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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 30.11.2009 - Kadzoev, C-357/09 PPU - asyl.net: M16996
https://www.asyl.net/rsdb/M16996
Leitsatz:

1. Die in der Rückführungsrichtlinie (RL) vorgesehene maximale Abschiebungshaftdauer von 18 Monaten umfasst auch die Zeiten der Haft vor Umsetzung der RL, sofern sie im Rahmen eines eingeleiteten Abschiebungsverfahrens im Sinne der RL zurückgelegt wurden.

2. Anders als in Dublin-Verfahren ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs einer Abschiebungsentscheidung für die zulässige Haftdauer im Sinne der RL unbeachtlich, d.h. die Abschiebungshaftdauer ist unabhängig von eingelegten Rechtsmitteln mit aufschiebender Wirkung zu berechnen.

3. Nur wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreichen Vollzug der Abschiebung während der zulässigen Haftdauer besteht, ist Abschiebungshaft nach der RL gerechtfertigt. Ansonsten ist die Person unverzüglich freizulassen.

4. Wenn die maximale Abschiebungshaftdauer erreicht ist, muss die betreffende Person auf jeden Fall unverzüglich freigelassen werden.

Anmerkung der Redaktion: Im vorliegenden Verfahren wurden Vorlagefragen zur teilweisen Umsetzung der RL in Bulgarien geprüft. Deutschland hat die RL bis zum 24.12.2010 in nationales Recht umzusetzen.

Schlagwörter: Rückführungsrichtlinie, Abschiebungshaft, Haftdauer, Rückwirkung, Bulgarien, Haftgründe, Dublin II-VO, vorläufiger Rechtsschutz, Kadzoev,
Normen: RL 2008/115/EG Art. 15 Abs. 4, RL 2008/115/EG Art. 15 Abs. 5, RL 2008/115/EG Art. 15 Abs. 6
Auszüge:

(...)

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 4 bis 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98, im Folgenden: Richtlinie 2008/115). [...]

34 Mit Frage 1 Buchst. a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass die dort vorgesehene maximale Haftdauer auch die vor Geltung der Regelung dieser Richtlinie zurückgelegte Haftzeit umfassen muss.

35 Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 legt die maximale Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung fest.

36 Würde die vor Geltung der Regelung der Richtlinie 2008/115 zurückgelegte Zeit der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung bei der Berechnung der maximalen Haftdauer nicht berücksichtigt, könnten Personen in einer Lage wie der von Herrn Kadzoev für längere als die in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie genannten maximalen Zeiträume inhaftiert werden.

37 Eine solche Situation stünde mit dem Ziel dieser Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 nicht im Einklang, das darin besteht, auf jeden Fall zu gewährleisten, dass die Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung nicht länger als 18 Monate dauert.

38 Überdies gelten Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Regelung entstanden ist.

39 Auf Frage 1 Buchst. a ist somit zu antworten, dass Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 dahin auslegen ist, dass die dort vorgesehene maximale Haftdauer auch die Haftzeit umfassen muss, die im Rahmen eines vor Geltung der Regelung dieser Richtlinie eingeleiteten Abschiebungsverfahrens zurückgelegt wurde.

Frage 1 Buchst. b

40 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht erfahren, ob in die Berechnung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung die Zeit einzubeziehen ist, während deren der Vollzug der Abschiebungsentscheidung aufgrund der Prüfung eines Asylantrags eines Drittstaatsangehörigen aufgeschoben war, wenn sich dieser während des den Antrag betreffenden Verfahrens weiterhin im Zentrum für die vorübergehende Unterbringung aufgehalten hat.

41 Nach dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/115 sollten "[g]emäß der Richtlinie [2005/85] Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Person gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der sein Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist".

42 Nach Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18) dürfen sich Asylbewerber im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats oder in einem ihnen von diesem Mitgliedstaat zugewiesenen Gebiet frei bewegen, doch können die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen dies z. B. aus rechtlichen Gründen oder aus Gründen der öffentlichen Ordnung erforderlich ist, dem Asylbewerber nach einzelstaatlichem Recht einen bestimmten Ort zuweisen.

43 Nach Art. 21 der Richtlinie 2003/9 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass gegen abschlägige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Zuwendungen gemäß dieser Richtlinie oder gegen Entscheidungen gemäß Art. 7 der Richtlinie, die Asylbewerber individuell betreffen, Rechtsmittel nach den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verfahren eingelegt werden können; zumindest in der letzten Instanz ist die Möglichkeit einer Berufung oder einer Revision vor einem Gericht zu gewähren.

44 Nach Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 nehmen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam, weil sie ein Asylbewerber ist, und nach Abs. 2 dieser Vorschrift stellen die Mitgliedstaaten im Fall der Ingewahrsamnahme eines Asylbewerbers sicher, dass eine rasche gerichtliche Überprüfung des Gewahrsams möglich ist.

