art. 9 f. QRL hinreichend sicher. Hierzu verweist der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen unter den Randnummern 58 bis 64 des Urteils des OVG Berlin-Brandenburg (a.a.O.), die er sich mit der Maßgabe zu eigen macht, dass die Verfolgungssituation der Klägerin in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht unter dem Blickwinkel einer innerstaatlichen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes i.S. von Art. 8 QRL zu erörtern ist. Denn dieses Rechtsinstitut setzt nach Art. 8 Abs. 1 QRL voraus, dass nur in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht.
Allerdings könnte der Klägerin bei einer beabsichtigten Niederlassung an einem Ort außerhalb Tschetscheniens für eine gewisse Zeit die Registrierung verweigert werden, wie das gegenüber Personen, die einer kaukasischen Volksgruppe angehören, bisweilen geschieht. Darin würde jedoch grundsätzlich keine Verfolgung i.S. von § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 f. QRL liegen. Eine vorübergehende Verweigerung der Registrierung der Klägerin würde keine Verfolgungshandlung i.S. des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellen, weil sie ihrem Charakter nach nicht auf eine Verletzung der bei der Klägerin wegen ihrer Erkrankung einschlägigen grundlegenden Menschenrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit abzielen würde.
Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren sinngemäß geltend macht, dass bei ihr wegen ihrer Erkrankung an Epilepsie zumindest ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorläge, ist dieses Vorbringen unbegründet. [...]
Bei der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine derartige Gefahr besteht für die Klägerin wegen ihrer unstreitig vorliegenden Erkrankung an Epilepsie nicht, weil diese in der Russischen Föderation ausreichend behandelt werden kann. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass der Verbindungsbeamte des Bundesamts in Moskau nach Rücksprache mit einer russischen Ärztin ausdrücklich die Behandelbarkeit von Epilepsie in der Russischen Föderation einschließlich Tschetscheniens bejaht hat. In Tschetschenien sei sowohl eine EEG-Untersuchung als auch die medikamentöse Behandlung von Epilepsie möglich.
Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Auskunft der Beklagten zu zweifeln, zumal die Deutsche Botschaft in Moskau dem Bundesamt bereits mit Schreiben vom 9. Januar 1997 mitgeteilt hat, dass sogar ein an Epilepsie erkranktes achtjähriges Kind in allen größeren Städten der Russischen Föderation behandelt werden kann, in denen spezielle pädiatrische Kliniken, Rehabilitationszentren und Sonderschulen existieren. Hinzu kommt, dass sich die Klägerin wegen ihrer Erkrankung an Epilepsie in Deutschland derzeit nicht in ärztlicher Behandlung befindet und auch keine Medikamente nimmt, obwohl sie nach wie vor an krankheitsbedingten Beschwerden leidet. [...]