45 Die Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung gemäß der Richtlinie 2008/115 und die Ingewahrsamnahme eines Antragstellers insbesondere gemäß den Richtlinien 2003/9 und 2005/85 sowie den anwendbaren nationalen Vorschriften unterliegen somit unterschiedlichen rechtlichen Regelungen.

46 Es ist Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob der Aufenthalt von Herrn Kadzoev im Zentrum für die vorübergehende Unterbringung während der Zeit, in der er Asylbewerber war, den Voraussetzungen der gemeinschaftlichen und der nationalen Asylbestimmungen entsprach.

47 Sollte sich herausstellen, dass im Rahmen der Verfahren, die auf die in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils erwähnten Asylanträge von Herrn Kadzoev hin eingeleitet wurden, keine Entscheidung bezüglich der Unterbringung von Herrn Kadzoev im Zentrum für die vorübergehende Unterbringung getroffen wurde und dass seine Haft damit auf die frühere nationale Regelung über die Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung oder die Regelung der Richtlinie 2008/115 gestützt blieb, müsste die der Dauer dieser Asylverfahren entsprechende Haftzeit von Herrn Kadzoev bei der Berechnung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 genannten Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung berücksichtigt werden.

48 Folglich ist auf Vorlagefrage 1 Buchst. b zu antworten, dass die Zeit, während deren eine Person auf der Grundlage einer gemäß den nationalen und den gemeinschaftlichen Bestimmungen über Asylbewerber getroffenen Entscheidung in einem Zentrum für die vorübergehende Unterbringung untergebracht war, nicht als Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2008/115 anzusehen ist.

Frage 2

49 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass die Zeit, während deren der Vollzug der Abschiebungsanordnung wegen einer Klage des Betreffenden gegen die Anordnung aufgeschoben war, bei der Berechnung der Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung berücksichtigt wird, wenn sich der Betreffende während des Verfahrens weiterhin in einem Zentrum für die vorübergehende Unterbringung aufgehalten hat.

50 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen nach Art. 13 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/115 das Recht haben, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gremium, dessen Mitglieder unparteiisch sind und deren Unabhängigkeit garantiert wird, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr einzulegen oder die Überprüfung solcher Entscheidungen zu beantragen. Diese Behörde oder dieses Gremium ist befugt, Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr zu überprüfen, und hat auch die Möglichkeit, ihre Vollstreckung einstweilig auszusetzen, sofern eine einstweilige Aussetzung nicht bereits im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften anwendbar ist.

51 Weder Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 noch eine andere Bestimmung dieser Richtlinie lassen die Annahme zu, dass die Zeiträume der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung wegen der Aufschiebung des Vollzugs der Abschiebungsentscheidung nicht in die in Art. 15 Abs. 5 und 6 festgelegte maximale Haftdauer einbezogen werden dürfen.

52 Insbesondere ist festzustellen, dass die Aufschiebung des Vollzugs der Abschiebungsentscheidung wegen einer Klage gegen diese Entscheidung nicht zu den in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Gründen für eine Verlängerung der Haftdauer zählt.

53 Die Haftzeit, die die betreffende Person während des Verfahrens zurücklegt, in dem die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsentscheidung gerichtlich überprüft wird, ist somit bei der Berechnung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen maximalen Haftdauer zu berücksichtigen.

54 Andernfalls könnte die Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung von einem Fall zum anderen im selben Mitgliedstaat oder aber von einem Mitgliedstaat zum anderen aufgrund der jeweiligen Besonderheiten und Umstände der nationalen Gerichtsverfahren schwanken – unter Umständen erheblich –, was dem Ziel von Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 zuwiderliefe, eine allen Mitgliedstaaten gemeinsame maximale Haftdauer zu gewährleisten.

55 Diese Schlussfolgerung wird durch das von der bulgarischen Regierung angeführte Urteil vom 29. Januar 2009, Petrosian u. a. (C-19/08, Slg. 2009, I-0000), nicht in Frage gestellt. In dieser Rechtssache, in der es um die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1), ging, hat der Gerichtshof entschieden, dass im Rahmen des Verfahrens zur Überstellung des Asylbewerbers die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung festgelegte Frist für die Durchführung der Überstellung, wenn die Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats vorsehen, dass ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.

56 Diese Auslegung von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 lässt sich im Rahmen der Auslegung von Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 nicht heranziehen. Während die im Urteil Petrosian fragliche Frist nämlich bestimmt, über wie viel Zeit der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung eines Asylbewerbers in den zu dessen Wiederaufnahme verpflichteten Mitgliedstaat durchzuführen, dienen die in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen maximalen Zeiträume dem Ziel, den Entzug der Freiheit einer Person zu begrenzen. Zudem beschränken die letztgenannten Zeiträume die Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung und nicht die Durchführung des Abschiebungsverfahrens als solches.

57 Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass die Zeit, während deren der Vollzug der Abschiebungsanordnung wegen einer Klage des Betreffenden gegen die Anordnung aufgeschoben war, bei der Berechnung der Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung berücksichtigt wird, wenn sich der Betreffende während des Verfahrens weiterhin in einem Zentrum für die vorübergehende Unterbringung aufgehalten hat.

Frage 3

58 Mit dieser Frage bittet das vorlegende Gericht um Klärung der Bedeutung von Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 und insbesondere des Begriffs der "hinreichenden Aussicht auf Abschiebung" im Licht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens.

Frage 3 Buchst. c

59 Mit Frage 3 Buchst. c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung besteht, wenn die Möglichkeiten einer Verlängerung der in Art. 15 Abs. 6 vorgesehenen Haftzeiträume erschöpft sind und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung der Inhaftierung der betreffenden Person keine Vereinbarung mit einem Drittstaat über ihre Übernahme besteht.

60 Wenn die in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehene maximale Haftdauer erreicht ist, stellt sich nicht die Frage, ob keine "hinreichende Aussicht auf Abschiebung" im Sinne von Art. 15 Abs. 4 mehr besteht. In einem solchen Fall muss die betreffende Person nämlich auf jeden Fall unverzüglich freigelassen werden.

61 Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 ist daher nur anwendbar, soweit die in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie vorgesehenen maximalen Haftzeiträume nicht abgelaufen sind.

62 Folglich ist auf Frage 3 Buchst. c zu antworten, dass Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er nicht anwendbar ist, wenn die Möglichkeiten einer Verlängerung der in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Haftzeiträume zum Zeitpunkt der gerichtlichen Überprüfung der Inhaftierung der betreffenden Person erschöpft sind.

Frage 3 Buchst. a und b

63 In Bezug auf Frage 3 Buchst. a und b ist zu betonen, dass nach Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 die Haft nicht länger gerechtfertigt und die betreffende Person unverzüglich freizulassen ist, wenn sich herausstellt, dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht.

64 Wie aus Art. 15 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2008/115 hervorgeht, kann die Inhaftierung einer Person für die Zwecke der Abschiebung nur für die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen – solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden – aufrechterhalten werden, soweit dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten.

65 Zum Zeitpunkt der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft durch das nationale Gericht muss daher ersichtlich sein, dass eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreichen Vollzug der Abschiebung unter Berücksichtigung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 festgelegten Zeiträume besteht, damit vom Fortbestand einer "hinreichenden Aussicht auf Abschiebung" im Sinne von Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie ausgegangen werden kann.

66 Eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung besteht demnach nicht, wenn es wenig wahrscheinlich erscheint, dass der Betreffende unter Berücksichtigung der genannten Zeiträume in einem Drittstaat aufgenommen wird.

67 Auf Frage 3 Buchst. a und b ist folglich zu antworten, dass Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass nur eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreichen Vollzug der Abschiebung unter Berücksichtigung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115 festgelegten Zeiträume eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung darstellt und dass diese nicht besteht, wenn es wenig wahrscheinlich erscheint, dass der Betreffende unter Berücksichtigung der genannten Zeiträume in einem Drittstaat aufgenommen wird.

Frage 4

68 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 4 und 6 der Richtlinie 2008/115 erlaubt, den Betreffenden trotz Ablaufs der in der Richtlinie vorgesehenen maximalen Haftdauer nicht unverzüglich freizulassen, weil er keine gültigen Dokumente besitzt, sich aggressiv verhält und weder über eigene Unterhaltsmittel noch über eine Unterkunft, noch über vom Mitgliedstaat für diese Zwecke gestellte Mittel verfügt.

69 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass, wie insbesondere aus den Randnrn. 37, 54 und 61 des vorliegenden Urteils hervorgeht, Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115 auf keinen Fall eine Überschreitung der in dieser Bestimmung festgelegten maximalen Zeiträume zulässt.

70 Die Möglichkeit, eine Person aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu inhaftieren, kann ihre Grundlage nicht in der Richtlinie 2008/115 finden. Deshalb kann keiner der vom vorlegenden Gericht angeführten Gründe für sich einen Haftgrund gemäß den Bestimmungen der Richtlinie bilden.

71 Folglich ist auf Frage 4 zu antworten, dass Art. 15 Abs. 4 und 6 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er bei Ablauf der in der Richtlinie vorgesehenen maximalen Haftdauer nicht erlaubt, den Betreffenden nicht unverzüglich freizulassen, weil er keine gültigen Dokumente besitzt, sich aggressiv verhält und weder über eigene Unterhaltsmittel noch über eine Unterkunft, noch über vom Mitgliedstaat für diese Zwecke gestellte Mittel verfügt. [...]